29.08.2024
Auf X kochten die Gerüchte zum Anschlag in Solingen hoch

Die Schuldfrage

Sie sind lange vorbei, die Zeiten, als Twitter, mittlerweile X, für ein Medium gehalten wurde, das qualitativ hochwertige Informationen über aktuelle ­Geschehnisse als Erstes verbreitet. Das zeigte sich erneut nach dem Anschlag von Solingen.

Sie sind lange vorbei, die Zeiten, als Twitter für ein Medium gehalten wurde, das qualitativ hochwertige Informationen über aktuelle ­Geschehnisse als erstes verbreitet.

Und so sieht es nach Anschlägen typischerweise auf X aus:

20 Uhr 10: Eilmeldung: Mehrere Tote an Ort X, Täter flüchtig.

20 Uhr 11: Die Eilmeldung wird mit dazu passendem Hashtag von diversen Accounts verbreitet.

20 Uhr 12: Erste User und Userinnen äußern Zweifel an der »offiziellen Darstellung« und vermuten gezielte Irreführung, weil über Nationalität oder politische Haltung des flüchtigen Täters noch nichts bekanntge­geben wurde.

Der Täter läuft immer noch frei herum, Live-Updates über den Zustand der Opfer gibt es auch nicht. Ganz klar, da wird irgendwas vertuscht.

20 Uhr 13: Ein angebliches Handyvideo der Tat wird gepostet und ­massenhaft retweetet. Es dauert nur Minuten, bis jemand herausfindet, dass es in Wirklichkeit aus einem Film stammt. Oder einen tatsäch­lichen Anschlag zeigt, der allerdings schon vor zwölf Jahren geschah. Dieser Faktencheck wird weitgehend ignoriert.

20 Uhr 14: Rechts und links beginnen damit, einander vorzuwerfen, dass sie die Tat lediglich für ihre Zwecke instrumentalisieren wollen und nicht am Schicksal der Opfer interessiert seien.

20 Uhr 15: Der Täter läuft immer noch frei herum, Live-Updates über den Zustand der Opfer gibt es auch nicht. Ganz klar, da wird irgendwas vertuscht.

20 Uhr 16: Und wo bleibt eigentlich die Stellungnahme des Ministerpräsidenten des Landes X oder, ­besser noch, des Bundeskanzlers?

20 Uhr 17: Aufrufe, doch erst einmal abzuwarten, bis aus seriösen Quellen stammende Einzelheiten vorliegen, werden in größerer Zahl, verbunden mit Bemerkungen wie ja, das sähe man auch so, retweetet.

20 Uhr 18: Als seriöse Quelle gelten ab sofort alle Accounts, die irgendwas mit Media oder News im Namen führen.

20 Uhr 19: Und russische Troll-­Accounts.

20 Uhr 20: Die Juden sind schuld.