Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro lässt sich zum Wahlsieger erklären

Unumkehrbares Ergebnis

Es gab die Hoffnung, dass sich Präsident Nicolás Maduro einen politischen Wandel in Venezuela nicht länger in den Weg stellen werde. Doch die Wahlbehörde hat ungeachtet von Manipulationsvorwürfen und Protesten den Sieg des Amtsinhabers bei der Präsidentschaftswahl verkündet.

Margarita López Maya ist konsterniert. Die venezolanische Sozialwissenschaftlerin war lange skeptisch, ob es einen Wandel in Venezuela geben werde, doch es gab auch Hoffnungszeichen. So hatte sie auf ihrer Facebook-Seite ein Interview der spanischen Tageszeitung El País mit Nicolás Maduro Guerra verlinkt.

In dem hatte der 34jährige Sohn des autoritär regierenden Präsidenten Venezuelas, Nicolás Maduro Moros, und Parlamentsabgeordnete der Regierungspartei Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV) wenige Tage vor den Wahlen angekündigt, dass sein Vater und das politische Establishment einen Sieg der Opposition bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag anerkennen würden.

Venezuelas Opposition hatte ihre Beobachter dazu aufgerufen, bis zum Ende der Stimmenauszählung in den Wahllokalen zu bleiben. Doch das war kaum möglich.

Doch die Realität nach der Wahl sieht anders aus: Sehr schnell hat Elvis Amoroso, der Leiter der Wahlbehörde CNE, mitgeteilt, dass nach Auszählung von 80 Prozent der abgegebenen Stimmen Amtsinhaber Nicolás Maduro mit 51,2 Prozent der Stimmen führe. Das ist mehr als eine Überraschung, denn in allen Umfragen hatte Edmundo González Urrutia, der aussichtsreichste Oppositionskandidat, vorn gelegen – der Wahlbehörde zufolge kommt er aber nur auf 44,2 Prozent der Stimmen. Das Ergebnis sei »unumkehrbar«, merkte Amoroso nach dessen Verkündung an.

Die Wahlbehörde hat bisher keine offiziellen Auszählungsergebnisse aus den 15 797 Wahllokalen veröffentlicht, so dass nicht überprüft werden kann, wie das Ergebnis zustande kam. Zudem gilt die Wahlbehörde zumindest der Opposition nicht als unabhängig, sondern als verlängerter Arm der Regierung; Amoroso soll mit dem Präsidentenpaar befreundet sein.

Vorwurf des Wahlbetrugs

Folgerichtig kursiert der Vorwurf des Wahlbetrugs in dem Land mit den größten bestätigten Erdölreserven der Welt. Auch im Ausland gibt es Kritik und Zweifel. US-Außenminister Antony Blinken äußerte »ernsthafte Bedenken«, ob das von der Wahlbehörde verkündete Ergebnis dem Willen des Volkes entspreche. Chiles Präsident Gabriel Boric hält den Wahlsieg des venezolanischen Amtsinhabers für wenig glaubwürdig, und Kolumbiens Regierung regte eine detaillierte, unabhängige Überprüfung des Wahlergebnisses an.

Ob das möglich sein wird, ist fraglich. Ohnehin entsprachen der Wahlkampf und auch die Wahl selbst nicht internationalen Standards. Im vorigen Jahr wurde María Corina Machado, die die Vorwahlen des Oppositionsbündnisses Plataforma Unitaria Democrática (Demokratische Einheitsplattform, PUD) gewonnen hatte, die Ausübung öffentlicher Ämter untersagt. Deshalb kandidierte bei der Präsidentschaftswahl anstelle der umtriebigen Liberalen, der nachgesagt wird, eine harte neoliberale Politik in Venezuela durchsetzen zu wollen, der pensionierte Diplomat Edmundo González Urrutia.

Der Kandidat der PUD lag in etlichen Umfragen bis zu 30 Prozentpunkte vor Amtsinhaber Maduro. Allerdings sind die Umfragen in Venezuela wenig zuverlässig, so dass ein knapperes Ergebnis durchaus wahrscheinlich war, auch weil Maduro viel bessere Möglichkeiten hatte, seinen Wahlkampf zu führen, und praktisch überall zu sehen war.

Situation immer angespannter

Die Opposition hatte schon vor der Wahl vor Unregelmäßigkeiten gewarnt und ihre Beobachter dazu aufgerufen, bis zum Ende der Stimmenauszählung in den Wahllokalen zu bleiben. Doch das war de facto kaum möglich. So wurde die Hauptbeobachterin der PUD, Delsa Solórzano, daran gehindert, das Gebäude der Wahlbehörde zu betreten. Diese habe, so Solórzano, einige Wahllokale angewiesen, keine Ergebnisse mehr zu übermitteln.

Hinzu kommt, dass unabhängige internationale Wahlbeobachter nicht ­immer zugelassen wurden. Die EU war beispielsweise nicht mit Beobachtern vertreten, da die CNE eine Einladung mit Verweis auf EU-Sanktionen gegen Venezuela widerrufen worden war. Vier ehemaligen lateinamerikanische Präsidenten wurde nach Angaben der panamaischen Behörden die Anreise zur Wahlbeobachtung verunmöglicht.

Die Situation wird so immer angespannter in dem ohnehin stark pola­risierten Land. Der Oppositionskandidat González sagte in einer ersten Stellungnahme: »Die Venezolaner und die ganze Welt wissen, was passiert ist.« Maria Corina Machado teilte mit, der Vorsprung von González sei »überwältigend«. Das Land habe »einen neuen designierten Präsidenten«, eben ­Edmundo González Urrutia. Er habe 70 Prozent der Stimmen erhalten und nicht 44 Prozent. Woher diese Zahlen kommen, ist unklar.

Militärführung steht fest zum Präsidenten

Machado wandte sich an die Militärführung, die fest zum Präsidenten steht: »Das venezolanische Volk hat gesprochen: Es will Maduro nicht.« Es sei an der Zeit, sich auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen. »Sie haben eine Chance, und zwar jetzt«, schrieb die populäre Frau auf der Plattform X.

Die Sozialwissenschaftlerin Margarita López Maya befürchtet einen Staatsstreich von Maduro, der in einer ersten Stellungnahme angekündigt hatte, es werde »Frieden, Stabilität und Gerechtigkeit« in Venezuela geben. Maduro, 61 Jahre alt und ehemaliger Busfahrer, sicherte zudem »Frieden und Respekt für das Gesetz« zu und präsentierte sich als »Mann des Friedens und des Dialogs«.

Doch das erscheint vielen in Venezuela und auch außerhalb des Landes unglaubwürdig. Die Nichtregierungsorganisation Foro Penal berichtete von mehr als 300 politischen Häftlingen, zwischen fünf und sieben Millionen Menschen haben das Land in den vergangenen Jahren wegen der politisch-ökonomischen Krise verlassen. Miese Löhne, Hunger, die Talfahrt der Ölindustrie – für die Krise machen viele die Politik von Maduro und dessen Partei PSUV verantwortlich, die wiederum die Schuld auf die USA und deren ökonomische Sanktionen schieben.

Tausende protestierten gegen die Wahlmanipulation

Die konzilianten Äußerungen von Maduros Sohns waren wohl nur ein Täuschungsmanöver, denn der Präsident hat mehrfach gesagt, er werde die Macht im Falle einer Wahlniederlage nicht abgeben, und vor einem »Blutbad« gewarnt. Worte, die viele in Venezuela ernst nehmen.

In der Hauptstadt Caracas und anderen Städten protestierten am Montag Tausende gegen die Wahlmanipulation. Demonstrierende errichteten Barrikaden, es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei, die Tränengas und Gummigeschosse einsetzte. In Yaracuy wurde ein Demonstrant getötet. Sollte Maduro trotz der Proteste und internationaler Kritik stur bleiben, sehen viele nur noch einen Ausweg. Eine Umfrage des in Caracas ansässigen Meinungsforschungsunternehmens Delphos vom April ergab, dass etwa ein Viertel der Venezolanerinnen und Venezolaner darüber nachdenkt, auszuwandern, falls Maduro eine dritte Amtszeit erhalten sollte. Sein fragwürdiger Sieg könnte zu einer weiteren Auswanderungswelle führen.