In Frankreich verzögert sich die Regierungsbildung

Macron spielt auf Zeit

In Frankreich gestaltet sich die Regierungsbildung schwierig. Präsident Emmanuel Macron hat Lucie Castets für das Amt der Premierministerin abgelehnt. Sie war vom linken Parteienbündnis vorgeschlagen worden, das im Juli bei der Parlamentswahl stärkste Kraft geworden ist.

Port-Leucate. Emmanuel Macron dreht eine Extra­runde. Der französische Präsident beschloss am Montagabend, weitere »Konsultationen« mit den Parteiführungen der im Parlament vertretenen politischen Kräfte zu eröffnen. Bereits am Freitag zuvor hatte er die Spitzen der linken Wahlallianz Nouveau Front populaire (NFP) sowie des dem Präsidenten nahestehenden Parteienbündnisses Ensemble pour la République empfangen; Am Montag war dann der rechtsextreme Rassemblement national (RN) an der Reihe, vertreten durch die Fraktionsvorsitzende Marine Le Pen und den Parteivorsitzenden Jordan Bardella.

Dabei ging es um die seit Wochen unterbrochene Regierungsbildung und vor allem die Ernennung einer neuen Premierministerin oder eines neuen Premierministers, die Macron seit den Stichwahlen zur Nationalversammlung am 7. Juli hinausgeschoben hat. Das im Januar gebildete Kabinett von Premierminister Gabriel Attal, getragen vom Parteienbündnis Ensemble, hatte am 16. Juli infolge der Wahlniederlage offiziell seinen Rücktritt eingereicht.

Die geschäftsführende Regierung schafft Fakten. Attal hat in der vergangenen Woche einen Entwurf für den bis zum 1. Oktober zu verabschiedenden Staatshaushalt vorgelegt, der Ausgaben in gleicher Höhe wie 2023 vorsieht.

Seitdem amtiert es nur noch kommissarisch, was auch zu der kuriosen Situation führte, dass geschäftsführende Regierungsmitglieder auf den Parlamentsbänken als Abgeordnete mitvotierten, als Mitte Juli über die Parlamentspräsidentin und ihr Stellvertreter gewählt wurden; in Frankreich ist es, anders als in Deutschland, im Sinne der Gewaltenteilung Regierungsmitgliedern verboten, ein Abgeordnetenmandat wahrzunehmen. Die Macron-Anhängerin Yaël Braun-Pivet wurde als Parlamentspräsidentin wiedergewählt, wobei ihre Mehrheit mit 13 Stimmen Vorsprung so knapp ausfiel, dass sie ohne die mit abstimmenden 17 Kabinettsmitglieder dem NFP-Kandidaten André Chassaigne unterlegen wäre.

Vor allem schafft die geschäftsführende Regierung unterdessen Fakten. Attal hat in der vergangenen Woche einen Entwurf für den bis zum 1. Oktober zu verabschiedenden Staatshaushalt vorgelegt, der Ausgaben in gleicher Höhe wie 2023 vorsieht. Berücksichtigt man die Inflation, bedeutet dies de facto Kürzungen in vielen Bereichen.

Dies trifft vor allem den Gesundheitssektor hart, in dem es ohnehin schwere Pro­bleme gibt. In den vergangenen Tagen rief es Empörung hervor, dass in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Nantes in den vergangenen Wochen vier Menschen verstarben, weil sie wegen personeller Unterbesetzung zu spät behandelt wurden.

»Mauer der Schande«

Angestellte eines Krankenhauses in Brest hatten gleichzeitig eine »Mauer der Schande« eingerichtet, eine Stellwand, auf der sie aufschrieben, wie viele Menschen stundenlang in der Notaufnahme warten mussten. Angaben des Gewerkschaftsverbands CGT zufolge warteten zwischen dem 10. Juli und dem 20. August hier 130 mehrheitlich ältere Menschen mehr als zehn Stunden auf eine medizinische Behandlung.

In einer solchen Situation haushaltspolitische Entscheidungen zu treffen, ist also kein bloß technisches Unterfangen. Das linke Bündnis fordert, gerade wegen der sensiblen Bereiche wie Gesundheit und Bildung müsse endlich eine parlamentarisch legitimierte und mit allen Kompetenzen ausgestattete Regierung zustande kommen. Der NFP strebt an, die Staatsausgaben und die Steuern für höhere Einkommen und Vermögen anzuheben.

In dem am 14. Juni, also in Windeseile nach der Parlamentsauflösung fünf Tage zuvor, zwischen den linken Parteien vereinbarten Wahlprogramm werden einige Sofortmaßnahmen wie die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns um 14 Prozent auf 1.600 Euro netto monatlich die Rücknahme der Rentenreform von 2023 sowie des jüngst verschärften Ausländergesetzes gefordert. Am 23. Juli hatten sich die am NFP be­teiligten Parteien auf eine gemeinsame Kandidatin für das Amt der Premierministerin geeinigt: die parteilose Pariser Stadtbeamtin und Finanzexpertin Lucie Castets.

Macron wird nun wohl versuchen, aus seinem Lager und LR eine neue Regierungskoalition zu bilden – die ­allerdings ebenso wenig wie das linke Bündnis über eine Mehrheit im Parlament verfügt.

Zunächst beriefen die übrigen Parteien sich darauf, eine Regierung mit Mitgliedern der von Jean-Luc Mélenchon gegründeten linkspopulistischen Partei La France insoumise (LFI) sei wegen dessen Führungsstils und angeblichen Extremismus problematisch. Doch am Wochenende erklärten zuerst Mélenchon selbst, dann die Vertreter der übrigen Mitgliedsparteien des NFP, dieser Vorbehalt sei nunmehr gegenstandslos: Mélenchon machte den Weg frei für die Bildung einer Regierung ohne Ministerposten für seine eigene Partei. Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Parti socialiste (PS), Olivier Faure, teilte dazu mit, ab nun »existiert der Vorwand nicht mehr«. Der NFP hat zwar keine Mehrheit im Parlament, allerdings könnte eine von ihm geführte Regierung andere politische Kräfte vor die Wahl stellen, entweder populären sozialen und ökonomischen Programmpunkte wie der Erhöhung des Mindestlohns zuzustimmen oder eben die Verantwortung für deren Scheitern zu übernehmen.

In diese Situation will man sich nicht bringen lassen: Éric Ciotti von der gespaltenen konservativen Partei Les Républicains (LR), Le Pen und Bardella sowie Angehörige des Macron-Lagers sagten unisono, auch ohne LFI-Beteiligung wolle man keine Linksregierung, deren Programm man grundsätzlich ablehne; schon Mitte voriger Woche benannte die frühere Regierungssprecherin Maud ­Bregeon in einer Talkshow vor allem Steuererhöhungen als Problem, da sie »Frankreichs Attraktivität für Kapitalanleger senken«.

Macron wird nun wohl versuchen, aus seinem Lager und LR eine neue Regierungskoalition zu bilden – die ­allerdings ebenso wenig wie das linke Bündnis über eine Mehrheit im Parlament verfügt. Am Montag sagte Macron, den NFP mit der Regierungsbildung zu beauftragen, komme nicht in Frage. Dessen Mitgliedsparteien kündigten daraufhin am Dienstag an, an Konsultationen nicht mehr teilzunehmen, da diese »eine Farce« seien. LFI ruft für Samstag kommender Woche zum ­Massenprotest gegen Macrons Haltung auf.