Eine Ausstellung widmet sich Oskar Schindler aus Anlass seines 50. Todestags

Gerettete Geschichte

In seiner Dauerausstellung erzählt das Sudetendeutsche Museum in München vom Leben in den Regionen Böhmens. Die Zeit des Nationalsozialismus ist dabei nur eines von vielen Kapiteln. Eine Sonderausstellung widmet sich Oskar Schindler.

Das Sudetendeutsche Museum liegt auf einer Anhöhe im Münchner Stadtteil Au-Haidhausen in einem modernen, recht verschachtelten Gebäude mit schönem Blick auf Innenstadt und Frauenkirche. Das im Oktober 2020 eröffnete Museum grenzt an das Sudetendeutsche Haus, welches 1985 vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (CSU) eröffnet wurde. Etwas unterhalb Richtung Isar liegt das eigentümlich benannte »Haus des Deutschen Ostens«, eine ebenfalls staatlich geförderte Bildungseinrichtung, die ihrer Selbstbeschreibung nach für die »Themen der früheren deutschen Staatsgebiete sowie der deutschen Siedlungsgebiete im östlichen Europa« zuständig ist.

Das von der CSU dominierte Bayern hat sich seit Ende der vierziger Jahre als Schutzmacht der rund drei Millionen Deutschen verstanden, die 1945/1946 aus der Tschechoslowakei vertrieben worden waren. Der damalige Ministerpräsident Hans Ehard (CSU) bezeichnete die Sudeten 1954 als »vierten Stamm Bayerns« (neben Altbayern, Schwaben und Franken), was seither unzählige Male wiederholt wurde. Über eine Million Sudetendeutsche ließen sich im Freistaat nieder.

Die in der Zeit des Zweiten Weltkriegs auch in Böhmen vorangetriebene Judenvernichtung verschwimmt mit Krieg und Vertreibung zu einer großen Katastrophenerzählung – die gleichsam von außen über die Sudetendeutschen hereingebrochen zu sein scheint.

Die Vertreibung der Sudetendeutschen sei ein Verstoß »gegen göttliches und menschliches Recht«, meinte Franz Josef Strauß. 1954 hat der Freistaat Bayern die Schirmherrschaft über die sudetendeutsche Bevölkerungsgruppe und 1978 die Patenschaft über die Landsmannschaft der Ostpreußen übernommen.

Dabei gab es auch in Bayern heftige Feindseligkeit gegen die Zugezogenen. Ein Plakat »Hinaus mit den Flüchtlingen aus unserem Dorf! Gebt ihnen die Peitsche statt Unterkunft – dem Sudetengesindel! Es lebe unser Bayernland!« zitiert Andreas Kossert in seinem Buch »Flucht – Eine Menschheitsgeschichte« (2020). In der Nachkriegszeit waren die Vertriebenen insgesamt eine politische Größe: Bei der Bundestagswahl 1953 holte der »Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten« 5,9 Prozent der Stimmen und wurde anschließend Regierungspartei im zweiten Kabinett unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU).

Im Foyer des Museums steht eine Statue des ältesten Sohns des letzten österreichischen Kaisers Karl I., Otto von Habsburg, der sich selbst als Paneuropäer bezeichnete und 20 Jahre im Europaparlament saß – natürlich für die CSU. Er fiel im hohen Alter durch die erstaunliche Äußerung auf, es gebe »keinen Staat in Europa, der mehr Recht hat als Österreich, sich als Opfer Hitlers zu bezeichnen«.

»Vorbild für Heimatverbundenheit«

Bis weit in die neunziger Jahre vertraten die offiziellen Vertreter der Sudetendeutschen revanchistische Positionen, inzwischen werden deutlich versöhnlichere Töne angeschlagen. Markus Söder meinte sogar, die Sudetendeutschen seien »Vorbild für Heimatverbundenheit und Brückenbauer für die guten Beziehungen zwischen Tschechien und Bayern«.

Diese Sicht prägt auch die reichhaltig ausgestattete Dauerausstellung. Die Exponate sind dreisprachig in Deutsch, Tschechisch und Englisch bezeichnet. Die Ausstellung gliedert sich nach den Kapiteln »Beneš-Dekrete«, »Heimat und Glaube«, »Wirtschaft und Kultur«, »Nationalismus und Nationalstaat«, »Verlust und Vertreibung«, »Nachkriegszeit und Neubeginn«.

Der Begriff Sudetendeutsche bezieht sich auf einen böhmischen Gebirgszug und wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts vom deutschnationalen Politiker Franz Jesser popularisiert. Nicht nur weil Juden bisweilen in den Volkszählungen als eigene Gruppe erfasst wurden, dürfte der spätere Nationalsozialist Jesser dabei an Menschen wie den deutschsprachigen Prager Juden Franz Kafka kaum gedacht haben. Dennoch scheint das Museum Kafka den Sudetendeutschen einverleiben zu wollen, so präsent ist der Schriftsteller.

Münchner Abkommen

Anders als Ostpreußen oder Pommern gehörten die Siedlungsgebiete der Sudetendeutschen, also Böhmen, Mähren, Österreichisch-Schlesien, bis zur Besetzung 1939 als Folge des ohne tschechoslowakische Beteiligung ausgehandelten Münchner Abkommens nie zum Deutschen Reich. Vor der Gründung der Tschechoslowakei, auf deren Gebiet die Sudetendeutschen ungefähr 30 Prozent der Bevölkerung ausmachten, waren sie Teil des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs.

Zwischen 1926 und 1938 waren Vertreter der Sudetendeutschen an Regierungen der Tschechoslowakei beteiligt. Das änderte aber nichts daran, dass sich viele Sudetendeutsche benachteiligt fühlten. Bei den Wahlen 1935 wurde die nationalsozialistische Sudetendeutsche Heimatfront (später Sudetendeutsche Partei) von Konrad Henlein zur zweitstärksten politischen Kraft, so dass sich Hitler entschloss, die Partei zu unterstützen.

Der Nationalsozialismus bei den Sudetendeutschen geht in der Ausstellung etwas unter. Der Hinweis der Ausstellung, dass die Sudetendeutschen lange Zeit den Sozialdemokraten anhingen, ist zwar richtig, dies gilt aber eben nur bis zu dem Zeitpunkt, als der Nationalsozialismus aufkam.

Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten

Die in der Zeit des Zweiten Weltkriegs auch in Böhmen vorangetriebene Judenvernichtung verschwimmt mit Krieg und Vertreibung zu einer großen Katastrophenerzählung – die gleichsam von außen über die Sudetendeutschen hereingebrochen zu sein scheint. Auch wenn es stimmt, dass die in animierten Geschichten plastisch vermittelten Vertreibungen unterschiedslos waren und nicht nur überzeugte Nazis trafen, darf nicht vergessen werden, dass die überwältigende Mehrheit der Sudetendeutschen den Einmarsch der Wehrmacht in Prag 1939 begrüßt hatte. Es war der Beginn der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten im sogenannten Reichsprotektorat Böhmen und Mähren.

Den Namen des Judenretters Oskar Schindler, dem das Museum seine derzeitige Sonderausstellung widmet, verbindet man bisher kaum mit den Sudetendeutschen. Der aus dem mährischen Zwittau stammende Unternehmer rettete gemeinsam mit seiner Frau Emilie 1.200 Juden vor der sicheren Ermordung.

Berühmt wurde sein Name 1993 durch den Film »Schindlers Liste« von Steven Spielberg nach einem Roman von Thomas Keneally. Die Aufführung des Schwarzweiß-Dramas mit Liam Neeson in der Hauptrolle hat Schindler nicht mehr erlebt. Er starb bereits 1974.

»Oskar Schindler – Lebemann und Lebensretter«

Aus Anlass seines 50. Todestags am 9. Oktober 2024 erzählt die Ausstellung »Oskar Schindler – Lebemann und Lebensretter« von seiner bewegten Biographie und den tollkühnen Unternehmungen, um Juden vor der Mordmaschine der Nationalsozialisten zu bewahren.

Dabei war Schindler zunächst selbst Nationalsozialist, SS-Mann und Profiteur der neuen Verhältnisse. Schon 1935 trat er in Henleins Sudetendeutsche Heimatfront ein. 1939 besorgte er die gefälschten polnischen Uniformen, mit denen die Deutschen den Angriff des östlichen Nachbarn auf den Sender Gleiwitz vortäuschten, der den Vorwand für den Beginn des Zweiten Weltkriegs schuf.

Schindlers geschäftlicher Erfolg beruhte auf seinen guten Verbindungen in hohe politische und gesellschaftliche Kreise, er war ein Kriegsgewinnler, der mit der Herstellung von Munition ein Vermögen machte und dadurch auch mit jüdischen Zwangsarbeitern in Kontakt kam. Schindler begehrte gegen die Unmenschlichkeit auf und setzte bald alles daran, möglichst viele Juden vor den Nazis zu retten.

Frankfurter Auschwitz-Prozesse

Nach der NS-Zeit kam Schindler nie wieder richtig auf die Beine. Mit seiner Ehefrau ging er nach Argentinien, kehrte später nach einem Konkurs allein nach Deutschland zurück. Immer wieder reiste Schindler zu den von ihm Geretteten nach Israel, die den nun notorisch erfolglosen Unternehmer auch finanziell unterstützten.

Schon 1955 wollte Fritz Lang einen Film über Schindler drehen. Die Ausstellung zeigt ein kurzes Interview, das das Hessische Fernsehen in den sechziger Jahren anlässlich der Frankfurter Auschwitz-Prozesse mit Schindler geführt hatte. Der »Sadismus in Reinkultur« habe sich erst in den Jahren 1941/1942 offenbart, äußert Schindler über den Nationalsozialismus. Er macht einen einsamen Eindruck. Auf das Einlesen von Schindler-Zitaten durch den Schauspieler Friedrich von Thun hätte man an dieser Stelle auch gut verzichten können.

Geschichte des Holocaust mit Happy End

Die Rolle von Emilie Schindler wird gewürdigt. Sie blieb in Argentinien, als ihr Mann in die Bundesrepublik zurückkehrte. Auch die zu Wort kommenden Zeitzeugen, deren Videoausschnitte teils aus der Shoah Foundation stammen, heben ihre Rolle hervor. Insofern ist sie in der Ausstellung nicht mehr »Die vergessene Heldin«, wie jüngst eine ihr gewidmete Arte-Dokumentation durchaus passend titelte. In den derzeit überall in München aushängenden Plakaten taucht sie aber ebenso wenig auf wie im Titel der Ausstellung: »Lebemann und Lebensretter«; das erinnert stark an das Bild, das Steven Spielberg in den Neunzigern von Schindler zeichnete. Emilie Schindler blieb in dem Drama vor allem als betrogene Ehefrau in Erinnerung.

Eine Antwort auf die Frage, was die Figur des guten Deutschen Schindler für die hiesige Erinnerung bedeutet, ist von der durchaus sehenswerten Ausstellung nicht zu erwarten. Dank Schindler ließ sich die Geschichte des Holocaust mit Happy End erzählen. Dabei war die Chance eines europäischen Juden, in den vierziger Jahren von einem Deutschen gerettet zu werden, verschwindend gering. Wie auch die Chance Oskar Schindlers, in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit Anerkennung von seinen Landsleuten zu erfahren.

Die Ausstellung »Oskar Schindler – Lebemann und Lebensretter« ist im Sudetendeutschen Museum in München noch bis zum 27. Oktober zu sehen.