Die Bundesregierung plant eine weitgehende Abschottung gegen Asylsuchende

Kein Halten mehr

Die Bundesregierung plant Maßnahmen zur Abschottung, die früher nur die AfD befürwortete. Union und BSW versuchen, mit ihren Forderungen noch darüber hinaus zu gehen.

Ein gutes Jahr ist es her, da wollte die AfD mit einem »Elf-Punkte-Plan zum Schutz der Grenzen« die »unregulierte Massenmigration« beenden. Ihr Plan sah vor, dass die Bundesregierung »sofortige temporäre stationäre Grenzkontrollen zur durchgehenden Sicherung der Landgrenzen« einführen solle.

Sie solle zudem »Gewahrsamszentren un­mittelbar an den Grenzen zur Sicherung sofortiger aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Falle von unzulässigen Schutzanträgen« einrichten. Die AfD forderte weiter, die Bundesregierung solle Möglichkeiten finden, Asylbewerber zur Prüfung ihrer Asylanträge in ein Drittland zu überstellen. Zudem solle es ein »strenges Sachleistungsprinzip für Asylbewerber« geben. Abschiebungen sollten durch den »Ausbau von Abschiebehaftplätzen« forciert werden, die Bundespolizei mehr Kompetenzen bei Abschiebungen bekommen.

Aber daraus wurde nichts. Mit 603 gegen 75 Stimmen lehnte das Parlament den ihm vorgelegten Plan in nament­licher Abstimmung ab. Der Innenausschuss hatte die Ablehnung zuvor empfohlen.

»Die Ampel macht AfD-Politik.« Janine Wissler, Linkspartei-Vor­sitzende 

Das war vor einem Jahr. Die Vorschläge der AfD, die den anderen Parteien damals maßlos übertrieben erschienen, haben diese nun größtenteils selbst übernommen. Nach den beiden »Mi­grationsgipfeln« der vergangenen Woche, bei denen die Union und die Regierungsparteien über Maßnahmen diskutierten, die über das von der Regierung beschlossene »Sicherheits- und Asylpaket« hinausgehen sollten, sprach die Linkspartei-Vor­sitzende Janine Wissler aus, was viele dachten: »Die Ampel macht AfD-Politik.« Vor der Landtagswahl in Brandenburg am kommenden Sonntag wolle die Regierungskoalition Härte beweisen. »Diesen Wettbewerb der Schäbigkeit kann die Ampel nicht gewinnen«, meinte Wissler.

Aber die Bundesregierung gibt sich redlich Mühe. Sie will die Leistungen für sogenannte Dublin-Flüchtlinge, die in andere EU-Staaten zurückkehren sollen, nicht auf »Bett, Brot, Seife« drücken, wie es vielfach berichtet wurde, sondern diese Flüchtlinge gleich mit grenznahen Schnellverfahren »mas­siv zurückweisen«, wie es Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ausdrückte. Das Gesetz dazu wird derzeit beraten.

Nach Schnellverfahren abgeschoben

Die Kontrollen werden seit diesem Montag an allen deutschen Grenzen durchgeführt. In Faesers Ministerium brüteten Beamte über einem »Modell für europarechtskonforme und effektive Zurückweisungen«. Flüchtlinge, die bereits in einem anderen Land regi­striert sind, sollen grenznah festgesetzt und nach einem auf ungefähr fünf ­Wochen Dauer festgesetzten Schnellverfahren abgeschoben werden.

Dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz geht das alles noch nicht weit genug, weshalb er vergangene Woche den zweiten »Migrationsgipfel« platzen ließ. Er fordert, pauschal alle irregulären Migranten inklusive Asylbewerber direkt und ohne Verfahren zurückzuweisen. Die Bundesregierung vertritt den Standpunkt, dass dies gegen geltendes Recht verstoßen würde. Merz will eine »nationale Notlage« ausrufen, um das EU-Recht in diesem Punkt zu suspendieren.

Dem Spiegel zufolge hatte die Bundesregierung Merz sogar angeboten, sein Konzept zunächst an einem kleinen Grenzabschnitt zu testen, um zu schauen, wie Gerichte darüber urteilen würden, doch Merz ließ sich nicht erweichen. Er will sich als noch größerer Hardliner profilieren. Bei der CDU scheint es kein Halten mehr zu geben. Der Geschäftsführer der Unionsfrak­tion, Thorsten Frei (CDU) bekräftigte in der Talkshow von Markus Lanz, »alle« Migration müsse reduziert werden, nicht nur die »irreguläre«. Dabei hatte sich die Union bisher stets zur »ge­ordneten« Migration bekannt.

»Weg vom individuellen Recht auf Asyl«

Markus Söder (CSU) sagte nun offen, er wolle »weg vom individuellen Recht auf Asyl«, Kanzlerkandidat Friedrich Merz will es durch die von ihm herbeigeredete »nationale Notlage« de facto außer Kraft setzen. Und das alles, obwohl die Zahl der Asylanträge derzeit sinkt. 2024 waren es bis August rund 45.000 Erstanträge weniger als im Vorjahreszeitraum, ein Rückgang um etwa 22 Prozent.

Nach dem Scheitern des »Migrationsgipfels« flehte der Finanzminister und FDP-Vorsitzende Christian Lindner auf X, dass sich Merz noch einmal mit ihm, Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck (Grüne) direkt treffen solle. Merz ließ sich daraufhin dazu herab, ein neues Angebot zu machen: Man könne sein »Notlage«-Konzept ja ab Oktober erst einmal für drei Monate testen.

Die FDP gibt alles, um mit der Union mitzuhalten. Lindner sagte, es dürfe »keine Denkverbote« mehr in der Mi­grationspolitik geben – was immer das Unheilvolles heißen mag. Generalsekretär ­Bijan Djir-Sarai versicherte im Bundestag, es gebe »keine Ampel in der Migrationspolitik« – die FDP stehe der Union »weitaus näher« als der ­eigenen Koa­lition und sei bereit, die Forderungen der Union »eins zu eins« umzusetzen.

Die Grünen machen mit

Dabei hatte die grüne Außenminis­terin Annalena Baerbock nach dem geplatzten Gipfel unter Verweis auf den Attentäter von Solingen in Sachen Abschiebungen beteuert: »Na, aus vollem Herzen sagen wir: Wir machen da natürlich mit.« Effektive Rechtsdurchsetzung sei für die Grünen »eine Selbstverständlichkeit«.

Sahra Wagenknecht wiederum forderte, mit einer »sehr radikalen Maßnahme« dafür zu sorgen, dass nur noch eine »verschwindende Minderheit« der in Deutschland Ankommenden ein Recht auf ein Asylverfahren haben. Die Antragsteller sollen selbst beweisen müssen, nicht aus einem sicheren Drittland eingereist zu sein – de facto würde das auf eine Zurückweisung aller Asylbewerber hinauslaufen.

Summa summarum sind die übrigen Parteien – mit Ausnahme der Linkspartei – derart nah an die Forderungen der AfD von vor einem Jahr herangerückt oder haben diese ganz übernommen, dass der nur noch übrigblieb, den Aufbau einer privatwirtschaftlichen »Abschiebeindustrie« zu fordern, wie es die brandenburgische Landtagsabgeordnete Lena Kotré formulierte. Dass die anderen Parteien auch dies bald aufgreifen, steht zu befürchten.

Sowohl die Union wie die Regierungsparteien verfielen in Panik. Sie reagierten auf das weitere Erstarken der AfD mit der Übernahme von deren Anti-Asyl-Parolen. Funktioniert hat diese Strategie bisher allerdings nie.

Angeheizt hatten diese Entwicklung vor allem drei Dinge: die anschwellenden Zustimmungswerte für die AfD, der islamistische Anschlag von Solingen und die desolaten Beliebtheitswerte der Regierungskoalition in Umfragen. Angesichts der Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen und der bei den Landtagswahlen an diesem Sonntag in Brandenburg erwartbaren Resultate verfielen sowohl die Union wie die Regierungsparteien offenbar in Panik. Sie reagierten auf das weitere Erstarken der AfD mit der Übernahme von deren Anti-Asyl-Parolen.

Funktioniert hat diese Strategie bisher allerdings nie. Diese Mal könnte noch hinzukommen, dass vieles, was nun angekündigt wurde, keinen Bestand haben dürfte. Die Binnengrenzkontrollen etwa darf es den Schengen-Verträgen zufolge nur »ausnahmsweise und vorübergehend« geben. Davon kann freilich schon lange keine Rede mehr sein: Zwischen 2006 und 2015 hatten die EU-Staaten insgesamt nur 35 Mal von diesem Instrument Gebrauch gemacht, etwa wenn ein US-Präsident zu Besuch kam. Seit der hohen Zahl von Flüchtlingsankünften 2015 gab es EU-weit 404 solcher Ausnahmen.

EU-Recht schreibt geregeltes Verfahren vor

Mal wurden die Grenzkontrollen einige Wochen, mal sieben Monate lang durchgezogen. 44 Mal war es seit 2015 Deutschland, das wieder kontrollieren ließ – 2023 insgesamt 43 Wochen lang an den Grenzen zu Österreich, Polen, Tschechien und der Schweiz. Nun also an allen Landgrenzen – dabei müsse klar sein, dass »bei der Länge der Grenze keine dauerhaften und keine intensiven Kontrollen möglich sind«, sagte am Montag ein Vertreter der Gewerkschaft der Polizei.

Ob die Kontrollen tatsächlich zu mehr »Zurückweisungen« führen können, wie es Faeser erhofft, ist noch aus anderen Gründen fraglich. Das EU-Recht schreibt ein geregeltes Verfahren vor, erst dann ist eine Rücküberstellung in ein anders EU-Land nach den Dublin-Regeln möglich; ein solches Verfahren nimmt wenigstens fünf Monate in Anspruch, ein Verwaltungs­gericht muss die Rücküberstellung zudem billigen. Erst im September 2023 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass direkte Zurückweisungen an den EU-Binnengrenzen »regelmäßig rechtswidrig« sind.

Immer häufiger ist vor allem aus den Reihen der Konservativen nun zu hören, dass das Recht eben geändert werden müsse, wenn es der Abschottung im Weg stehe.

Immer häufiger ist vor allem aus den Reihen der Konservativen nun zu hören, dass das Recht eben geändert werden müsse, wenn es der Abschottung im Weg stehe. Das läuft darauf hinaus, grundlegende Normen außer Kraft zu setzen; in dieser Sache arbeiten Konservative faktisch Hand in Hand mit Rechtsextremisten.

Es war der damalige FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, der die nun aufkommende Maximalforderung auf dem EU-Innenministertreffen 2018 erstmals offiziell einbrachte: keine Asylanträge mehr auf dem Territorium der EU; Aufnahme nur noch auf freiwilliger Basis.

Ein Akt der Behauptung »nationaler Souveränität« sei dies, war seither immer wieder von stramm rechten Propagandisten zu hören. Davon würden die »wirklich Schutzbedürftigen« profitieren, meinen Konservative. Die CDU-Politiker Thorsten Frei, Friedrich Merz und Jens Spahn schlugen im vergangenen Jahr ein Ende des in­dividuellen Asylrechts vor, ebenso wie der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck, wenn auch teils Relativierungen folgten.

»Fundamentalrevision der EU-Gesetzgebung«

Auch manche Jurist:innen halten es für geboten, mit dem Asylrecht aufzuräumen. In der Debatte um Zurückweisungen haben die konservativen ­ehemaligen Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier und Peter M. Huber behauptet, man könne einfach wieder nationale Regeln über das europäische Recht stellen.

Der Europarechtler Daniel Thym fordert in der FAZ ein »reformatorisches Zurück zu den Ursprüngen«: Die Rechte von Asylsuchenden sollen gestutzt werden, europäische Gerichte weniger mitentscheiden und Nationalstaaten mehr Freiheit bei der Grenzkontrolle erhalten. Am Ende könnte laut Thym eine »Fundamentalrevision der EU-Gesetzgebung« stehen.