In ostdeutschen Kommunen gibt es kaum noch Abgrenzung zur AfD

Die Stimmen der anderen

Im Osten des Landes schwindet nach den Kommunalwahlen die Abgrenzung zur AfD. In mehreren Kommunen wurden Politiker der Partei mit den Stimmen anderer in Ämter gewählt. Immer deutlicher sprechen sich vor allem Christdemokraten und sogar vereinzelt zivilgesellschaftliche Akteure nicht mehr gegen eine kommunale Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen aus.

Niemand hat die Absicht, die Brandmauer zu schleifen. Doch seit den Kommunalwahlen in den östlichen Bundesländern im Mai und Juni wird immer deutlicher, dass der häufig beschworene demokratische Abwehrmechanismus gegen die »Alternative für Deutschland« (AfD) kaum noch eine Wirkung entfaltet. »Die Brandmauer bröckelt von unten, aus den Kommunen heraus«, beschreibt der Soziologe David Begrich vom Verein Miteinander der Jungle World die derzeitige Entwicklung in Sachsen-Anhalt. Hauptsächlich dafür verantwortlich seien »die CDU und die kommunalen Wählervereinigungen«. Der Verein Miteinander stärkt demokratische Akteure der Zivilgesellschaft und unterstützt Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt.

In Quedlinburg wurde nach Angaben der Mitteldeutschen Zeitung Martin ­Michaelis, der für die AfD im Stadtrat sitzt, mit den Stimmen der CDU zum stellvertretenden Stadtratsvorsitzenden gewählt. Der als »Schwurbel-Pfarrer« bekannte Michaelis konnte 23 Stimmen auf sich vereinen, die AfD kommt im Stadtrat derweil nur auf acht Sitze. Zu Zeiten der Covid-19-Pandemie trat ­Michaelis bei Veranstaltungen der sogenannten Querdenker auf. Erst nachdem bekannt geworden war, dass er für die AfD kandidieren werde, leitete die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland ein Disziplinarverfahren gegen den Pfarrer ein.

»Die Brandmauer bröckelt von unten, aus den Kommunen heraus.« David Begrich, Soziologe

Selbst eine klar rechtsextreme Vergangenheit scheint für einen Posten in einem Kommunalparlament kein Hindernis mehr darzustellen. Andreas Kalbitz flog 2020 noch wegen seiner früheren Mitgliedschaft in der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ), einer von der Hitlerjugend inspirierten Jugendorganisation, aus der AfD. Bereits 2009 war die HDJ verboten worden und steht eigentlich auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD. In diesem Jahr gelang es einem ehemaligen HDJler in der AfD hingegen, zum Ortsbürgermeister gewählt zu werden: Laurens Nothdurft wurde in Roßlau, ­einem Stadtteil von Dessau, mit einer klaren Mehrheit gewählt. Nothdurft war 2002 Bundesführer der Organisation. Seine Partnerin Hildegard Nothdurft war »Bundesmädelführerin«. Der Mitteldeutschen Zeitung zufolge arbeitet Laurens Nothdurft für die AfD-Fraktion im sachsen-anhaltischen Landtag. Eine Tätigkeit für die bayerische Landtagsfraktion der AfD musste er 2019 noch wegen seiner rechtsextremen Vergangenheit beenden.

Anfang Juni forderte Alexander Räuscher (CDU), Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt und im Stadtrat von Osterwieck, im Gespräch mit dem Spiegel noch, die sogenannte Brandmauer zur AfD abzuschaffen. Die Konsequenz war zwar kein Rüffel von der Landtagsfraktion, aber eine heftige Auseinandersetzung in der lokalen CDU, die im Ausschluss Räuschers aus der Ratsfraktion gipfelte.

»Brandmauer von der Mitte her eingerissen«

In Mecklenburg-Vorpommern bröckelt die »Brandmauer« nicht nur, »sie wird von der Mitte her eingerissen«, so der Politikwissenschaftler Johannes Diesing über die Entwicklung im nordöstlichen Bundesland auf X. Das erwies sich zum Beispiel jüngst bei einer Abstimmung des Kreistags Vorpommern-Greifswald, der 69 Sitze hat. Am 15. Juli setzte sich dort Sandra Nachtweih (CDU) mit 41 Stimmen gegen Nikolaus ­Kramer (AfD) durch, der 22 Stimmen erhielt. Bei der Wahl des Ersten Stell­vertreters erhielt Kramer dann 41 Stimmen, seine Kontrahentin Katharina Horn (Grüne) hingegen nur 16. Die AfD ist mit 29,6 Prozent und 20 Mandaten stärkste Kraft im Kreis, gefolgt von der CDU mit 23,9 Prozent und 17 Mandaten. Beide Kandidaten waren damit auf die Stimmen anderer Parteien angewiesen.

Die Fälle der Zusammenarbeit von CDU und AfD häufen sich seit den Kommunalwahlen. Bei der konstituierenden Sitzung des Kreistags von Vorpommern-Rügen am 8. Juli wurde der Kriminalkommissar Carlos Dias Rodrigues (AfD) mit 41 Stimmen zum stellvertretenden Kreistagspräsidenten ­gewählt. Die AfD ist im Kreistag mit 18 Mandaten hinter der CDU mit 20 die zweitstärkste Kraft.

Die CDU-Plus-Fraktion, zu der neben den Christdemokraten auch zwei Ab­geordnete der Wahlliste »Die Unabhängigen« und der parteilose Bürgermeister von Binz, Karsten Schneider, gehören, hat sich laut NDR bisher noch nicht festgelegt, wie sie mit der AfD umgeht. »Prinzipiell gilt, dass wir als CDU-Plus-Fraktion uns mit unseren Anträgen und Inhalten beschäftigen werden und wollen«, sagte der Fraktionsvorsitzende Benjamin Heinke (CDU). »Erst dann, wenn wir Inhalte kennen, auch die der anderen Fraktionen, lässt sich darüber debattieren, an welchen Stellen es eine Brandmauer gibt und an welchen Stellen nicht.«

Teile der Zivilgesellschaft kapitulieren

In der Hansestadt Greifswald hat sich die Fraktion der CDU wegen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit der AfD gespalten. Neben der CDU-Fraktion existiert nun noch die Fraktion Christlich Demokratische Konservative/IBG/Allianz mit Axel Hochschild als Fraktionsvorsitzenden, der vor seinem Austritt die CDU-Fraktion geführt hatte. Im Gegensatz zu dieser zeigt die neue Fraktion sich offen für eine Zusammenarbeit mit der AfD. Dem NDR teilte Hochschild mit: »Die Brandmauer hat nichts gebracht. Die AfD ist immer stärker ­geworden. Wir machen keine Ausschließeritis.«

Der neue Bürgervorsteher von Teterow im Landkreis Rostock, Christian Wolter (AfD), muss sich um solche Querelen nicht kümmern. Ihn hat die Stadtvertretung zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Von den 21 Mitgliedern stimmten elf für den Kandidaten der AfD, die selbst lediglich sieben Abgeordnete stellt.

Der Landesvorsitzende der AfD in Mecklenburg-Vorpommern, Leif-Erik Holm, gratulierte: »Der Brandmauerfall hat begonnen.« Gleichzeitig kapitulieren Teile der Zivilgesellschaft: »Brandmauer gegen AfD im Kreis ist ein fragwürdiger Ansatz«, sagte erst kürzlich Christian Ulbricht, der Leiter des Regionalzentrums für demokra­tische Kultur in Vorpommern-Greifswald, in einem Gespräch mit der Ostsee-Zeitung. Mit dem Verweis auf die Wahlerfolge der AfD, zum Beispiel in Garz auf der Insel Usedom, wo 51,9 Prozent der Wähler bei der Kreistagswahl die AfD gewählt haben, stellt Ulbricht die Frage, ob es zielführend sei, »51,9 Prozent der Wählenden per se auszugrenzen«.

Man bekomme »Legi­timitätsprobleme der Demokratie an sich«, so Ulbricht weiter, »wenn in gewissen Wahlbezirken 30 bis 50 Prozent der Wählerstimmen nicht ihre Re­präsentation finden«. Seine Aussagen möchte er nicht als ein Appell für die Zusammenarbeit verstanden wissen, »aber eine Frage nach den Konsequenzen und dem Diskurs«. Letztlich lasse sich ja noch nicht sagen, »ob die Partei tatsächlich antidemokratische Bestrebungen in der Kommunalpo­litik hier vor Ort zeigt«.