Im Europaparlament dominiert der Rassemblement national jetzt die drittgrößte Fraktion

Marine Le Pens vergrößerte Truppe in Brüssel

Nach dem Wahlerfolg des französischen Rassemblement national bei der Europawahl ist der Einfluss von Marine Le Pens Partei im EU-Parlament gewachsen. Sie dominiert nun die neu gegründete drittgrößte Fraktion des EU-Parlaments, »Patrioten für Europa«.

Der 28jährige Jordan Bardella bleibt als Europaabgeordneter in Brüssel und wird nicht Ministerpräsident Frankreichs. Für französische Rechtsextreme ist das eine Enttäuschung, hatten sie doch große Hoffnung in ihn gesetzt, nachdem der Rassemblement national (RN) unter seinem Vorsitz die meisten Stimmen bei der französischen Europawahl geholt hatte.

Bardellas politischer Einfluss in Brüssel dürfte jedoch wachsen. Die am 8. Juli offiziell gegründete rechtsextreme Fraktion der »Patrioten für Europa« wird – nach den Konservativen und Sozialdemokraten – die drittgrößte im Europäischen Parlament sein, und er übernimmt deren Vorsitz. Der RN stellt mit 30 Abgeordneten die mit Abstand größte Gruppe innerhalb der Fraktion, die voraussichtlich aus 84 Abgeordneten bestehen wird. Es ist eine Fraktion, in der vor allem Marine Le Pen die Spielregeln bestimmt.

Die »Patrioten« bestehen mehrheitlich aus Mitgliedern der bisherigen Fraktion »Identität und Demokratie«, die im neuen EU-Parlament nicht rekonstituiert wurde. Ihr gehörten neben dem RN unter anderem auch die österreichische FPÖ, die italienische Lega und der belgische Vlaams Belang an, die nun gleichfalls an der Fraktion der »Patrioten« beteiligt sind.

Marine Le Pen möchte Bündnisse mit Konservativen schließen, um mehr Einfluss auf die europäische Politik zu nehmen. Die Zeiten, in denen der Front national für einen Austritt aus der EU warb, sind vorbei.

Die größte Neuheit ist der Eintritt der ungarischen Partei Fidesz um Ungarns Präsidenten Viktor Orbán, die mit zehn Abgeordneten die zweitgrößte Gruppe stellt. Fidesz verließ die konservative Europäische Volkspartei (EVP) ebenso wie deren EU-Parlamentsfraktion 2021, nachdem der ungarische Abgeordnete Tamás Deutsch dem Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber (CSU) »Gestapo-Methoden« vorgeworfen hatte. Mit dem Austritt kam Fidesz ihrem Rausschmiss aus der EVP zuvor.

Die Fidesz-Europaabgeordneten waren seither fraktionslos. Politisch hätten sie in vielerlei Hinsicht auch in die Fraktion »Europäische Konservative und Reformer« (EKR) gepasst, in der die italienische Fratelli d’Italia und die polnische PiS die größten Gruppen stellten (und weiterhin stellen), doch dem stand ein wichtiges Thema entgegen: die Haltung zur Ukraine. Das einigende Element der EKR um die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Viktor Orbán vertritt die gegenteilige Position und nutzte den Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft Anfang des Monats, um auf »Friedensmission« nach Moskau zu reisen und sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen. Wenige Tage später bombardierte Russland dann wieder Kiew – getroffen wurde auch eine Kinderklinik.

»Pro-Europa, Pro-Ukraine und Pro-Rechtsstaat«

Die Unterstützung der Ukraine ist für die EKR aber nicht nur eine Frage der Überzeugung, sondern auch der politischen Anschlussfähigkeit an das konservative Lager. Damit die Fraktion im Europäischen Parlament Einfluss auf die Gesetzgebung und die Abstimmungen gewinnen kann, ist sie darauf angewiesen, dass die EVP lieber mit ihr zusammenarbeitet als mit den Grünen.

Der EVP-Fraktions- und Parteivorsitzende Manfred Weber (CSU) warb in der Tat mehrfach für ein »italienisches Modell« auf EU-Ebene und nannte die Rechtsaußen-Regierung in Rom ein Vorbild für eine Zusammenarbeit rechter Kräfte »über politische Familien hinweg ». Die drei Bedingungen, die Weber dafür nennt, sind »Pro-Europa, Pro-Ukraine und Pro-Rechtsstaat« und die sind ihm zufolge bei Meloni gegeben. Die »Patrioten für Europa« hingegen haben keine eindeutige Haltung zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, aber dafür mehrere mit Putin sympathisierende Parteien in ihrer Fraktion.

Die Zusammensetzung der Europaparlamentsfraktion »Patrioten für Europa«

Die Zusammensetzung der Europaparlamentsfraktion »Patrioten für Europa«

Bild:
Wikipedia

Marine Le Pen geht zwar mit ihren Offerten an Putin nicht ganz so weit wie Orbán, doch auch der Wahlerfolg des RN in der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen wurde von der russischen Regierung enthusiastisch kommentiert. »Die Bevölkerung von Frankreich will eine souveräne Außenpolitik, die ihren nationalen Interessen dient und mit dem Diktat aus Washington und Brüssel bricht«, schrieb das russische Außenministerium auf X (ehemals Twitter). 

Le Pen verfolgt das gleiche Ziel wie Meloni

Marine Le Pen hatte im Wahlkampf angekündigt, keine Angriffe der Ukraine auf russisches Territorium mit französischen Waffen zu erlauben und keine französischen Truppen in die Ukraine zu entsenden. Seit dem russischen Einmarsch im Jahr 2022 kritisierte sie immer wieder scharf die gegen Russland verhängten Sanktionen und die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine; vor 2022 hatte sie sich wiederholt dafür ausgesprochen, die Annexion der Krim durch Russland anzuerkennen. Bis im vergangenen Jahr zahlte der RN einen Kredit in Höhe von sechs Millionen Euro ab, den sein Vorläufer, der Front national, im Jahr 2014 bei einer russischen Bank aufgenommen hatte.

Le Pen verfolgt letztlich das gleiche Ziel wie Giorgia Meloni. Auch sie möchte, obwohl die Ursprünge ihrer Partei letztlich im Faschismus liegen, Bündnisse mit Konservativen schließen, um mehr Einfluss auf die Politik der EU zu nehmen. Die Zeiten, in denen der Front national für einen EU-Austritt warb, sind vorbei.
Es gab schon Abstimmungen in Europäischen Parlament, vor allem bei Asylpolitik und Green Deal, in denen sich die Konservativen ihre Mehrheit mit Stimmen der Rechtsextremen gesichert haben – eine offizielle Zusammenarbeit mit der ID-Fraktion oder nun der der »Patrioten« meiden die Konservativen jedoch. Da es im EU-Parlament keinen Fraktionszwang gibt, kommt es auch zu wechselnden Mehrheiten und Bündnissen.

Doch noch hält der cordon sanitaire gegen den RN und die »Patrioten« in Brüssel. Es sieht derzeit so aus, als würde die Fraktion weiter von Führungspositionen ausgeschlossen bleiben. Ein Problem für die Kooperation mit der konservativen EVP – in deren Fraktion CDU und CSU die größte Gruppe stellen – haben die »Patrioten« jedoch bereits erledigt: Die deutsche AfD ist raus. Schon die ID-Fraktion schloss die AfD-Europaparlamentarier vor allem auf Druck von Le Pen im Mai, also kurz vor der Europawahl, aus. Sie wollte sich im Wahlkampf nicht vorwerfen lassen, dass ihre Leute in derselben Fraktion sitzen wie der AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah, der kurz zuvor gesagt hatte, nicht alle Männer in SS-Uniform seien Verbrecher gewesen.

Le Pens großes Ziel ist die französische Präsidentschaft

Zudem ist Marine Le Pens großes Ziel die französische Präsidentschaft, die sie 2027 erringen will. Dafür versucht sie, die Tochter des Holocaustleugners und Parteigründers Jean-Marie Le Pen, moderater zu wirken, als sie ist. Deswegen darf die AfD auch nicht in die Fraktion der »Patrioten« hinein, obwohl sie Krah aus ihrer parlamentarischen Delegation ausgeschlossen hat. Le Pen und Bardella wollen im Europaparlament als Partner anerkannt werden und Mehrheiten In aller Freundschaftmit den Konservativen organisieren. Für CDU und CSU ist es leichter, solche Bündnisse zu schmieden, wenn sie dafür nicht mit der AfD zusammenarbeiten müssen.

Fraktionen erhalten im EU-Parlament mehr Geld, Mitarbeiter und Redezeit – deswegen lohnt es sich für Abgeordnete und Partei, einer Fraktion beizutreten, weswegen auch die AfD danach strebt. Bedingung dafür ist allerdings, dass 23 Abgeordnete aus sieben Staaten zusammenkommen. Nach aktuellem Stand hat die AfD 25 Abgeordnete aus acht Staaten zusammengetrommelt, von denen sie 14 selbst stellt. Die Fraktion trägt den Namen »Europa Souveräner Nationen«.

Es handelt sich dabei um Leute, die selbst den »Patrioten für Europa« und der EKR zu rechtsextrem oder durchgeknallt waren. Damit tut die AfD den »Patrioten« einen großen Gefallen, denn neben ihr und ihren Gefolgsleuten wirken Bardella und Marine Le Pen gleich viel moderater – etwa so, wie Alice Weidel neben einem Neonazi-Hooligan mit Baseballschläger in der Hand noch recht moderat wirkt.