Islamisten versuchen, den Krieg im Gaza-Streifen zur Mobilisierung zu nutzen

Antinationales Kalifat

Islamistische Gruppen in Deutschland versuchen, den Krieg zwischen Israel und der Hamas zu nutzen, um für sich zu werben und sich als Verteidiger der muslimischen Weltgemeinschaft zu inszenieren. Die Gruppe Generation Islam forderte auf einer Demonstration in Hannover eine islamische Herrschaft im Nahen Osten.

Es sind vor allem linke und migrantische Gruppen, die seit dem 7. Oktober die Demonstrationen gegen Israel organisieren und bestimmen. Immer wieder wird Israel auf diesen Veranstaltungen als kolonialer Siedlerstaat bezeichnet. Man geriert sich in seiner Israel-Feindschaft wahlweise als antiimperialistisch, antirassistisch oder gar antifaschistisch.

Das hat man mit den islamistischen Gruppierungen, die den Krieg im Gaza-Streifen ebenfalls fleißig nutzen, um Anhänger und Sympathisanten regelmäßig auf die Straßen zu mobilisieren, gemeinsam. Auf ihren Demonstrationen gegen Israel fordern sie ebenfalls ein Ende von Nationalismus und »Kolonialismus«, allerdings zugunsten eines letztlich weltumspannenden islamistischen Gottesstaats.

So waren auf einer Demonstration »Für Palästina« am 15. Juni in Hannover, zu der die Gruppe Generation Islam aufgerufen hatte, Schilder mit der Aufschrift »Nie wieder Nationalismus« und »Nationalismus spaltet, Kolonialismus tötet« zu sehen. Eine nahezu vollverschleierte Frau hielt sogar ein Schild mit der Aufschrift »Nie wieder Faschismus«.

»Ihr sollt wissen, dass die Zeitenwende bereits begonnen hat, also liegt es auch in eurem Interesse zu sagen, wir unterstützen diesen Völkermord nicht.«   Ahmad Tamim (Generation Islam)

Dabei gaben die ungefähr 1.200 Demonstrationsteilnehmer ein Bild wie eigentlich stets ab. Auch in Hannover waren die Teilnehmer vorwiegend bis ausschließlich männlich. Anwesende Frauen waren mehrheitlich verschleiert und hielten sich am Rand, mischten sich nicht unter die Männer. Manche der männlichen Teilnehmer trugen traditionelle muslimische Kleidung, Kopfbedeckungen und lange Bärte. Die Mehrheit der jungen Männer war aber eher sportlich und modern gekleidet, mit Sonnenbrillen, Kapuzenpullover und Basecaps.

Dieses Erscheinungsbild steht vor allem für den Stil der Gruppe Muslim interaktiv, deren Mitglieder deswegen auch schon als »Hipster-Islamisten« oder in Anlehnung an die rechtsextreme Identitäre Bewegung als »Allahs Identitäre« bezeichnet wurden und mit der Hamburger »Kalifatsdemo« Ende April Schlagzeilen gemacht hatten.

Schilder auch gegen die Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten

Vorvergangene Woche berichtete der NDR von mehreren Razzien bei mutmaßlichen Mitgliedern der Organisation in den Hamburger Stadtteilen Lohbrügge, Billstedt, Eidelstedt und in Bremerhaven. Dies stehe im Zusammenhang mit einer »Pro-Palästina«-Demonstration der Gruppe im Oktober vergangenen Jahres.

Anders als bei linken Demonstrationen, auf denen in der Regel allein Israel, als Unterstützer des jüdischen Staats auch die USA oder Deutschland für das Leid der Palästinenser verantwortlich gemacht werden, sieht man auf der Demonstration in Hannover auch Schilder, die sich gegen die Regierungen der Türkei, Saudi-Arabiens und Ägyptens richten. Da liest man zum Beispiel: »An die Herrscher: Wir sind Zeuge eures Verrats«.

Als Ahmad Tamim, Aushängeschild der Gruppe Generation Islam, auf der Bühne steht, sagt er über den ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah al-Sisi, der sich für eine Zweistaatenlösung im Israel-Palästina-Konflikt ausspricht, »möge Allah ihn erniedrigen«. Ein Redner, der in den Videos von Generation Islam als Bilal vorgestellt wird, erklärt vom Podium aus, die Aufsplitterung der Region in Nationalstaaten vor 100 Jahren habe eine Ära des Friedens unter islamischer Herrschaft beendet und spielte damit wohl auf das Ende des Osmanischen Reichs an, das als Kalifat verfasst war.

Kalifat im Nahen Osten errichten

Die von beiden Rednern immer wieder als kolonial bezeichnete Ordnung der Nationalstaaten sei die Ursache aller Konflikte in der arabischen Welt. Statt einen weiteren Nationalstaat hinzuzufügen, wie es laut Bilal linke Palästina-Aktivisten forderten, plädierte er dafür, den »Nahostkonflikt mit einer islamischen Lösung zu versehen«.

Tamim forderte bei seinen Auftritten in der Vergangenheit ein militärisches Eingreifen der arabischen Nachbarländer in den Gaza-Krieg. Auch weil diese zu schwach oder unwillig seien, müsse ein Kalifat im Nahen Osten errichtet werden. Die Gruppe Generation Islam nutzt diesbezüglich das Schlagwort einer »Zeitenwende im Nahen Osten«.

Auf einer »Free Palestine«-Demonstration in Berlin war ein mehrere Quadratmeter großes Banner der Avrupa Gençlik Derneği, einer Jugendvereinigung der türkisch-islamistischen Bewegung Millî Görüş, zu sehen – umringt von Antifa-Fahnen und Flaggen von Young Struggle.

Auch an die »deutsche Mehrheitsgesellschaft« wendet sich Tamim in Hannover. »Schweigt nicht zu diesem Völkermord«; man solle »vor die Kameras treten« und »unmissverständlich und eindeutig die Stimme erheben und sagen nein, nicht in unserem Namen«. Die Menge antwortet mit »Schweigt nicht, schwiegt nicht«-Sprechchören. »Ihr sollt wissen, dass die Zeitenwende bereits begonnen hat, also liegt es auch in eurem Interesse zu sagen, wir unterstützen diesen Völkermord nicht.«

Noch deutlicher hatte Tamim diese Drohung auf einer Demonstration am 27. Mai in Berlin auf dem Alexanderplatz formuliert: »Ya Allah, vernichte jeden Ungerechten, wo immer er auch sein möge auf dieser Welt, der Israel zur Seite steht und unterstützt bei diesem Völkermord, ya Allah, erniedrige sie vor den Augen der Weltöffentlichkeit.« Die anwesenden linken Gruppen störten sich an diesen Tiraden augenscheinlich nicht.

Seit dem 7. Oktober kommen Linke und Islamisten häufiger bei Demons­trationen gegen Israel zusammen. So war auch auf einer »Free Palestine«-Demonstration am 4. November vergangenen Jahres in Berlin ein mehrere Quadratmeter großes Banner der Avrupa Gençlik Derneği (AGD), einer Jugendvereinigung der türkisch-islamistischen Bewegung Millî Görüş, zu sehen – umringt von Antifa-Fahnen und Flaggen von Young Struggle. »Europaweit organisiert, vertritt die AGD eine islamistisch-antiwestliche Ideologie und warnt vor freundschaftlichen Beziehungen mit Christen und Juden«, heißt es auf dem Portal »Islamlandkarte«, das vom Institut für Islamisch-Theologische Studien an der Universität Wien betrieben wird.