Jill Biden wird für den Starrsinn ­ihres Gatten Joe in Haftung genommen

Die Frau hinter dem Thron

Ist Joe Biden der neue Kaiser Augustus? Und seine Frau Jill Biden eine moderne Livia Drusilla? Der vermeintliche Einfluss der First Lady auf ihren Gatten wird jedenfalls mit Misstrauen betrachtet - zugleich wird dringlich gefordert, sie möge ihn ausüben.

Man könnte es das Livia-Syndrom nennen: Wenn das Handeln derer da oben rätselhaft erscheint, muss dringend eine Frau gefunden werden, die die heimliche Regentin ist und an allem Schuld hat. Denn so kann man es sich ersparen, über eigene Fehler und Versäumnisse nachzudenken.

Die römische Oberschicht hatte durch jahrzehntelange Fraktionskämpfe die Republik ruiniert und sich von Augustus eine Monarchie aufzwingen lassen. Statt sich in unbequemer Selbstreflexion zu ergehen, spekulierte man lieber über die Machenschaften seiner Gattin Livia Drusilla, um die neuen Verhältnisse zu »erklären«. Livia habe, so der Historiker Tacitus, »den gealterten Augustus fest unter Kontrolle« gehabt – ein Urteil, das bestenfalls auf Palastklatsch und Mutmaßungen über Bettgeflüster beruht haben kann.

Rund zwei Jahrtausende später ist Jill Biden die Frau hinter dem Thron. Selbst in einem seriösen Magazin wie The ­Atlantic findet sich die gewagte Behauptung: »First ladies haben einzigartigen Einfluss auf die Entscheidung ihres Ehemanns, eine Präsidentschaftskampagne zu beginnen, und auf die Präsidentschaft selbst.«

Ein archaisches Interpretationsmuster erlaubt es jenen 87,1 Prozent der Demokrat:innen, die bei den Vorwahlen für Joe Biden stimmten, sich die Frage »Warum habe ich Idiot das getan, obwohl ich die Probleme kannte?« nicht zu stellen. 

Sicher kann man nur sagen, dass eine Scheidung schlechte PR bringt, es also für den Präsidenten ratsam ist, das Einverständnis seiner Gattin einzuholen, die im Fall seines Sieges weitere vier Jahre einen unbezahlten Posten besetzen muss, der sie mit hohen Erwartungen konfrontiert. Alles weitere beruht bestenfalls auf Palastklatsch und Mutmaßungen über Bettgeflüster.

Ob sie nun als »machthungrig« (Fox News) bezeichnet oder ihr nur »stiller Einfluss« (BBC) zugeschrieben wird: Jill Biden gilt vielen Medien und unzufriedenen Demokrat:innen als Hauptverantwortliche für die Kandidatur Joe Bidens – und mittlerweile dafür, ihn nun im letzten Moment davon abzubringen. Ihr vermeintlicher Einfluss wird mit Misstrauen betrachtet, zugleich wird dringlich gefordert, sie möge ihn ausüben – und sollte ihr Ehemann sterben, werden viele ihr wohl, wie einst Livia, unterstellen, ihn vergiftet zu haben.

Ein archaisches Interpretationsmuster erlaubt es jenen 87,1 Prozent der Demokrat:innen, die bei den Vorwahlen für Joe Biden stimmten, sich die Frage »Warum habe ich Idiot das getan, obwohl ich die Probleme kannte?« nicht zu stellen. Eine solche Selbstreflexion könnte der Demokratischen Partei helfen, da man dann auch über Politik sprechen müsste: Ist der Kurs der vermeintlichen Mitte wirklich der einzig mögliche?

Der eskalierende Personalstreit hingegen lässt die Demokrat:in­nen in ihrer Gesamtheit als Partei erscheinen, die nicht weiß, was sie will. Das dürfte einem Republikaner nutzen, mit dem die Republik ein Ende nehmen könnte. Dann wird man sich vermutlich fragen, wie fest Melania den gealterten Donald Trump unter Kontrolle hat.