Bedürfnisse und ihre Befriedigung bilden im digitalen Zeitalter weniger eine radikale, systemverändernde Kraft, als dass sie sich zu einem Diktat des unbegrenzten Genießens formieren.
Darüber, welche Bedürfnisse befriedigt werden, entscheidet letztlich die Kaufkraft. Politische Kämpfe um bezahlbaren Wohnraum oder Klimaschutz sind daher antikapitalistische Kämpfe, die Bedürfnisse zu ihrem Ausgangspunkt machen.
Bedürfnisse entstehen nicht in kollektiven Prozessen oder aus politischen Kämpfen. Sie ergeben sich aus den Lebenserfahrungen der einzelnen Menschen, in denen sich die gesellschaftliche Totalität bricht und spiegelt.
Es ist der Kapitalismus, der die Bedürfnisse der Menschen entfaltet und sie über ihre unmittelbare Naturgebundenheit hinausgetrieben hat. Die Emanzipation der Gesellschaft ist nicht durch die Befreiung von kapitalistisch geformten Bedürfnissen zu erreichen, sondern durch die nichtentfremdete Aneignung der möglich gewordenen Fülle.
Statt von der Kritik der Bedürfnisse muss die Kritik des Kapitalismus von dem Umstand ausgehen, dass die Befriedigung von Bedürfnissen in Warenform notwendig auf Ausbeutung im Produktionsprozess fußt, unter der alle Arbeiter leiden.
Statt bestimmte gesellschaftliche Ausformungen von Bedürfnissen zu kritisieren und so zu tun, als seien diese beliebig politisch aushandelbar, muss die Vermittlung von Bedürfnisbefriedigung durch das Kapitalverhältnis zum Gegenstand der Kritik gemacht werden.
Kritik an Bedürfnissen im Kapitalismus ist richtig, aber das eigentliche Problem ist die schwierige Frage, wie richtige von falschen Bedürfnissen unterschieden werden können und wie eine Aushandlung darüber gelingen kann.