Jean-Luc Mélenchon spielt sich als Anführer der Linken auf

Die Linke, das bin ich!

Jean-Luc Mélenchon geriert sich als der Anführer der französischen Linken. Der Gründer der Partei La France insoumise ist ein Populist, der opportunistisch seine Positionen wechselt, antisemitische Ansichten vertritt und seine Partei in autokratischer Manier führt.

Bis heute bezeichnet Jean-Luc Mélenchon den langjährigen sozialistischen französischen Präsidenten François Mitterrand als seinen Mentor – weitere persönliche Vorbilder sind Fidel Castro und Hugo Chavez. Mélenchons politische Laufbahn begann Anfang der siebziger Jahre in einer trotzkistischen Gruppe, doch 1976 trat er in den sozialdemokratischen Parti socialiste (PS) ein und machte dort bald Karriere. 1983 wurde er in den Stadtrat von Massy gewählt und 1988 dann zum Senator. Von 2000 bis 2002 war er Mitglied der Regierung von Lionel Jospin und im Erziehungsministerium für die Berufsbildung zuständig.

In Hinblick auf den Islam legte Jean-Luc Mélenchon eine komplette Kehrtwende hin.

2005 machte Mélenchon beim Referendum über die französische Unterzeichnung des EU-Verfassungsvertrags wider die Linie seiner eigenen Partei Wahlkampf für eine Ablehnung – dieser Wechsel zu einer Anti-EU-Position war ein entscheidender Wendepunkt in seiner Laufbahn. 2008 verließ er den PS und gründete den Parti de gauche (PG). Seit 2012 kandidiert er regelmäßig bei den Präsidentschaftswahlen.

Ein deutlicher Schwenk hin zum Linkspopulismus erfolgte 2016 mit der Gründung der sich als Bewegung verstehenden Partei La France insoumise (LFI, Das unbeugsame Frankreich). Mélenchons Versuche, mit dieser Partei Wählerschichten zu gewinnen, die oft gegensätzliche Ansichten beispielsweise zu Einwanderung, Religion und Umweltschutz haben, gleichen einem Drahtseilakt.

In Hinblick auf den Islam legte er eine komplette Kehrtwende hin. Behauptete er 2015 noch auf Twitter, »den Begriff der Islamophobie in Frage zu stellen«, weil »man das Recht hat, den Islam nicht zu mögen«, nahm er 2019 an einem »Marsch gegen Islamophobie« teil, zu der Organisationen aufgerufen hatten, die der Muslimbruderschaft nahestehen.

Postmoderne Linke 

Dieser Kurswechsel war das Ergebnis eines Richtungsstreits innerhalb von LFI. Dabei kämpften populistische Souveränisten, die für eine Begrenzung von Einwanderung und einen strikten Laizismus eintreten, gegen eine postmoderne, unter anderem aus dem Trotzkismus hervorgegangene Linke an, die Kultur- und Identitätskämpfe bevorzugt. Im Jahr 2018 warfen die Souveränisten das Handtuch oder wurden aus der Partei ausgeschlossen.

Für die Siegerseite gelten die Bewohner der banlieues als die neuen »Verdammten der Erde«, welche sie wiederum mit dem Islam identifizieren, der damit als »Religion der Unterdrückten« gilt. Ihn zu kritisieren, lehnen sie dementsprechend ab.

Insgesamt prägt begriffliche Unschärfe die Rhetorik der Partei: Die Schlagwörter »Banlieues«, »Islam« und »palästinensische Frage« auf der einen Seite und »Juden«, »Zionisten«, »Israelis«, »der Staat Israel« und »die israelische Rechte« auf der anderen verschwimmen miteinander und sind nicht mehr klar voneinander abzugrenzen. Und der populistische Rhetoriker Mélenchon scheint auch nicht interessiert daran, das zu versuchen.

Ablehnung der EU

Er behauptete in den vergangenen Monaten, dass »in Gaza eine methodische Politik des Völkermords im Gange« sei. Als die Präsidentin der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet (Renaissance), nach dem 7. Oktober einen der von der Hamas zerstörten Kibbuz besuchte, beschuldigte er sie, in Tel Aviv »zu kampieren um das Massaker zu ermutigen« – nämlich das Massaker, das Israel im Gaza-Streifen verübe.

Bereits während des Kriegs zwischen Israel und Hamas im Jahr 2014 betonte Mélenchon, dass er »nicht an Völker glaube, die anderen überlegen sind« – eine klare Anspielung auf die Hetze gegen das »auserwählte Volk«, wie sie beispielsweise die antisemitische Bewegung um den rechtsextremen Autoren Alain Soral verbreitet. 2017 kritisierte er den »besonders aggressivem Kommunitarismus« des Conseil représentatif des institutions juives de France (Crif), des Dachverbands der jüdischen Gemeinden in Frankreich. Dieser hantiere mit einem »lähmenden Strahl«: » Sobald Sie etwas sagen, was denen nicht gefällt, werden Sie als Antisemit abgestempelt.«

Bei allen Positionswechseln hielt Mélenchons an bestimmten außenpolitischen Überzeugungen stets fest: Frankreich müsse komplett eigenständig sein, sich nicht an den USA orientieren und solle aus der Nato austreten. Nationale Interessen müssten stets Vorrang haben. So begründet er auch seine Ablehnung der EU, die er als Institution ansieht, die Frankreich neoliberale Politik aufzwinge.

Zweideutige Haltung zu Putin, Assad und Xi

Wiederholt fiel Mélenchon außerdem mit seiner zweideutigen Haltung zu den Regimen von Wladimir Putin, von Bashar al-Assad und Xi Jinping auf. Ein unabhängiges Tibet »würde verlangen, China ein Viertel seiner Fläche zu amputieren«, so Mélenchon, und in der Ukraine »ist der Aggressor die Nato und ganz sicher nicht Russland«.

Und dann ist da noch das, was Mélenchon selbst gerne als seinen »mediterranen Charakter« bezeichnet: sein oft cholerisches Verhalten. 2018 geriet er bei einer Durchsuchung des Parteisitzes von LFI in ein Handgemenge mit einem Polizisten und rief diesem dabei zu: »Die Republik, das bin ich!« Der Spruch fügte sich ins Bild eines Politikers, der sich nicht beherrschen kann und meint, über dem Gesetz zu stehen.

Die von Mélenchon geschaffene Bewegungsstruktur ohne formelle Mitglieder und Ämterhierarchie verhinderte die Entstehung einer internen Demokratie.

Das lässt sich auch an der Struktur seiner Partei ablesen. Mélenchon beschrieb LFI 2017 als eine »gasförmige Bewegung«, deren »Ziel es nicht ist, demokratisch zu sein, sondern kollektiv«. Tatsächlich verhindert die von Mélenchon geschaffene Bewegungsstruktur ohne formelle Mitglieder und Ämterhierarchie die Entstehung einer internen Demokratie, wie es sie in einer Partei gäbe: »Die totale Autonomie der Basis geht einher mit einer totalen Machtkonzentration an der Spitze«, analysiert der Journalist Hadrien Mathoux, der deshalb lieber von einer »gasförmigen Autokratie« spricht.

Vergangene Woche sagte der LFI-Abgeordnete Louis Boyard: »Ohne Jean-Luc Mélenchon gäbe es keine Nouveau Front populaire, weil es schlichtweg keine Linke gäbe.« Zu hoffen ist eher, dass die französische Linke sich eines Tages von Mélenchon und seinem Politikstil emanzipieren wird.