Der Machtkampf um die ­Kontrolle der Zentralbank droht in Libyen, den Bürger­krieg neu zu entfachen

Die Bankiers der Milizen

In Libyen könnte ein sich zuspitzender Machtkampf um die Kontrolle der Zentralbank den Bürgerkrieg wiederaufflammen lassen.

Es war eine besondere Art des Banküberfalls. Am 25. August stürmten Milizen die libysche Zentralbank in der Hauptstadt Tripolis und setzten einen neuen Vorstand ein, der sofort die Amtsgeschäfte übernahm.

Der bisherige Direktor des Instituts, Sadiq al-Kabir, der die Zentralbank seit 2011 geleitet hatte, berichtete kurze Zeit später aus dem Ausland, aufgrund der gewaltsamen Übernahme der Bank aus Libyen geflohen zu sein, und forderte das Personal der Zentralbank auf, die Arbeit bis zu seiner Wiedereinsetzung zu verweigern. Die Zentralbank untersteht dem libyschen Innenminister der von der Uno anerkannten Übergangsregierung in Westlibyen unter Ministerpräsident Abd al-Hamid Dbeiba, der mit al-Kabir schon seit längerem über Kreuz lag, weil die Zentralbank Dbeiba Verschwendung vorwarf.

Der Zentralbankdirektor verfügt über enorme Macht. Die Zentral­bank verwaltet die Einkünfte aus dem Rohölexport, von denen das Land abhängig ist.

Die Gegenregierung im Osten des Landes verurteilte die Amtsenthebung al-Kabirs als illegal und stellte unter dem Vorwand »höherer Gewalt« den Betrieb von fünf Ölanlagen ein, die zuvor insgesamt 750.000 Barrel pro Tag im Land förderten; die Gesamtproduktion Libyens liegt bei etwa 1,2 Millionen Barrel pro Tag. Am 31. August hob die Gegenregierung die Produktionseinstellung von drei der fünf Ölanlagen wieder auf, verlangt aber weiterhin die Wiedereinsetzung al-Kabirs. Zu diesem Zeitpunkt hatte eine Übergangsverwaltung die Zentralbank, ihre internen Banksysteme und ihre Social-Media-Accounts übernommen.

Der von der westlibyschen Regierung bereits seit 2018 favorisierte Zentralbankdirektor Mohammed al-Shukri war nicht an Ort und Stelle, er kritisierte seine eigene Ernennung und verlangte eine rechtlich korrekte Einsetzung, also die Zustimmung beider Parlamente, des im Ostens und des im Westens.

Diese Entwicklungen sind der vorläufige Höhepunkt eines erneut hochkochenden Machtkampfs um die Zen­tralbank, der sich bereits vor einem Monat angekündigt hatte und den Kern des politischen Konflikts um Pfründe, Macht und Geld in Libyen darstellt. Der Posten des Zentralbankdirektors ist mehr als ein blasses Verwaltungsamt, ihm kommt vielmehr große Macht zu.

Schleichender Zerfall einer lange Zeit robusten politischen Allianz

Die Zentralbank verwaltet den libyschen Dinar sowie die Einkünfte aus dem Rohölexport, von denen das Land abhängig ist. Somit entscheidet die Zentralbank, an wen Gelder fließen, weswegen die beiden konkurrierenden Regierungen in Libyen jeweils ein Interesse daran hatten, sich mit al-Kabir gut zu stellen. Er war der einzige einflussreiche Amtsträger im Land, der dessen Spaltung in zwei Machtbereiche unter rivalisierenden Regierungen und mit separaten Banksystemen im Jahre 2014 überstanden hatte.

Die Gegenregierung hat ihren Sitz in Bengasi und ist vom Milizenführer Khalifa Haftar abhängig; in ihrem Machtbereich befinden sich die meisten Ölanlagen des Landes. Der Westen ­Libyens wird von Milizen kontrolliert, die mit Dbeiba kooperieren. Dessen ­Regierung gewährt ihnen im Rahmen ihres Budgetrechts Zugriff auf Gelder, die die Zentralbank verwaltet.

Die derzeitigen Turbulenzen begannen im Sommer 2023 mit einem schleichenden Zerfall einer lange Zeit robusten politischen Allianz zwischen dem Dbeiba-Clan und al-Kabir. Der Grund für diesen Bruch ist nicht sicher geklärt, es gibt Mutmaßungen, dass der als äußerst korrupt geltende Dbeiba-Clan al-Kabir durch einen eigenen Repräsentanten ersetzen wollte und al-Kabir dies verhindern konnte.

Falschgeld in Ostlibyen

Zu diesem Zeitpunkt galt in Libyen eine informelle Übereinkunft zwischen den beiden Machtzentren des Landes: Die ostlibysche Regierung verzichtete darauf, die Ölanlagen in ihrem Machtbereich zu blockieren, die westlibysche Regierung konnte über die Zentralbank dafür sorgen, dass der Ölreichtum auf eine für beide Seiten akzeptable Weise geteilt wird.

Nach dem Bruch mit dem Dbeiba-Clan wandte sich al-Kabir heimlich dem Haftar-Clan zu. Auch die libysche Öl­behörde, die den Export organisiert, machte bereits mit Haftar Geschäfte. Al-Kabir ermöglichte die Wiedervereinigung des gespaltenen libyschen Bankensystems und begann, die angehäuften Schulden ostlibyscher Banken heimlich zu begleichen. Etwa zur gleichen Zeit begann eine auffällig rege Bautätigkeit im Osten Libyens, überwiegend unter Federführung von Unternehmen, die dem Haftar-Clan zugerechnet werden können. Die Vorgänge waren derart intransparent, dass die westlibysche Regierung von alledem wenig mitbekam.

Ebenfalls während dieser Zeit tauchte immer mehr Falschgeld in Ostlibyen auf, gedruckt teils im Land selbst und teils in Russland, das Haftar unterstützt. Die Blüten kursierten als Zahlungsmittel und konnten sogar gegen US-Dollar eingetauscht werden. Al-Kabir tolerierte dies im Sinne Haftars, der sich so zusätzliche Finanzmittel verschaffte.

Schließlich reduzierte al-Kabir sogar die Überweisungen an Dbeibas Regierung und begründete dies mit Korruptionsvorwürfen gegen dessen Clan. Da diese Vorwürfe weitgehend zutreffen, wurde al-Kabirs Vorgehen nicht mit seiner Annäherung an Haftar in Verbindung gebracht.

Kräfteverhältnis zugunsten des Haftar-Clans verschoben

Durch das Verhalten der Zentralbank hat sich das Kräfteverhältnis im Land stark zugunsten des Haftar-Clans verschoben. In Tripolis fiel vermehrt der Strom aus und es mangelt seither an Benzin, während der Haf­tar-Clan mit al-Kabirs Schuldentricks, profitablem Benzinschmuggel und Falschgelddrucken sein Unterstützernetzwerk ausbauen und aufrüsten konnte. Die Sicherheitslage in Tripolis verschlechterte sich zusehends, Anfang August wurden bei Kämpfen zwischen zwei Dbeiba unterstützenden Milizen neun Menschen getötet. Der Haftar-Clan fühlte sich militärisch so stark, dass er mit einem Truppenaufmarsch in der südwestlichen Wüstenregion das Waffenstillstandsabkommen verletzte. Ein erneuter Ausbruch des Bürgerkriegs konnte jedoch zunächst verhindert werden, Haftars Truppen zogen wieder ab.

Zur selben Zeit geriet das Land in eine weitere Verfassungskrise. Der Hohe Staatsrat, das westlibysche Parlaments­oberhaus, hat in einer tumultartigen Sitzung am 6. August nach offiziellen Angaben einen neuen Vorsitzenden gewählt, den Muslimbruder Khalid al-Mishri. Der bisherige Vorsitzende ­Mohammed Takala wurde demnach mit bloß einer Stimme Differenz abgewählt, er focht die Wahl jedoch an: Eine Stimme sei ungültig gewesen. Al-Mishri ließ sich von Milizen an seinen Amtssitz eskortieren, doch Takala besteht weiterhin auf seinem Amt und veröffentlicht bis heute weiter Pressemeldungen im Namen des Hohen Staatsrats.

Im August wurden die Zahlungstricks der Zentralbank bekannt, woraufhin sich die westlibysche Regierung in Tripolis gezwungen sah, al-Kabir zu ersetzen, um die Kontrolle über die Zentralbank zurückzugewinnen. Am 11. August drohten Dbeiba unterstützende Milizen zum ersten Mal, die Zentralbank zu übernehmen, zogen jedoch wieder ab. Infolgedessen sprach das ostlibysche Parlament am 13. August der westlibyschen Regierung jegliche Legitimation ab.

Bruch der von den UN ausgehandelten fragilen Ordnung

Die Machtbefugnisse des Präsidialrats und des Ministerpräsidenten wurden in einer umstrittenen Entscheidung auf die ostlibysche Regierung übertragen, obwohl dies einem Bruch der von den UN ausgehandelten fragilen Ordnung gleichkommt, die den Waffenstillstand im Land sicherstellen soll. Diesen Schritt verurteilten zahlreiche Personen aus der nationalen und internationalen Politik.

Anstatt nun eine komplizierte Einigung der zerstrittenen west- und ostlibyschen Parlamente und Institutionen über einen neuen Zentralbankvorstand und -direktor auszuhandeln, setzte der entmachtete Präsidialrat unter Präsident Mohamed Yunus al-Menfi am 18. August per Verfügung einen neuen Vorstand ein. Auch dies wurde weithin verurteilt, jedoch letztlich gewaltsam durch west­libysche Milizen durchgesetzt. Es kursieren gar unbestätigte Gerüchte, dass der Präsidialrat den Notstand ausrufen und die Machtbefugnisse der zerstrittenen Parlamente einschränken könnte.

In Libyen gibt es nun zwei Parlamente, drei Parlamentspräsidenten, zwei Regierungen – und drei Zentralbankdirektoren.

In Libyen gibt es nun zwei Parlamente, drei Parlamentspräsidenten, zwei Regierungen – und drei Zentralbankdirektoren. Das ostlibysche Parlament sieht al-Kabir weiterhin als amtierenden Zentralbankleiter, dieser befindet sich jedoch mutmaßlich außer Landes. Faktisch wird die Zentralbank derzeit von einem vom Präsidialrat ernannten Übergangsdirektor namens Abd al-Fattah Abd al-Ghaffar geleitet, ohne dass sichergestellt wäre, dass die Zentralbank tatsächlich Überweisungen, Gehälter und andere finanzielle Dienstleistungen bereitstellen kann.

Der von der westlibyschen Regierung eingesetzte Zentralbankdirektor al-Shukri weigert sich derweil, sein Amt anzutreten, weil er zunächst eine nationale Übereinkunft über seine Ernennung wünscht. Anfang September vereinbarten die rivalisierenden Fraktionen, sich auf einen Zentralbankdirektor zu einigen, doch aufgrund der Spannungen ist fraglich, ob das gelingt.