Raub und Restitution - eine Doppelausstellung in Wien beschäftigt sich mit der Verfolgung und Enteignung der Juden

Die Gier der Museen

Von den »Arisierungen« in der NS-Zeit profitierten auch die Sammlungen der Stadt Wien. Die zweiteilige Schau »Raub« erinnert an die Konfiszierung jüdischen Eigentums, die nur der Auftakt für die Entrechtung und Ermordung der Juden war. Die Ausstellung präsentiert sich als filmische Installation an zwei Schauplätzen. Sie beginnt im Jüdischen Museum Wien, das symbolisch für die unzähligen Orte der Beraubung steht. Dort werden die Geschichten der rechtmäßigen Besitzer erzählt und der Abtransport der gestohlenen Objekte gezeigt. Im Museum Wien beobachten die Besucher den Prozess des Auspackens und der Einverleibung in die Städtischen Sammlungen.

Mit dem »Anschluss« Österreichs an das »Deutsche Reich« am 13. März 1938 begann einer der größten Raubzüge staatlicher Institutionen in der jüngeren Geschichte. Aber auch Privatleute bereicherten sich. In den folgenden Jahren wurden allein in Wien rund 70.000 jüdische Haushalte beraubt, aufgelöst und arisiert. Die Doppelausstellung »Raub«, die noch bis Ende Oktober im Jüdischen Museum Wien und im Wien-Museum gezeigt wird, erinnert anhand von zwölf exemplarischen Fällen daran, wie die systematische Entrechtung, an deren Ende die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung stand, in Wien abgelaufen ist.

Die Nazis plünderten öffentliche Räume, aber auch Privatwohnungen, sie konfiszierten Mobiliar, Kunst und Dekorationsgegenstände. Viele Objekte wurden dann an die Sammlungen Wiener Museen verkauft oder verschenkt, einige verblieben dort bis heute.

Einen mahnenden Charakter hat allein schon der historische Ort, an dem das Jüdische Museum 1895 als weltweit erstes seiner Art errichtet wurde.

Das Konzept der Ausstellung in zwei unterschiedlichen Häusern versucht, diese Aneignung von Raubkunst aus jüdischem Besitz in einer symbolischen Handlung abzubilden: Im Jüdischen Museum am Judenplatz, dem historischen Ort der ersten Synagoge der mittelalterlichen Wiener Jüdischen Gemeinde, steht man vor großen Bildschirmen. In Videos wird nachgestellt, wie die geraubten Gegenstände verpackt und für den Transport vorbereitet werden. Die im Museum Wien gezeigten Filme dokumentieren, wie die Objekte wieder ausgepackt werden. In den kurzen Sequenzen sind nur die anonymisierten Mitarbeitenden der Museen zu sehen, wie sie ihre Arbeit verrichten.

»Wir haben versucht, dem Ganzen den Charakter eines temporären Mahnmals zu geben«, sagt Hannes Sulzenbacher, der die Ausstellung zusammen mit Gerhard Milchram kuratiert hat. Auf das Ausstellen der Objekte wurde verzichtet, um den Prozess des Raubens in den Vordergrund zu rücken. Die Ausstellung ist entsprechend nüchtern, auf das Wesentliche reduziert. Mitunter ist nur ein leises Rascheln von Papier aus dem Lautsprecher zu hören. Es entwickelt sich so eine bedrückende Atmosphäre, der sich der Betrachtende nur schwer entziehen kann.

Die Beethoven-Büste aus dem Film »Raub«

Die Beethoven-Büste aus dem Film »Raub«

Bild:
Patrick Topitschnig, Michaela Taschek

Einen mahnenden Charakter hat allein schon der historische Ort, an dem das Jüdische Museum 1895 als weltweit erstes seiner Art eröffnet wurde. Um 1200 war am Judenplatz die erste Synagoge der jüdischen Gemeinde Wien errichtet worden. Im Rahmen der »Wiener Gesera« im Jahr 1421, in der fast alle Juden Wiens zwangsgetauft, vertrieben oder hingerichtet wurden, wurde auch sie zerstört und abgerissen. Die Keller blieben allerdings weitgehend erhalten. Mauern und Kacheln sowie der Grundriss der alten Synagoge wurden mittlerweile freigelegt. Sie bilden das Untergeschoss des Museums am Judenplatz. Einen zweiten Standort hat das Jüdische Museum in der unweit gelegenen Dorotheergasse.

Die Ausstellung, die als Ergebnis von 25jähriger Provenienzforschung im Wien-Museum entstanden ist, sollte zunächst den Titel »Gier« tragen, der die niederen Motive der Täter betont hätte. »Die Museen haben alles genommen, selbst kleinste Sammlungen und Einzelstücke, die nie ausgestellt wurden«, so Sulzenbacher.

Das Schicksal der Juden Wiens

Gier und Judenhass waren beim Raub von etwa 1.500 sogenannten Mandlbögen aus der Sammlung des Bibliothekars Moriz Grünebaum die Hauptmotive. Im frühen 19. Jahrhundert waren die Papierbögen mit Figuren, die man bemalen, ausschneiden, auf Karton kleben und aufstellen konnte, sehr beliebt. »Für die Liebhaber hatten sie einen gewissen ideellen Wert, reich werden konnte man damit aber nicht«, sagt Sulzenbacher.

Moriz Grünebaum teilte das Schicksal der Juden Wiens. Wenige Wochen nach dem »Anschluss« wurde er beraubt, aus seiner Wohnung geworfen und nach Theresienstadt deportiert; seine Mutter, bei der er kurze Zeit hatte wohnen können, wurde nach Maly Trostinez verschleppt. Beide wurden ermordet. Seine gesammelten Mandlbögen verleibte sich das Wien-Museum ein; erst vor kurzem konnten die Objekte an die Erben zurückgegeben werden.

Aber auch kostbare Requisiten wurden erbeutet, zum Beispiel eine Beethoven-Büste, die noch zu Lebzeiten des Komponisten angefertigt worden war. Ein Wiener Ehepaar, das mit Beethoven befreundet war, hatte sie in Auftrag gegeben. Später wurden davon zahlreiche Kopien angefertigt. Das Original erwarb der Bankier Wilhelm Kux, ein Sozialdemokrat, der als Finanzier des »Roten Wien« galt. Seine Leidenschaft war die Musik, weshalb er über seine guten Beziehungen die Büste erworben hatte.

Aus dem Film »Raub«: die Verpackung der Beethoven-Büste

Aus dem Film »Raub«: die Verpackung der Beethoven-Büste

Bild:
Patrick Topitschnig, Michaela Taschek

Kux gelang nach dem »Anschluss« die Flucht in die Schweiz. Weil er die slowakische Staatsbürgerschaft besaß, konnte er Teile seines Besitzes mitnehmen, lediglich die Büste wurde vom Bundesdenkmalamt für den Export gesperrt und den städtischen Sammlungen zugesprochen. »Das Wien-Museum möchte die Büste und den Gegenwert gerne an die Erben geben«, sagt Sulzenbacher. Die Suche nach den Erben gestaltetet sich aber überaus schwierig, bislang wurden rund 200 Erbberechtigte ermittelt. Einer Rückgabe stehen somit einige Hürden im Weg.

»Raub« ist nach »Schuld« das zweite Projekt einer Serie von Ausstellungen am kleineren Standort des Wiener Jüdischen Museums am Judenplatz. Im November folgt eine Ausstellung mit dem Titel »Angst«, die diesem in der jüdischen Geschichte und Gegenwart beherrschenden Gefühl nachgehen wird.

Eichmann in Wien

Wien und das Schicksal der österreichischen Juden nehmen in der Geschichte der NS-Herrschaft eine zentrale Stellung ein. Hier verliefen die Enteignungen und Deportationen besonders schnell und effektiv. »Die Verfolgung in Österreich und insbesondere in Wien ging über das Reich hinaus. Die öffentliche Demütigung war krasser und sadistischer, die Enteignung besser organisiert, die Zwangsemigrierung rascher«, schreibt der Historiker Saul Friedländer in seiner Studie »Das Dritte Reich und die Juden«.

Der spätere Architekt der »Endlösung«, Adolf Eichmann, war unmittelbar nach dem »Anschluss« nach Wien gekommen, um die Enteignungen zu beschleunigen. Götz Aly und Susanne Heim weisen in ihrer 1991 erschienen Studie »Vordenker der Vernichtung: Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung« nach, dass Eichmanns »Wiener Modell« der Enteignung und Zwangsemigrierung als Vorbild für das gesamte Reich gelten sollte.

»Handle with care«: die Verpackung der Beethoven-Büste

»Handle with care«: die Verpackung der Beethoven-Büste

Bild:
Patrick Topitschnig, Michaela Taschek

Es waren aber nicht nur Gestapo und Sicherheitsdienst (SD), die sich bereicherten, wie der Raub an dem Uhrensammler Alexander Grosz zeigt. 70 Uhren aus seiner Sammlung wurden für das Wiener Uhrenmuseum beschlagnahmt. Die akribischen Aufzeichnungen seines Direktors, Rudolf Kaftan, der seit Jahrzehnten mit Grosz befreundet war, belegen dies. Das Museum brachte die Uhren nach Niederösterreich, um sie vor Luftangriffen zu schützen. Nach Kriegsende waren von den 70 Uhren nur noch 30 auffindbar. Die übrigen waren bei drei Raubwellen gestohlen worden. Erst hatten sich Wehrmachtssoldaten bereichert, dann die österreichische Zivilbevölkerung und letztlich die Soldaten der Roten Armee. Grosz hatte 1940 mit seiner Ehefrau in die USA fliehen können, wo er noch im selben Jahr gesundheitlich schwer angeschlagen verstarb.

Die Eigentümer ließen sich trotz der Bemühungen im Rahmen der städtischen Restitutionsforschung nicht mehr ausfindig machen, da die Unterlagen in den sechziger und siebziger Jahren von den Museen vernichtet worden waren. 

Viele geraubte Kunstgegenstände wurden nach dem 13. März 1938 im Wiener Auktionshaus Dorotheum versteigert. Schätzungen gehen von mehr als 15.000 aus. Die Eigentümer ließen sich trotz der Bemühungen im Rahmen der städtischen Restitutionsforschung nicht mehr ausfindig machen, da die Unterlagen in den sechziger und siebziger Jahren von den Museen vernichtet worden waren. Auch das gehört zur Geschichte des Raubs, die mit dem Ende der Nazi-Herrschaft längst nicht abgeschlossen war und ist. Die kleine, aber sehr informative Ausstellung im Jüdischen Museum am Judenplatz und im Wien-Museum zeigt dies auf eine sehr bedrückende Art und Weise.

Die Doppelausstellung »Raub« ist noch bis zum 27. Oktober im Jüdischen Museum Wien und im Wien-Museum zu sehen.