Islamisten zu hofieren und mit Kurden Politfolklore zu machen, funktioniert nicht

Auf zu vielen Hochzeiten tanzen

Auch Islamisten nutzen den Krieg im Gaza-Streifen für ihre Propaganda. Gerade für jene Linke, zu deren internationalistischer Selbstinszenierung ein positiver Bezug auf den kurdischen Unabhängigkeitskampf gehört, sollte eine Abgrenzung dagegen selbstverständlich sein.

Am 27. Mai nahm neben der DKP auch Zora, die Frauengruppe von Young Struggle, an einer Kundgebung am Alexanderplatz in Berlin teil. Hauptredner dieser Veranstaltung war Ahmad Tamim, Kopf der Gruppe Generation Islam, der seit dem 7. Oktober häufiger in Berlin zu Versammlungen aufruft, die den Krieg im Gaza-Streifen zum Thema haben.

Wo er auftritt, sind Demonstranten, die nach dem Kalifat rufen, nicht weit, wie auch auf Videoaufnahmen von diesem Abend zu sehen ist. »Siamo tutti antifascisti«, riefen wiederum die linken Teilnehmer. Ein Treppenwitz, denn wenn alle Anwesenden Antifaschisten gewesen sein sollen, wo wären dann eigentlich die Faschisten zu finden?

Man geriert sich als Opfer eines westlichen Imperialismus, während tatsächlich der einheimischen imperialen Macht sekundiert wird.

Wenn mit Gruppen wie Generation Islam und dem gesamten Sammelsurium der islamistischen Kalifatsbewegung gemeinsame Veranstaltungen besucht werden, wie ein entsprechendes Video des Blogs Friedensdemo-Watch nahelegt, ist das nicht nur auf das Verlangen nach einer Einheitsfront oder einen Orientfetisch zurückzuführen, sondern eine konsequente Fortführung links posierender, faktisch jedoch reaktionärer türkischer und arabischer Tradition. Dort geriert man sich als Opfer eines westlichen Imperialismus, während tatsächlich der einheimischen imperialen Macht sekundiert wird.

Gerade bei linken Gruppen, zu deren Internationalismus es gehört, den kurdischen Unabhängigkeitskampf folkloristisch zu benutzen, stellt sich die Frage, was sie unter Faschismus verstehen und welchen Stellenwert für sie der Kampf gegen Islamismus hat. Auf Demonstrationen rufen sie »Palästina, Kurdistan – Intifada, Serhildan« (zu Deutsch: Aufstand) und parallelisieren palästinensische Terrorakte gegen Israelis mit kurdischen Aufständen gegen die türkische Herrschaft. Bei der Besetzung eines Hörsaals der Freien Universität Berlin durch Young Struggle wurde zum Besten gegeben, dass Israel illegitim sei, da das Land keine Arbeiterklasse habe, im Gegensatz beispielsweise zur Türkei.

Türkische Staatsbildung auf Basis von Vertreibung

In dieser Sorte von Geschichtsklitterung gibt es eine einheitliche türkische Arbeiterklasse, deren Heterogenität maximal in Ständchen der Vorzeige-Band der türkischen Linken, Grup Yorum, durchscheint, wenn sie Arbeiterlieder auf Kurdisch vertonen. Dass darüber hinaus großzügig geschätzt nur ein Viertel der Türkei Kerngebiet des »türkischen Volkes« ist und sich die türkische Staatsbildung auf Basis der Vertreibung (in manchen Fällen sogar Vernichtung) von Pontosgriech:innen, Tscherkess:innen, Laz:innen, Armenier:in­nen, Kurd:innen, Assyrer:innen, Aramäer:innen, Ara­ber:innen vollzog, ist dabei wohl zweitrangig. Denn diese Geschichte anzuerkennen, würde bedeuten, die Türkei als Land mit einer eigenen imperialen Geschichte und als geopolitische Macht in der Region sowie religiöse Bewegungen wie den Islamismus als Täter zu denunzieren und nicht als Opfer zu stilisieren.

Viele werden es vergessen haben, aber in den ersten Jahren des Kampfs gegen den »Islamischen Staat« (IS) war die Unterstützung für Kurd:innen gegen den IS keine Selbstverständlichkeit in der westlichen Linken. Im Gegenteil, auch wenn es nicht viele so weit trieben wie der Generalsekretär der Marxistisch-Leninistischen Partei Italiens (PMLI), Giovanni Scuderi, der im Oktober 2015 auf dem Parteitag seiner maoistischen Sekte sagte: »Eine imperialistische heilige Allianz wurde geboren, um den Islamischen Staat und seinen Kampf gegen Imperialismus zu zerstören«.

»Imperialistische heilige Allianz« 

Mit »imperialistischer heiliger Allianz« war die von den USA angeführte Internationale Allianz gegen den IS gemeint, die damals die kurdischen Truppen in der Region Kurdistan im Irak (KRI) und der als Rojava bezeichneten Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien unterstützten. Als Ende September 2014 die USA und ihre Verbündeten den kämpfenden Kurd:innen mit Luftangriffen auf das IS-Hauptquartier in Raqqa zu Hilfe kamen, war die Terrororganisation allerdings bereits über ein Jahr mordend durch ganz Syrien gezogen und in den Irak vorgedrungen. Dort stellten sich die kurdischen Milizen ihnen zunächst fast allein entgegen.

Dieser Tage blicken viele Kurd:innen nach Israel und können die Notwendigkeit des Kampfs verstehen, der gegen die Islamisten der Hamas geführt wird. 

Leute vom Schlage Scuderis suchten damals Allianzen mit denen, die gerade »auf dem Feld sind, unabhängig von ihren Charakteristika, Ideologien und Strategien«. Zu diesem Zeitpunkt war der Völkermord des IS an den Yezid:innen schon seit einem Jahr im Gange, und auch im Kampf gegen die linken kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG hatte der IS bereits gezeigt, welche Charakteristika, Ideologien und Strategien ihn auszeichneten. Auch seitens so mancher deutscher Linker mussten Kurd:innen in den Jahren des Kampfes gegen den IS nicht selten »kritische Nachfragen« erdulden, wieso man eigentlich keine Verhandlungen führe oder alternative militärische Partnerschaften gegen den IS suche.

Dieser Tage blicken viele Kurd:innen nach Israel und können die Notwendigkeit des Kampfs verstehen, der gegen die Islamisten der Hamas geführt wird. Wesentlich weniger plausibel erscheint es hingegen, den Islamismus als Befreiungsideologie zu glorifizieren.