Der Oberste Gerichtshof der USA hat dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump Immunität für Amtshandlungen zugesprochen – allerdings nicht pauschal

Trump nicht ganz immun

Der Oberste Gerichtshof der USA hat entschieden, dass Donald Trump für Amtshandlungen als Präsident juristisch nicht belangt werden darf – wenn es um seinen »zentralen Befugnisse« geht. Die Aus­­wir­kun­gen des Urteils auf die Prozesse gegen Trump sind noch unklar.

Nachvollziehbar oder gar logisch hatte das Beharren von Donald J. Trump und seinen Anhängern auf umfassende präsidentielle Immunität nie gewirkt. Generelle Straffreiheit würde schließlich nicht nur für ihn, sondern auch für die vier anderen noch lebenden ehemaligen sowie den amtierenden Präsidenten Joe Biden gelten.

Und damit hätte sich eine der Lieblingsphantasien der Maga-Bewegung erledigt, die praktisch schon seit Beginn von Trumps erster Präsidentschaft darin besteht, dass Barack Obama für nicht näher spezifizierte Verbrechen am US-amerikanischen Volk vor Gericht gestellt und anschließend hingerichtet wird. Aber nicht nur das: Der herbeihalluzinierte Anspruch auf generelle Immunität würde selbstverständlich nicht nur für Trump gelten, sondern auch dann, wenn beispielsweise Joe Biden auf die Idee käme, Trump während der zweiten Live-Sendung der Kandidatendebatte im September zu erschießen.

Insofern war klar, dass die ganz große Vorfreude der Rechten auf das am Montag schließlich verkündete Urteil des Supreme Court, des Obersten Gerichtshofs der USA, sich als unbegründet erweisen würde. Weil es besagt, dass Präsidenten für Handlungen nicht belangt werden können, die unter ihre »zentralen Befugnisse« fallen, wird es nun auch nichts mit dem bereits mehrmals von Trump verkündeten Plan, Joe Biden wegen des überhasteten Rückzugs aus Afghanistan vor Gericht zu bringen.

Auch wenn sich die Experten nicht einig sind, ist doch auffällig, dass sie die Konsequenzen des Urteils zumindest in Bezug auf Trump nicht als ganz so verheerend einstufen wie die juristischen Laien.

Darüber, was das Urteil für die Zukunft des Präsidentenamts bedeutet, wurde in den ersten 24 Stunden nach seiner Veröffentlichung bereits viel geschrieben. Bis es Rechtskundige komplett gelesen und anschließend seine möglichen Auswirkungen analysiert hatten, dauerte es naturgemäß etwas länger. Und auch wenn sich die Experten nicht vollkommen einig sind, ist doch auffällig, dass sie die Konsequenzen zumindest in Bezug auf Trump nicht als ganz so verheerend einstufen wie die juristischen Laien in den Medien.

Norm Eisen, unter anderem Ethikbeauftragter der Regierung Obamas, zeigte sich beispielsweise nicht davon überzeugt, dass der Richterspruch die erwarteten großen Auswirkungen auf die Prozesse gegen Trump haben werde: »Sie (die Richter, Anm. d. Red.) haben einen Test geschaffen, dessen Kriterien auf Trumps Putschversuch nicht zutreffen – also zurück nach Washington damit.«

Lee Kovarsky, Juraprofessor an der University of Texas, äußerte sich auf X, vormals Twitter, unzufrieden mit den ersten Einordnungen des Urteils durch Journalisten und politisch Interessierte. »Es gibt Falschberichterstattungen«, schrieb er in Großbuchstaben. »Ich habe viele Eilmeldungen und Berichte ge­sehen, in denen behauptet wurde, dass Trump Immunität für alle seine Amtshandlungen zugesprochen worden sei.« Das sei nicht richtig: »Immunität gilt nur für die ›zentralen Befugnisse‹ eines Präsidenten, was alle anderen Amtshandlungen angeht, gibt es nur Vermutungen.«

Rückschlag für die Demokraten

Der Fall wurde nämlich im Wesentlichen an die Bundesrichterin am Bezirksgericht für den District of Columbia, Tanya Chutkan, zurückgegeben, die nun entscheiden muss, ob das Handeln des damals noch amtierenden ­Präsidenten Trump rund um den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 offizielle Amtshandlungen waren oder nicht.

Dazu wird dann auch die Frage gehören, ob der Druck, den er auf seinen Vizepräsidenten Mike Pence ausübte, um die Amtseinführung des Wahlsiegers Biden zu verhindern, als offizielle Amtshandlung gelten kann. Die 2014 vom damaligen Präsidenten Barack Obama ernannte Chutkan ist diejenige, die mit dem Bundesstrafverfahren gegen Trump betraut ist, bei dem es um dessen Versuche geht, das Wahlergebnis des Jahres 2020 zu revidieren.

Chutkan äußerte sich zunächst nicht zur Entscheidung des Supreme Court. Josh Gerstein, Gerichtsreporter des konservativen Online-Mediums Politico, erklärte bereits, dass eine Menge Arbeit auf sie zukomme. Dem Urteil zufolge müsse sie Argumente sowohl der Anklage als auch der Verteidigung in ihre Entscheidungsfindung darüber einbeziehen, welche Handlungen von Trump als kriminell eingeordnet werden können. Da manche dieser Aktionen, wie seine Kommunikation mit Mitarbeitern des Justizministeriums, vom Gericht bereits als komplett legal bezeichnet wurden, werde die Richterin außerdem zu analysieren haben, welche vorgelegten Beweise für kriminelle Handlungen übrigbleiben und damit für die An­klage benutzt werden können.

Das ist ein Rückschlag für die Demokraten, die gehofft hatten, Trump noch vor dem Wahltermin im November vor Gericht zu sehen. Open hearings, live übertragene Verhandlungen, bei denen beide Seiten vor dem eigentlichen Prozess ihre Argumente vortragen, seien das Maximum, das Trumps Gegner erwarten könnten, zitiert Gershwin eine anonyme Quelle aus dessen Verteidigerteam.

Öffentliche Hearings als Plan B

Das sieht der ehemalige Bundesankläger Randall Ellison ähnlich. Es gebe so gut wie keine Chance auf einen Prozessbeginn in den kommenden Monaten, zumal gegen Chutkans Entscheidungen mutmaßlich von beiden Parteien Berufung eingelegt werde. »Aber es könnte zuvor eben umfassende Anhörungen geben, die zumindest als Erinnerungshilfe an die Ereignisse vom 6. Januar und Trumps Versuche dienen können, das Wahlergebnis für nichtig erklären zu lassen.« Dazu werden unter anderem die Videos der Ereignisse während des Sturms auf das Kapitol gehören.

Insgeheim werden diese öffentlichen Hearings von Trumps politischen Gegnern schon seit längerem als Plan B angesehen, der als Ersatz dienen sollte, falls ein Prozessbeginn vor dem Wahltermin nicht möglich ist. Ihre Hoffnung: Die Bilder der eindeutigen Gewaltszenen, die Mordaufrufe, der von den Demonstrierenden aufgebaute Galgen, die Angst und Hilflosigkeit der belagerten Abgeordneten, zu denen auch ausgewiesene Trump-Anhänger gehörten, werden bei unentschiedenen Wählern sicherlich nicht folgenlos ­bleiben.

Die Optionen von Jack Smith, der vom Justizministerium als Sonderermittler eingesetzt wurde, um unter anderem den Fall der illegal von Trump in Mar-­a-Lago aufbewahrten Geheimdokumente sowie dessen Versuche der Wahlbeeinflussung zu beaufsichtigen, werden von Rechtsexperten unterschiedlich beurteilt. Politico zufolge könne die Anklage in den kommenden Wochen entweder abwarten, welche Entscheidungen Richterin Chutkan trifft – oder eine neue, abgespeckte Version ihrer Vorwürfe vor eine Grand Jury bringen.

Urteil von Medien überbewertet

Aziz Huq, Juraprofessor an der Universität von Chi­cago, sagte: »Natürlich wird Trump versuchen, alles, was an Punkten gegen ihn übrigbleibt, vor Gericht klären zu lassen, und die Frage wird sein, ob die eingeschränkten Beweise die Anklage stützen können, aber der Schlüssel ist, ob und wie Smith die Anklage eingrenzt.«

John Dean, ehemaliger Rechtsberater von Präsident Richard Nixon und als solcher eine der Schlüsselfiguren der Watergate-Affäre, sagte am Montag ­gegenüber dem Sender CNN, das »sehr limitierte« Urteil werde »von den Medien überbewertet, die Leute haben sich dessen Auswirkungen bislang nicht im Detail angesehen«.

Dass die Anklagen gegen Trump fallengelassen werden, halte er für sehr unwahrscheinlich, sagte der mittlerweile 85jährige, der als Hauptbelastungszeuge maßgeblich mitverantwortlich für das Ende von Nixons Präsidentschaft war: »Jack Smith war sich darüber im Klaren, dass das Oberste Gericht über die Immunitätsfrage urteilen würde, entsprechend bezog er mögliche Auswirkungen in seine Anklage gegen Trump mit ein – und ich denke, das sie jeder Überprüfung standhalten wird.«

Während Trumps Anwalt Will Scharf sich schon kurz nach der Urteilsveröffentlichung freute, dass es nun keinen neuen Prozess mehr vor dem Wahltag geben werde, hat Sonderermittler Smith zumindest noch eine Chance auf eine bald beginnende Verhandlung.

Während Trumps Anwalt Will Scharf sich schon kurz nach der Urteilsveröffentlichung freute, dass es nun keinen neuen Prozess mehr vor dem Wahltag geben werde, hat Sonderermittler Smith zumindest noch eine Chance auf eine bald beginnende Verhandlung. Urteile des Obersten Gerichts treten zwar normalerweise erst nach 25 Tagen in Kraft, Smith könnte aber die vorzeitige Ver­öffentlichung beantragen. Dies hatte im Jahr 2020 schon der New Yorker An­kläger Cyrus Vance erfolgreich getan und damit ermöglicht, dass Trumps Steuerunterlagen vorzeitig veröffentlicht werden konnten. Aber vielleicht reicht den Demokraten auch schon ihr Plan B.

Dass sich Trump und seine Anhänger trotz des Urteils im Übrigen nicht so sicher sind, dass er auch wirklich der nächste Präsident der USA wird, zeigte sich nur wenige Stunden nach der Entscheidung des Obersten Gerichts: Nachdem Joe Biden seine live übertragene Einschätzung der Entscheidung abgegeben hatte, hagelte es in den sozialen und den rechten Medien Spott und Häme darüber, dass er bereits zu dement sei, um einen Teleprompter-Text richtig ablesen zu können.

Biden hatte bloß aus Richterin Sonia Soto­mayors vom Urteil abweichender Meinung zitiert und das Ende des Zitats korrekt mit den Worten »end of quote« markiert, was wiederum zu vielen ­Witzen über die Dummheit von Bidens Kritikern führte. Auch der Haftantritt von Steve Bannon, ehemals Chefberater und -stratege Trumps, endete am Montag nicht so wie erhofft. Statt einer großen Maga-Demonstration gab es die vorbereiteten Statements übertönende Sprechchöre. Sie lauteten: »Lock him up!«