In Venezuela besteht gegen Oppositionsführer Edmundo González ein Haftbefehl

Kein Strom, dafür viele Proteste

Millionen Menschen in Venezuela saßen nach einem Stromausfall im Dunkeln, die Regierung sprach von Sabotage. Unterdessen hält die Repression gegen die Opposition an.

Freitagfrüh vergangener Woche ging in der venezolanischen Hauptstadt Caracas nichts mehr: Ab 4.50 Uhr war der Strom weg. Kommunikationsminister Freddy Ñáñez von der Regierungspartei Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV) zufolge war ein Angriff auf die Infrastruktur dafür verantwortlich. »Wir sind wieder einmal Opfer von Sabotageakten in der Stromversorgung«, sagte er in einem Radiointerview.

Präsident Nicolás Maduro Moros sprach in den sozialen Medien gewohnt martialisch von einem »kriminellen Angriff verzweifelter faschistischer« Strukturen. Die Stromversorgung ist aufgrund jahrelang ausbleibender Investitionen in Wartung und Erhalt der Anlagen instabil; zudem ist das Land vor allem vom Wasserkraftwerk am Guri-Stau­see abhängig, in dem eine Störung vorlag.

»Das ganze Land weiß, dass der Mangel an grundlegenden Dienstleistungen wie Strom, Wasser, Gesundheit und anderen auf Maduros Nachlässigkeit, Korruption und ­Inkompetenz zurückzuführen ist.« Andrés Velásquez, Vorsitzender der Oppositionspartei La Causa Radical (LCR)

Davon ist in den Stellungnahmen der Verantwortlichen der Ministerien allerdings nicht die Rede. Mehrfach wurde für den Stromausfall stattdessen die Opposition verantwortlich gemacht, was Andrés Velásquez, der Vorsitzende von La Causa Radical (LCR), als »Frechheit« bezeichnete.

Die sozialdemokratische Partei, die in der Opposition für Arbeitsrechte eintritt und zuletzt bei den Parlamentswahlen 2015 vier Mandate erhielt, kritisierte, dass die Regierung Edmundo González Urrutia, Maduros Gegenkandidaten bei der Präsidentschaftswahl vom 28. Juli, und die Oppositionsführerin María Corina Machado vom Bündnis Plataforma Unitaria Democrática (Demokratische Einheitsplattform, PUD) für den Stromausfall verantwortlich mache. Das sei »der einfachste Weg, sich aus der Sache herauszuwinden. Aber das ganze Land weiß, dass der Mangel an grundlegenden Dienstleistungen wie Strom, Wasser, Gesundheit und anderen auf Maduros Nachlässigkeit, Korruption und ­Inkompetenz zurückzuführen ist«, schrieb Velásquez auf X.

Vorwürfe der Wahlfälschung bei der Präsidentschaftswahl

Ohnehin dreht sich derzeit fast alles in Venezuela um die Frage der politischen Zukunft und weiterhin um die Vorwürfe der Wahlfälschung bei der Präsidentschaftswahl, bei der Maduro als Sieger proklamiert wurde, obwohl sein Herausforderer González in allen Umfragen vorn gelegen hatte. Das Oberste Gericht des Landes (Tribunal Supremo de Justicia, TSJ) hat trotz der Betrugsvorwürfe der Opposition am 23. August die hochumstrittene Wiederwahl Maduros bestätigt. Das Gericht habe, so heißt es, »auf nicht anfechtbare Weise« die Wahlunterlagen überprüft und die von der Nationalen Wahlkommission veröffentlichten Ergebnisse der Präsidentenwahl bestätigt, so die Gerichtspräsidentin Caryslia Beatriz Rodríguez – allerdings gilt das TSJ nicht als unabhängige Institution.

Darauf reagierte González in den sozialen Medien mit einem Wort: »Ungültig«. González, ehemals Botschafter Venezuelas in Argentinien, ist untergetaucht, weil er berechtigterweise seine Festnahme befürchtet. Die Staatsanwaltschaft hat am Montag einen Haftbefehl gegen ihn erwirkt: Ihm werden Verbreitung von Falschnachrichten, Anstiftung zum Putsch, Amtsanmaßung, Urkundenfälschung und Verbindungen zu Geldgebern des Terrorismus zur Last gelegt. Zuvor hatte González auch die dritte Vorladung der Staatsanwaltschaft zum Verhör ignoriert. Mehrere lateinamerikanische Länder erkennen den Oppositionskandidaten als rechtmäßigen Wahlsieger an. Die EU, die USA und weitere lateinamerikanische Länder, darunter Brasilien und Kolumbien, weigern sich zumindest, Maduros Wahlsieg anzuerkennen, sie fordern Transparenz und konkret, dass die Wahlbehörde Consejo Nacional Electoral (CNE) die detaillierten Wahlergebnisse offenlegt. Genau das dürfte aber kaum möglich sein, ohne dass die Behörde ihr Gesicht verliert, weil die Opposition mehr als 70 Prozent der Auszählungen aus den Wahllokalen bereits im Internet veröffentlicht hat.

»Mangel an Transparenz und Wahrhaftigkeit der verkündeten Ergebnisse«

Die offiziellen Stellen behaupten, dass der CNE Opfer eines Cyberangriffs wurde. Dem schloss sich das TSJ an. Das Gericht teilte mit, es gebe »Beweise für einen massiven Cyberangriff auf das Wahlsystem«. Rodríguez reklamierte dennoch, das Gericht habe das Ergebnis der Wahlbehörde überprüfen können. Es werde »durch die von den einzelnen Wahlmaschinen ausgegebenen Stimmzettel gestützt«. Diese »stimmen vollständig mit den Aufzeichnungen in den Datenbanken der nationalen Auszählungszentren überein«.

González ließ wissen, der Versuch, die Wahlergebnisse juristisch absegnen zu lassen, ändere nichts an der Wahrheit. »Wir haben mit überwältigender Mehrheit gewonnen«, schrieb er. Auch der chilenische Präsidenten Gabriel Boric teilte mit: »Es besteht kein Zweifel daran, dass wir es mit einem Diktator zu tun haben, der Wahlen fälscht und Andersdenkende unterdrückt.« Uruguays Präsident Luis Alberto Lacalle Pou und sein guatemaltekischer Amts­kollege César Bernardo Arévalo de León bezeichneten das Urteil des Obersten Gerichts als »Betrug«.

Diese Sicht der Dinge stützt eine Aussage von Juan Carlos Delpino Boscán. Er ist eines von fünf Mitgliedern des CNE und mittlerweile untergetaucht. Alles, was »vor, während und nach« der Präsidentschaftswahl geschehen sei, zeige »die Schwere des Mangels an Transparenz und Wahrhaftigkeit der verkündeten Ergebnisse«, schrieb Delpino in einem Post. Dadurch bestärkt er die Zweifel an der Unparteilichkeit des CNE und des TSJ. Die hatte auch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Frage gestellt. Die Regierung habe »in unzulässiger Weise Einfluss auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs genommen«, schrieb die Vorsitzende der Expertengruppe bei X, Marta Valiñas; eine Einschätzung, die Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch teilen.

Weitere Demonstrationen angekündigt

Die Opposition hat weitere Demonstrationen angekündigt und will im ­Januar, wenn Maduros noch laufende Amtszeit endet, die Regierung zu übernehmen. Doch bleibt unklar, wie das gehen soll. Maduro klammert sich an die Macht. Bestes Beispiel dafür ist die Verlegung von 700 der bislang rund 2.400 festgenommenen Demons­trant:in­­nen in ein Hochsicherheitsgefängnis – ohne die Angehörigen zu ­benachrichtigen. Das kritisieren Menschenrechtsorganisationen wie Provea in Caracas.

Bei den Protesten sind ­Angaben der venezolanischen Generalstaatsanwaltschaft zufolge bislang 27 Menschen getötet und mehr als 190 verletzt worden. Diese Zahl könnte in den nächsten Tagen weiter steigen. Die Opposition hat darauf hingewiesen, dass einige der bei den Protesten Fest­genommenen erst 13 Jahre alt seien und mit älteren Kriminellen in Gefängnissen inhaftiert worden sind. Das widerspricht internationalen Menschenrechtskonventionen.