Das Bündnis Sahra Wagenknecht wird autokratisch geführt, nun gibt es erste Austritte

Das autokratische Bündnis

Das Bündnis Sahra Wagenknecht erlebt derzeit ein Umfragehoch, hochrangige CDU-Politiker erklärten, sie könnten sich eine Koalition mit dem BSW auf Länderebene vorstellen. Doch erste Austritte zeigen, woran die Partei scheitern könnte.

Eigentlich läuft es gerade rund für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Erst erzielte es bei den Europawahlen mit 6,2 Prozent einen Achtungserfolg und erhielt mehr als doppelt so viele Stimmen wie die Linkspartei. Darauf folgte ein Umfragehoch, das die neue Partei bei den bald anstehenden Landtagswahlen in Sachsen bei 15 Prozent sah, in Thüringen sogar bei 21 Prozent – woraufhin der Parteivorsitzende der thüringischen CDU, Mario Voigt, und der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) vergangene Woche mitteilten, sie könnten sich eine Koalition ihrer Parteien mit dem BSW auf Landesebene vorstellen.

Wenn da nur nicht dieses Ärgernis in Gotha wäre. In dem thüringischen Landkreis, in dessen größter Stadt einst die SPD ihr erstes Grundsatzprogramm verabschiedete, hätte alles so schön sein können. Mit 12,4 Prozent und sechs Abgeordneten ist dort das BSW Ende Mai in den Kreistag eingezogen. Es war landesweit ihr bestes Ergebnis bei den Kommunalwahlen. Doch schon bei der konstituierenden Sitzung in der vergangenen Woche sind zwei Mandate wieder verlustig gegangen. Der Wäschereibesitzer Mike Creutzburg und der Bestattungsunternehmer Jörg Schwerin haben das BSW verlassen und sind stattdessen der rechtskonservativen Werteunion von Hans-Georg Maaßen beigetreten.

Dem Abgeordneten Andrej Hunko zufolge habe sich die BSW-Gruppe im Bundestag darauf verständigt, nicht mehr gegen »inhaltlich gute Anträge« der AfD zu stimmen.

Dem Aufschwung des BSW dürfte das kaum Abbruch tun. Aber der Vorfall weist auf eine Schwachstelle des eigentümlichen Parteikonstrukts hin, das sich Wagenknecht und ihr enger Vertrautenkreis ausgedacht haben. Denn zum einen nützt auch die restriktivste Aufnahmepraxis nur begrenzt, wenn die Aufnahmekriterien nicht zielgenau genug sind, also zwar gegen allzu progressive Ansichten abschotten, nicht jedoch gegen rechte. Wer Migrant:innen, Klimaschutz, Coronamaßnahmen, das Gendern und die Grünen blöd findet, passt zwar gut ins BSW, aber eben auch woanders hin. Zum anderen besteht auch in einer kleinen, sich persönlich verbunden fühlenden politischen Gruppe stets die Gefahr, dass individuelle Ambitionen zu Zerwürfnissen führen.

Dafür bietet der im März gegründete Landesverband des BSW in Thüringen ein anschauliches Beispiel. Anfang Juni stellte er seine Liste für die Landtagswahl im September auf. Zu der Versammlung kamen 41 der insgesamt 47 Mitglieder und wählten 32 Kan­di­dat:in­nen. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass 15 Mitglieder leer ausgingen. Darunter Creutzburg und Schwerin sowie das Landesvorstandsmitglied Mario Forchhammer. Der trat unmittelbar nach der Versammlung aus dem Landesvorstand zurück und kritisierte die angeblich »intransparenten, autokratisch wirkenden Entscheidungsfindungen« der beiden Landesvorsitzenden Katja Wolf und Steffen Schütz.

Am Reißbrett konzipierte Partei

Das ist ein lustiger Vorwurf bei einer von einem kleinen Führungszirkel am Reißbrett konzipierten Partei, deren Landesvorstände von oben ausgewählt und danach von der winzigen Basis nur noch formaldemokratisch abgesegnet wurden und werden. Derzeit hat das BSW eigenen Angaben zufolge um die 700 handverlesene Mitglieder. »Die Erfahrungen zeigen: Jungen Parteien droht bei einem unkontrollierten Mitgliederzuwachs, frühzeitig ins Chaos zu verfallen und politisch in der Versenkung zu verschwinden«, begründete die Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali unlängst in der Rheinischen Post den von ihrer Partei eingeschlagenen »Weg des kontrollierten Wachstums«.

Partei als One-Woman-Show. Plakat bei einer Wahlkampf-Kundgebung des Bündnisses Sahra Wagenknecht am 4. Juni in Leipzig

Partei als One-Woman-Show. Plakat bei einer Wahlkampf-Kundgebung des Bündnisses Sahra Wagenknecht am 4. Juni in Leipzig

Bild:
picture alliance / Geisler-Fotopress / Matthias Wehnert

Ursprünglich hatte der BSW-Führungszirkel geplant, bis Ende dieses Jahres etwa 1.000 Menschen in die Partei aufzunehmen, bis zur Bundestagswahl im September 2025 sollten es gerade mal 2.000 sein. Ob dieses Ziel eingehalten werden kann, ist inzwischen fraglich. Denn je höher das BSW in den Umfragen steigt, desto größer wird der Druck, die Schleusen zu öffnen. Noch wird jede und jeder Einzelne von ganz oben überprüft, ob sie oder er auch passt. Das wird aber irgendwann kaum mehr möglich sein. Dann werden sich manche Probleme potenzieren.

Die bisherigen Mitglieder wurden nach zwei Kriterien ausgesucht: Erstens wurden jene mit einer Mitgliedschaft belohnt, die sich mehr oder weniger aktiv hinter den Kulissen an der Spaltung der Linkspartei beteiligt haben, ins­besondere wenn sie bereit waren, ihre kommunalen Mandate ins BSW zu überführen. Zweitens wurden »Seiteneinsteiger« aufgenommen, die für die Außendarstellung des BSW interessant erscheinen, zuvorderst irgendwelche mittelständischen Unternehmer, wie beispielsweise der Millionär Ralph Suikat, der jetzt Schatzmeister des BSW ist. Oder Jörg Scheibe, Geschäftsführer der »Prof. Dr. Scheibe Ingenieur-GmbH«: Er wurde von der früheren Linkspartei-Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann als ihr Co-Vorsitzender in Sachsen gecastet, nachdem er eine nette Mail an Wagenknecht geschrieben hatte. In Thüringen steht an der Seite der langjährigen Linkspartei-Politikerin und früheren Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf der Eisenacher Medienunternehmer Steffen Schütz.

Politneulinge aus der Wirtschaft

Dieses Modell der Rekrutierung von Politneulingen aus der Wirtschaft hat natürlich seine Tücken. So machte das BSW im Saarland den Merziger Bäcker Randolf Jobst zu seinem Vorsitzenden an der Seite der früheren saarländischen Linkspartei-Vorsitzenden Astrid Schramm. Doch obwohl Wagenknecht und Oskar Lafontaine von seinen Backkünsten sehr begeistert sein sollen, hielt das Jobst nicht davon ab, Mitte Juni zurückzutreten. Anlass waren Äußerungen seiner Co-Vorsitzenden Schramm über eine mögliche Zusammenarbeit mit der AfD auf Kommunalebene. Das müsse vor Ort entschieden werden, bekundete Schramm, ­wobei sie förmliche Koalitionen mit der Rechtsaußenpartei ausschloss. Jobst begründete seinen Rücktritt daraufhin damit, dass er die Bundesspitze mehrfach vergeblich gebeten habe, klarzustellen, dass es auch auf kommunaler Ebene keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben dürfe.

So eine »Klarstellung« zu erwarten, zeugt allerdings von einer gehörigen politischen Unbedarftheit. Denn die Äußerungen von Schramm entsprechen vollständig der Linie der BSW-Gruppe im Bundestag, dem Zentrum der Partei. Erstmals hatte Mitte März der Abgeordnete Andrej Hunko auf einer Veranstaltung des Overton-Magazins öffentlich gemacht, dass die BSW-Bundestagsgruppe sich darauf verständigt habe, nicht mehr gegen »inhaltlich gute Anträge« der AfD zu stimmen – wobei er einräumte, dass das ein etwas heikles Thema sei, da das BSW »verschiedene Unterstützermilieus« habe. Es gebe da »auch Leute, für die die Auseinandersetzung mit der AfD wichtig ist«. Das dürfte auch der Grund sein, warum die zentralen Figuren des BSW inzwischen unisono bekunden, Koalitionen mit der AfD kategorisch abzulehnen. Bei manchen gilt das übrigens auch noch für eine andere Partei. So sagte die sächsische Landesvorsitzende Zimmermann der Leipziger Volkszeitung: »Auf keinen Fall werden wir mit der AfD oder den Grünen eine Koalition eingehen.«

Noch halten sich die öffentlich ausgetragenen Personalquerelen in Grenzen und richten keinen größeren Schaden an. Aber sie sind Vorboten dafür, dass der neuen Partei perspektivisch das gleiche Schicksal blühen könnte wie der Piratenpartei, der Lijst Pim Fortuyn in den Niederlanden oder dem Team Stronach in Österreich, deren jeweiliger Stern längst wieder erloschen ist. Zunächst dürfte jedoch der Aufwärtstrend des BSW anhalten. Wagenknechts Popularität überstrahlt alle Widrigkeiten und Widersprüche. Solange sie als Projektionsfläche so gut funktioniert, muss sich das BSW keine Sorgen machen. Das bedeutet aber auch, dass der Laden vollständig von ihr abhängig ist. Bei der Nachwahlbefragung von Infratest Dimap gaben 78 Prozent der BSW-Wähler:innen an, sie hätten die Partei ohne Sahra Wagenknecht bei den Europawahlen nicht gewählt.

Schwierige Mehrheitsverhältnisse nach den Landtagswahlen

Die 6,2 Prozent bundesweit bei den Europawahlen, vor allem jedoch die durchweg zweistelligen Ergebnisse bei Wahlumfragen im Osten beflügeln die Partei. Hinzu kommt, dass mit Blick auf die absehbar schwierigen Mehrheitsverhältnisse in Thüringen, Sachsen und Brandenburg nach den Landtagswahlen im September in der CDU laut über mögliche Koalitionen mit dem BSW diskutiert wird. Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz sah sich nach heftigem Widerspruch aus den eigenen Reihen gezwungen, seine generelle Absage an eine Koalition mit dem BSW zu relativieren. Sie gelte nur für die Bundesebene, sagte er am Sonntag im ZDF.

Seit das BSW im Frühjahr angekündigt hat, zu den drei ostdeutschen Landtagswahlen in diesem Jahr anzutreten, bekundet Wagenknecht die grundsätzliche Bereitschaft ihrer Partei zu anschließenden Koalitionsgesprächen auch mit der CDU. Auf den ersten Blick mag ihre vermeintliche Regierungs­bereitschaft verwundern, hat sich doch mit Wagenknecht und den neun Abgeordneten, die sich ihr angeschlossen haben, genau der Teil von der damaligen Linksfraktion im Bundestag abgespalten, der schon eine Kooperation mit der SPD stets bekämpft hatte. Das ist jedoch nur ein scheinbarer Widerspruch. Die inhaltlichen Differenzen auf der Länderebene, wo es in der Regel nicht um Außenpolitik geht, sind zwischen dem BSW und der CDU im Osten nicht besonders groß. Mit Windrädern oder Tempolimits haben beide ebenso wenig am Hut wie mit Geflüchteten oder einer ausgeprägten Ukraine-Solidarität.

Demonstrative Koalitionsbereitschaft nur ein Trick

Sachsens BSW-Spitzenkandidatin Zimmermann ordnet ihre Partei selbst »links der CDU, rechts der SPD« ein. Als erste Bedingung für einen Regierungseintritt nannte sie gegenüber der Frankfurter Rundschau, dass Handys und Tablets von der ersten bis zur vierten Klasse aus den Schulen verbannt werden. Das dürfte kein unüberwindbares Hindernis sein, ebenso wie eine weitere Bedingung, die sie nannte: »Straffällig gewordene Migrantinnen und Migranten sollten ausgewiesen werden.«

Aber trotz aller Bekundungen ist es fraglich, ob Parteinamensgeberin ­Wagenknecht tatsächlich zulassen würde, dass ihre Partei als Juniorpartnerin in eine Regierungskoalition in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg eintritt. Viel spricht dafür, dass die demonstrative Koalitionsbereitschaft nur ein Trick ist, um Aufmerksamkeit zu generieren. Und bisher funktioniert er gut. Die Gefahr aber, dass das BSW im tristen Mitregierungsalltag in einem Bundesland seinen Nimbus als Hoffnungsträgerin aller Unzufriedenen verliert, wäre groß. Es ist fraglich, ob Wagenknecht dieses Risiko eingehen wird, das ihr Hauptziel gefährden könnte. Das nämlich ist der Einzug in den Bundestag im kommenden Jahr. Alles andere ist zweitrangig, dient nur als Mittel zum Zweck.