Für den Film »Daddio« braucht es viel Sitzfleisch

Küchenpsychologie auf der Rückbank

Mit dem Taxi in einem Stau gefangen: Eigentlich ein schöner Plot für einen Kinofilm, doch in Christy Halls Debüt »Daddio« erzählen sich die Hauptfiguren, gespielt von Dakota Johnson und Sean Penn, dann doch zu viel Banales und Kitschiges.

Wer zum ersten Mal auf der Rückbank eines New Yorker Taxis Platz nimmt und sich hinter einer trüben Plexiglasscheibe wiederfindet, der kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dort schon unzählige Male gesessen zu haben. Denn praktisch jede und jeder hat schon in Hollywood-Filmen an solchen Taxifahrten teilgenommen, so oft kommt die ­Situation in ihnen vor.

Orte wie die Highways in der Wüste des Südwestens der USA, die anonymen Weiten des nächtlichen Los Angeles, die ­neonleuchtenden Casinos in Las Vegas oder eben die New Yorker Taxis sind unzähligen Menschen zu einer beinahe intim bekannten, affektbesetzten Sphäre geworden, auch wenn sie noch nie physisch dort waren. Christy Halls Regiedebüt »Daddio – Eine Nacht in New York« ist der Versuch, einen ganzen Spielfilm im seltsam vertrauten Inneren eines solchen yellow cab zu realisieren.

Eine junge Frau, die namenlos bleibt und von Dakota Johnson gespielt wird, steigt nach ihrer Landung am New Yorker Flughafen John F. Kennedy in ein solches Taxi ein und nennt als Ziel eine Adresse in Midtown. Ein sanfter, sphärischer Score gibt die etwas rührselige Stimmung des Films vor, die Kamera folgt den Blicken der Passagierin, die die Details des Innenraums abtasten, während sie routiniert den Bildschirm im Vordersitz ausschaltet – und sich so ihrem aufmerksamen Fahrer als New Yorkerin zu erkennen gibt.

Der Fahrer beginnt seine Passagierin auszufragen und erfährt, dass sie von einem Besuch bei ihrer Halbschwester in Oklahoma zurückgekehrt ist. Als Programmiererin erscheint sie als Herrin über jene abstrakte Welt des Digitalen, von der er sich bedroht sieht. 

Dieser, gespielt von Sean Penn, beginnt schließlich mit dem üblichen Taxi-Smalltalk. Seit alle mit Kreditkarten und Apps bezahlten, sei das Trinkgeld weniger geworden. Die meisten Leute wüssten übrigens nicht, dass früher einmal Salz und Kaffee wie Währungen behandelt worden seien. Es folgen generelle Überlegungen zum technischen Fortschritt und Spekulationen über die Zukunft selbstfahrender Autos.

Für einen Moment scheint es, als eröffne das Thema der Digitalisierung, die sich über die Köpfe der Menschen hinweg zu vollziehen scheint und sie mit ihrer potentiellen Überflüssigkeit konfrontiert, der Raum für ein wirkliches Gespräch zwischen zwei Einzelnen – in einer Welt, in der Sprache immer mehr zum Medium bloßen Gequassels zusammenschrumpft. Zugleich drängt sich bereits hier die Sorge auf, eben dieses Gespräch könne im Eigentlichkeitskitsch, im Klischee einer vermeintlich unmittelbaren Begegnung münden. Sie wird sich als nicht unbegründet erweisen.

Empathieloser Empfang

Der Fahrer, der sich nun als Clark vorstellt, beginnt seine Passagierin auszufragen und erfährt, dass sie von einem Besuch bei ihrer Halbschwester in Oklahoma zurückgekehrt ist. Als Programmiererin erscheint sie als Herrin über jene abstrakte Welt des Digitalen, von der Clark sich bedroht sieht. Der Film bemüht sich im Folgenden um die Demontage dieser Hierarchie. Denn das Smartphone der jungen Frau, auf das sie immer wieder verstohlen schaut, hält wenig Erbauliches für sie bereit.

Sie erhält Textnachrichten von ­einem Liebhaber, der sie noch am selben Abend treffen will, dabei aber ganz auf seine eigene Befriedigung fixiert scheint – auf ihre Einlassung, der Besuch im Bundesstaat ihrer Kindheit sei hart gewesen, ­reagiert er mit dem Verweis auf die Härte seiner Erektion. Unglücklich über diesen empathielosen Empfang verschiebt sie das Treffen auf einen anderen Tag. Ein liebevoller Mann, zu dem sie zurückkehren könnte, wäre ihr wohl lieber gewesen.

Für Clark hingegen ist jetzt die Gelegenheit gekommen, seine Menschenkenntnis und seinen Blick fürs Konkrete unter Beweis zu stellen und auf derbe Weise unbequeme vermeintliche Wahrheiten auszusprechen. Denn so treffsicher, wie er die junge Frau auf den ersten Blick als New Yorkerin erkannte, errät er nun, dass es sich bei ihrem Lieb­haber um einen verheirateten Mann handelt.

Plumpe Küchen­psychologie statt psychoanalytischer Übertragungssituation 

Das Taxi gerät in einen von einem Unfall verursachten Stau, der wohl für den Zwischenraum im stressigen New Yorker Alltag stehen soll, in dem sich eine Gelegenheit zur Reflexion auftut – und der überdies die Funktion erfüllt, die Fahrt vom Flughafen bis Midtown auf Spielfilm­länge zu strecken. Doch was so etwas wie eine psychoanalytische Übertragungssituation hätte werden können, gerät zur plumpen Küchen­psychologie.

Zunächst bringt der vermeintlich scharfsinnige Clark einiges in Erfahrung über die Vergangenheit und Gegenwart seines Fahrgasts. Da ist die Mutter, die nicht vom Zigarettenholen zurückkehrte und den Zuschauer fragen lässt, ob »Daddio« sich hier an einem Spiel mit abgegriffenen Bildern versucht oder offen seine eigene Phrasenhaftigkeit eingesteht. Da ist ein distanzierter Vater, der seine Tochter kein einziges Mal berührt hat. Und da ist die Halbschwester, die die mütterliche Rolle einnahm, dabei ebenso fürsorglich wie sadistisch auftrat und inzwischen in einer lesbischen Beziehung mit einer indigenen Amerikanerin lebt – die Gelegenheit für den begeisterten Clark, seine Toleranz und Liberalität unter Beweis zu stellen.

Pro­letarischer Charme des geradlinigen Teilzeitgurus

Sobald das geklärt ist, kann er ­ungehemmt seine vermeintlich ehrliche, in Wahrheit aber abfällige ­Lebensphilosophie ausbreiten. Er ergeht sich in endlosen Auslassungen über die Triebhaftigkeit der verlogenen Männer, die nur des Scheins wegen eine Familie gründen würden und in Wahrheit stets danach trachteten, Frauen wie Spielzeuge zu sammeln.

Seine Passagierin lässt sich davon zwar zeitweilig empören, erliegt aber immer wieder dem pro­letarischen Charme des geradlinigen Teilzeitgurus, der meint, im Zusammenhang zwischen der Abstinenz ihres Vaters und ihrer Liebeswahl eines verheirateten, älteren Mannes eine tiefe, unbekannte Wahrheit gefunden zu haben. Der Stau entpuppt sich nicht als eine unerwartete Möglichkeit, sondern als eine ungewollte Versinnbildlichung des zähen, bemühten Drehbuchs, das mehr über die bornierten Sehnsüchte eines an seiner vermeintlichen Intellektualität leidenden Schreibermilieus offenbart als über das reale Leben, gar das eines Proletariers.

Johnson und Penn bemühen sich redlich, der Floskelkarambolage so etwas wie Intensität und Intimität zu verleihen.

Schließlich kommen die beiden allen Ernstes auf ihre bucket lists zu sprechen: Die junge Frau träumt ­davon, im Central Park Vögel zu beobachten, während Clark gerne ­einmal Unterwäsche aus einem Verkaufsautomaten in Japan fischen möchte. Die Konversation findet nicht mehr im Stau ihren adäquates Symbol, sondern in dem Unfall, der diesen Stau verursacht hat. Dakota Johnson und Sean Penn be­mühen sich redlich, der Floskelkarambolage so etwas wie Intensität und Intimität zu verleihen, doch der überdramatische Score und das ­einfallslose Drehbuch lassen ihnen keine Chance.

Immerhin lässt ein Stimmungswechsel in den Chatnachrichten des verheirateten Manns zeitweilig andere Töne anklingen, doch auch hier sieht man die Regisseurin Hall, die auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, förmlich an ihrem Schreibtisch sitzen und gekünstelt um Ambivalenz ringen. Wer dennoch erfahren möchte, wie der jungen Passagierin ein Regentanz über das ungewollte Ende einer ungewollten Schwangerschaft hinweghalf und wie ungeheuer hoch das Trinkgeld für ihren redseligen Fahrer ausfällt, dem sei der Gang ins Kino empfohlen – alle anderen kann man vor diesem Ärgernis nur warnen. Den Gefühlen, die Filmliebhaber mit der Rückbank von New Yorker Taxis verbinden, vermag der Film allenfalls das einer ungläubigen Langeweile hinzuzufügen.

Daddio (USA 2023). Buch und Regie: Christy Hall. Darsteller: Dakota Johnson, Sean Penn