Jakob, Gruppe Tacheles, im Gespräch über die Aufarbeitung der antiisraelischen Proteste an der HU Berlin

»Man darf die Gewaltbereitschaft nicht unterschätzen«

Im Mai besetzten israelfeindliche Aktivist:innen das Institut für Sozialwissenschaften der Berliner Humboldt-Universität (HU). Sie hinterließen rote Hamas-Dreiecke und andere antisemitische Schmierereien an den Wänden. Die neu gegründete Gruppe Tacheles – Solidarische Gruppe gegen Antisemitismus an der HU Berlin fordert die Universitätsleitung dazu auf, sich klar gegen Antisemitismus zu stellen und die Vorfälle aufzuarbeiten. Die »Jungle World« sprach mit Jakob* über das Selbstverständnis der ­Gruppe.

Wann und warum habt Ihr euch gegründet?
Die Idee, eine Gruppe an der HU zu gründen, hatten wir schon vor Monaten. Auslöser waren die erste antiisraelische und gewaltverherrlichende Kundgebung vor dem Hauptgebäude Anfang Mai und das Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten (das die polizeiliche Räumung eines antiisraelischen Protestcamps an der Freien Universität Berlin kritisierte; Anm. d. Red.). Für mich als Jude waren die Ereignisse aufgrund der antisemitischen Parolen und Forderungen unheimlich frustrierend. Die Besetzung des In­stituts für Sozialwissenschaften hat den Gründungsprozess angekurbelt. Es kamen weitere Interessierte dazu, die genauso frustriert waren und die nach so einer Gruppe gesucht haben. Die wenigsten von uns haben Lust auf diese politische Arbeit. Aber es ist eine Notwendigkeit, zu der wir durch die Situation gezwungen sind.

Was sind eure Pläne?
Wir wollen die Aufarbeitung der Besetzung des Sowi-Instituts kritisch begleiten und die Perspektiven jüdischer Studierender wahrnehmbar machen. Gleichzeitig wollen wir eine Anlaufstelle für Studierende an der HU sein, die sich solidarisieren wollen. Langfristig planen wir, unser Selbstverständnis als linke Gruppe zu erweitern. Uns ist wichtig, uns auch zu anderen Themen kritisch zu äußern. Aus Zeitgründen haben wir uns zunächst zu Antisemitismus positioniert. Uns ist aber wichtig, Rassismus und Antisemitismus nicht gegeneinander auszuspielen.

»Wir halten es für keine gute Idee, dass Lehrende den Nahostkonflikt, Antisemitismus oder die Besetzung in ihren Seminaren einfach ansprechen, ohne tatsächlich informiert zu sein.«

Welche Reaktionen gab es auf eure Gründung?
Wir haben auch über die HU hinaus viele positive Rückmeldungen bekommen. Auf Instagram hatten wir innerhalb von 24 Stunden mehr als 1.000 Fol­lower:in­nen. Es kommen viele Studierende auf uns zu, die mitmachen wollen. Es kamen sogar Studierende von anderen Hochschulen auf uns zu, die sich unter dem gleichen Namen organisieren wollen. Leider müssen wir vermeiden, mit Klarnamen oder Gesichtern auf­zutreten. Man darf die Gewaltbereitschaft nicht unterschätzen. Nach dem Angriff auf Lahav Shapira im ­Februar gab es auch in Hamburg und Leipzig körperliche Angriffe auf antisemitismuskritische Personen.

Seid ihr im Austausch mit der Universität?
Wir hatten bereits Gespräche mit Mitarbeitenden der HU, der Antisemitismusbeauftragten sowie der Präsidentin Julia von Blumenthal. Wir ver­stehen diese Gespräche aber lediglich als kritische Begleitung. Wir sind eine autonome Gruppe.

Wie sollte eurer Meinung nach die Aufarbeitung der Besetzung aussehen? Was wünscht ihr euch?
Wir halten es für keine gute Idee, dass Lehrende den Nahostkonflikt, Antisemitismus oder die Besetzung in ihren Seminaren einfach ansprechen, ohne tatsächlich informiert zu sein. Viele trauen sich wegen der radikalen Positionen der Besetzer:innen nicht, sich zu äußern. Deshalb fordern wir Weiterbildungsangebote in den nächsten Semestern. Wir können uns auch vorstellen, dabei als Vermittlungsstelle zu dienen, und wollen in den Dialog mit denen treten, die die Aufarbeitung planen. Wichtig ist aber: Die hauptsächliche Arbeit muss vom Institut selbst ausgehen.

* Name von der Redaktion geändert