Ein Besuch beim kürzlich verwüsteten israelisch-palästinensischen Restaurant »Kanaan« in Berlin

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Seit dem 7. Oktober sehen sich vor allem Muslime, Araber und Palästinenser dem Druck ausgesetzt, eine extreme antiisraelische Haltung mitzutragen. Wer ausschert, Grautöne zulässt oder für Versöhnung eintritt, riskiert, angefeindet zu werden.

Auf den ersten Blick sieht man dem Berliner Restaurant »Kanaan« nicht an, warum es einen Preis für die Förderung von »Toleranz« und »Völkerverständigung« erhalten sollte. Es ist Dienstagmittag und viel los. Draußen ist kein Platz mehr frei und im Innern wird zuerst nach einer Reservierung gefragt. Auf einer Werbung für Coca-Cola, die an der Wand neben der Theke hängt, heißt es: »Oz Ben David und Jalil Debit servieren original Humus und dazu eine Cola light aus der klassischen Glasflasche.« Die beiden sind die Betreiber des Kanaan, der jüdische Israeli Ben David und der palästinensisch-arabische Israeli Debit. Sie servieren »israelisch-palästinensische« Küche.

Am Eingang findet sich dann doch ein Hinweis darauf, warum die Betreiber des Restaurants am 11. September den Moses-Mendelssohn-Preis des Landes Berlin erhalten sollen. Gut sichtbar hängt da ein Plakat mit einem Friedenszeichen. »Make Hummus not war. ­Violence breeds violence not solutions«, steht darauf. Anfang August machte die Senatsverwaltung die Preisvergabe bekannt. Die beiden Gastronomen werden gekürt, weil sie in diesen »enorm herausfordernden Zeiten das Verbindende statt des Trennenden suchen«, begründete die Jury ihre Entscheidung.

Das Restaurant verstehe sich als Anlaufstelle für Menschen, die sich für Frieden einsetzen. Das Prinzip sei simpel: Durch gemeinsames Kochen und Essen soll Respekt voreinander entwickelt werden.

Der Name des Restaurants stehe für das biblische Land, das Abraham, der Stammvater der Juden, Christen und Muslime, einst bewohnte, erklärte Ben David der Jüdischen Allgemeinen. Er sei eine Erinnerung an die gemeinsamen Ursprünge. Das Restaurant verstehe sich als Anlaufstelle für Menschen, die sich für Frieden einsetzen. Das Prinzip sei simpel: Durch gemeinsames Kochen und Essen soll Respekt voreinander entwickelt werden.

Das wollen die beiden unter anderem mit ihrem Kochbuch vermitteln, in dem beide ihre Familienrezepte miteinander vereinen. Vor allem seit dem 7. Oktober seien beide Seiten so sehr in ihrem eigenen Schmerz und Leid versunken, dass man blind für die jeweils andere Seite sei, sagte Ben David in der »Tagesschau«. Es gebe so gut wie keinen Ort mehr, wo man miteinander ins Gespräch käme und einander zuhöre. »Das ›Kanaan‹ hat es möglich gemacht, genau solche Momente zu schaffen, wo Feinde die Chance haben, Freunde zu werden.«

Jüdisch-muslimischer Brunch

Einer dieser Momente ist der jüdisch-muslimische Brunch. Den hatten die beiden zuletzt Mitte Juli organisiert. Online habe es einige negative Reaktionen gegeben, »aber mehr auch nicht«, hieß es am 21. Juli dazu auf Instagram, » … bis heute Morgen«. Unbekannte waren in der Nacht zuvor ins Restaurant eingedrungen und hatten Teile der Einrichtung zerstört. Auf Instagram berichteten die Betreiber von zerbrochenen Gläsern und kaputten Stühlen. Auf einem Bild ist eine große Weinlache zu sehen.

Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts auf Einbruch. Gestohlen wurde allerdings nichts. Und unmittelbar nach dem Vorfall habe ein Polizist angezweifelt, dass es sich um bloßen Einbruch handele, so die Betreiber in ihrem Posting. Die Verwüstung habe nach einem Akt des Hasses ausgesehen. Ein politisches Motiv sei also nicht auszuschließen. Dass das, wofür das Re­staurant steht, auch Anfeindungen provoziert, kennen die beiden Betreiber aus der Vergangenheit.

Ein syrisches Restaurant in Freiburg machte eine ähnliche Erfahrung. Das »Damaskos« liegt in der Nähe einer Synagoge. »Für die Vielfalt wollte ich israelisches Baba Ganoush anbieten«, entschied sich der Betreiber Billal Aloge im März, so wie er Gerichte aus verschiedenen Ländern im Nahen Osten anbietet. Seitdem wird zum Boykott seines Restaurants aufgerufen, er und seine Frau werden als »Zionisten« und »Völkermörder« beleidigt und man habe ihnen gedroht, ihren Laden anzuzünden. Dabei sei es nie eine politische Entscheidung gewesen, Baba Ganoush auf die Karte zu nehmen, so Aloge.

Gemeinsam für »Frieden und Gleichheit« kämpfen

Das Schema kennt man aus dem Aktivismus der antisemitischen BDS-Kampagne. Diese ruft beispielsweise auch explizit zum Boykott der israelischen Gruppe Standing Together auf. Das entspricht der Logik der Boykotteure: Eine israelische Gruppe soll keinesfalls unterstützt werden. Besonders macht den Fall aber, wofür die Gruppe steht: Standing Together ist eine Basisbewegung mit dem Ziel, Araber und Juden zusammenzubringen, um gemeinsam für »Frieden und Gleichheit« zu kämpfen. Als rechtsextreme Siedleraktivisten vor einigen Wochen die humanitären Lieferungen ins Palästinensergebiet blockierten, versuchten die Mitglieder von Standing Together, sie daran zu hindern.

BDS aber meint, Standing Together betreibe die »Normalisierung« Israels und müsse deshalb bekämpft werden. Auf die Idee ist BDS nicht von alleine gekommen, sondern hat sie sich offenbar von autoritären arabischen Staaten abgeschaut. In Tunesien werden seit vergangenem November jegliche Beziehungen nach Israel als »Hochverrat« geahndet und bestraft, denn die würden zur »Normalisierung«, also der »Anerkennung des zionistischen Gebildes«, beitragen. Und im Irak können selbst Chats mit israelischen Freunden oder Verwandten bereits seit 2022 mit der Todesstrafe enden.

Mit Boykotten erreiche man keine Einigung zwischen Israelis und Palästinensern, sagte Hamza Howidy kürzlich in einem Interview der Taz. Der 26jäh­rige ist im Gaza-Streifen geboren und lebt mittlerweile in Deutschland. 2019 nahm er erstmals an Protesten gegen die Hamas teil, wurde festgenommen und gefoltert. »Als wir freikamen, waren wir schockiert, weil niemand unsere Freilassung gefordert hatte. Wir hatten nicht erwartet, dass Menschenrechtsorganisationen, die Palästinensische Autonomiebehörde oder die arabischen Länder uns so im Stich lassen würden«, sagte er.

Im Gegenteil, viele seiner Landsleute hätten ihn wegen seiner Kritik an der Hamas angegriffen und Lügen über seine Familie verbreitet. Hier in Deutschland unterstütze er nur Proteste, wenn sie zur Versöhnung und zum Frieden aufrufen. Dabei gehe es ihm nicht darum, Israel zu verteidigen. Wer aber behaupte, Israel begehe schlimmere Verbrechen als die Hamas, sollte sich fragen, was wäre, wenn die Hamas über ähnliche militärische Kapazitäten wie die israelischen Streitkräfte verfügen würde. »Ich glaube, es wäre ein Alptraum für alle.«

»Pro-Palästina-Bewegung ist keine Hilfe«

Der Blogger und Menschenrechtsaktivist Ahmed Fouad al-Khatib ist im Gaza-Streifen geboren und lebt mittlerweile in den USA. Mitte Juni veröffentlichte er einen Artikel im US-amerikanischen Online-Magazin The Free Press: »Israel hat 31 Familienmitglieder von mir umgebracht. Die Pro-Palästina-Bewegung ist keine Hilfe.« Er kritisiert, dass westliche Aktivisten die Lage für die Palästinenser nur noch schlimmer gemacht hätten.

Die linke Website Mintpress News aus den USA warf ihm nun vor, »Israels Völkermord zu fördern«. Er werde von der israelischen Regierung aus einem Fonds von 30 Millionen US-Dollar bezahlt, um deren Propaganda zu verbreiten und »propalästinensischen Aktivismus im Westen zu unterdrücken und zu kon­trollieren«. Er nutze »die Geschichte seiner leidenden Familienmitglieder aus Gaza-Stadt, um Aktivisten darüber zu belehren, warum sie mit Israelis und Zionisten mitfühlen sollten«. Dabei könne er gar nicht über den Gaza-Streifen sprechen, weil er ihn bereits vor Jahren verlassen habe.

Der Text hatte nach Angaben al-Khatibs zur Folge, dass er bedroht wird: »Das ist das Schicksal, das jeden erwartet, der es wagt, die Hamas und den Terrorismus in Frage zu stellen oder ­Israelis als menschliche Wesen zu betrachten.« Wie er dächten zwar viele Araber, Muslime und Palästinenser. Aus Angst würden sie sich allerdings nicht öffentlich äußern.

Verknüpfung von Herkunft und Religion

Seyran Ateş, die Gründerin der ersten liberalen Moschee in Deutschland, steht seit Jahren unter Personenschutz. Nachdem sich ihre Moschee nach dem 7. Oktober solidarisch mit ­Israel erklärt hatte, musste sie aus Sicherheitsgründen für eine Weile schließen. Ähnlichen Anfeindungen sind der Islamexperte Ahmad Man­sour, Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinschaft in Deutschland, und der Islamwissenschaftler Ahmad Omeirate aus­gesetzt – insbesondere seit dem 7. Oktober. Toprak sagt, er meide mittlerweile bestimmte Stadtteile wie Berlin-Neukölln.

Hinter diesen Anfeindungen steckt die Überzeugung, dass ein »guter Muslim« oder »Palästinenser« immer nur die eine einzige offensichtlich »richtige« Meinung haben darf. Wer nicht zu 100 Prozent an Bord ist, gilt als Verräter. Der Psychoanalytiker Sama Maani spricht von der »vollen Identifizierung«, einer Verknüpfung einzelner Subjekte und dem Islam, die als naturgegeben, unauflöslich, quasigenetisch erscheint. Diese Verknüpfung von Herkunft und Religion sei im Grunde rassistisch. Faktisch führt sie zu einem Gesinnungszwang.

Ende Mai ging ein Aufruf um, in dem Geschäfte in der vor allem muslimisch geprägten Neuköllner Sonnenallee dazu aufgefordert wurden, keine Coca-Cola mehr zu verkaufen, weil man damit Israel unterstütze. »Ist euch egal, dass Gaza verwüstet wird? Dann haben wir kein Problem damit, die gesamte Sonnenallee inklusive der Läden, die nicht boykottieren, mitzuverwüsten«, hieß es im Aufruf. Der Zeitpunkt sei gekommen, jedem zu zeigen, »dass wir nicht nur irgendwelche Witzfiguren sind, die tagsüber auf Demos gehen und abends dann in der Sonnenallee das Blut unserer Geschwister schlürfen«.

Der Dialog fehlt

Bereits ein paar Wochen zuvor hatte sich eine zentrale Figur der israelfeindlichen Szene in einem Video auf Instagram an die Berliner »Palästinenser und Muslime« gerichtet. Er monierte, dass sich viele von ihnen nicht an den Demonstrationen gegen Israel beteiligen. »Diese Menschen sind lieber in Cafés. Die sind lieber zum Beispiel im Starbucks und McDonald’s. Die boykot­tieren ja nicht mal.« Selbst in Neukölln habe er viele Leute in Restaurants ge­sehen, »die einfach Coca-Cola trinken«. Es sei das Mindeste, sich zumindest am Boykott zu beteiligen.

Für den 20. Oktober gab es einen Aufruf zum »Generalstreik für Palästina« auf der Sonnenallee. Zwei Lokale, die dem Aufruf explizit nicht gefolgt waren, mussten dafür offenbar büßen. Beobachtungen eines RBB-Reporters zufolge hatten Unbekannte unangenehm riechende Flüssigkeiten vor den beiden Lokalen ausgeschüttet.

Anfang Juli berichteten bei einer Veranstaltung der Denkfabrik Schalom Aleikum, einem Projekt des Zentralrats der Juden in Deutschland für jüdisch-muslimischen Dialog, nahezu alle Teilnehmer, dass ihnen der Dialog fehle. Viele sagten, die Debatte sei so umfassend polarisiert, dass praktisch nirgendwo mehr ein Austausch möglich sei.

Politische Konflikte werden in Identitätskonflikte verwandelt.

Es hat sich eine Logik der Feindschaft entwickelt, bei der es nur zwei Seiten und nichts dazwischen geben darf. Politische Konflikte werden in Identitätskonflikte verwandelt. Sie erscheinen dadurch unlösbar, es bleibt nur die kompromisslose Bekämpfung der ­Gegenseite. Von den »eigenen« Leuten fordert man Loyalität. Alle anderen müssen sich entscheiden, auf wessen Seite sie stehen.

Anfang August wurde ein »propalästinensisches« Zeltlager auf dem Campus der Ludwig-Maximilians-Universität in München Opfer eines Brandanschlags. Ein Mann hatte brennbare Flüssigkeit verschüttet und sie angezündet. Verletzt wurde niemand, da das Feuer rechtzeitig bemerkt wurde. Mitglieder des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft wollten persönlich zum Ausdruck bringen, dass sie trotz aller Konflikte jegliche Gewalt ablehnen, und brachten dem Protestlager einige Tage danach einen kleinen Olivenbaum vorbei – sie wurden vom Zeltlager verjagt. Auf Instagram sagte ein Protestcamper dann: »Mit euch wollen wir nicht reden, nicht dieselbe Luft atmen.« Und weiter: »Ihr seid entweder gute Menschen oder pro Israel.«