Antijüdische ökonomische Stereotype: Der »Geldjude«
Zäh hält sich die Ansicht, die stereotypische Verknüpfung von Juden und Jüdinnen mit Gier, Reichtum und Wucher ginge auf ihre vermeintliche Rolle im vormodernen Geldhandel zurück. Dem aktuellen Forschungsstand zufolge ist diese traditionelle Meistererzählung jedoch nicht länger haltbar. Seinen Ursprung hatte dieses Narrativ bei Ökonomen des 19. Jahrhunderts wie Wilhelm Roscher, Werner Sombart und Max Weber im Kontext der Auseinandersetzung um die Etablierung des bürgerlichen Kapitalismus und um die jüdische Emanzipation; bereits Roscher und Sombart liefern beste Beispiele, dass diese Meistererzählung philo- wie antisemitisch interpretiert werden konnte.
Nach der Shoah entwickelte sich Antisemitismusforschung als Disziplin vor allem in der Soziologie und der Geschichtswissenschaft. Historiker wie Joshua Trachtenberg und Léon Poliakov fragten in den 1940/50ern nach den historischen Wurzeln des Antisemitismus und entdeckten sie im Mittelalter. Die These der oben genannten Ökonomen wurde nun in die Geschichtsforschung integriert, zu einer Meistererzählung ausgestaltet, mit einer selektiven Quellenauswahl belegt, tradiert und weiter popularisiert. Bereits in den 1970/80ern wurden durch Lester K. Little, Stuart Jenks oder František Graus erste Zweifel an dieser Geschichte laut, die sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte zur Gewissheit verdichteten, dass es sich um einen »Mythos« handelt, wie Julie Mell so provokant wie treffend formuliert hat.
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