Viele Flüchtlingsunterkünfte werden von profitorientierten Unternehmen betrieben

Das Geschäft mit den Geflüchteten

Viele Flüchtlingsunterkünfte werden von privaten Firmen betrieben. Kürzlich kündigte das Land Berlin einen solchen Vertrag mit der Firma ORS wegen »gravierender Mängel«. Ein verstorbener Bewohner soll Berichten zufolge über Wochen fälschlich weiter abgerechnet worden sein.

Flüchtlingsunterkünfte werden vom Staat oder den Kommunen betrieben – so wird es gemeinhin zumindest oft angenommen. In Wirklichkeit jedoch ist Unterbringung von Geflüchteten ein Millionenmarkt und neben gemeinnützigen Betreibern wie dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) oder den Johannitern tummeln sich viele private Firmen in diesem Segment.

Ende April wurde in Berlin einer solchen Firma, der Organisation for Refugee Service (ORS), der Vertrag außerordentlich gekündigt. Grund sei gewesen, dass »in von der ORS betriebenen ­Unterkünften gravierende Mängel und umfangreiche strukturelle Probleme festgestellt« worden seien, teilte das Landesamt für Flüchtlinge kürzlich auf Anfrage des Nachrichtenmagazins »Monitor« mit.

»Monitor« berichtete nun, in einer von ORS betriebenen Unterkunft sei der Tod eines Bewohners über Wochen unentdeckt geblieben. Dies habe eine mit dem Fall betraute Quelle berichtet. Es habe sich um einen 24jährigen Mann aus Guinea gehandelt. Die Kosten für seine Unterbringung seien noch Wochen nach seinem Tod fälschlich abgerechnet worden.

»Wir lehnen es kategorisch ab, dass profitorientierte Unternehmen Gemeinschaftsunterkünfte betreiben. Sie gehören in die gemeinnützige oder öffentliche Hand.« Flüchtlingsrat Berlin

Die Firma ORS bezeichnet sich als eine »erfahrene Dienstleisterin im Bereich der Migration«. Eigenen Angaben zufolge betreibt sie in fünf Ländern mit 1.300 Mitarbeitern über 100 Flüchtlingsunterkünfte, vor allem in der Schweiz. In Deutschland sind es demnach 17.

Der Senat hat bislang nicht mitgeteilt, welche Mängel und strukturellen Probleme genau zur Kündigung der Verträge geführt haben. Elif Eralp, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für die Linkspartei, hatte sich in einer Anfrage danach erkundigt. Die Antwort wurde Anfang Juli gegeben und fiel denkbar knapp aus: »Hintergrund ist vertragswidriges Verhalten, das die Tatbestandvoraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung erfüllt.«

Doch der Senat bestätigte in der Antwort auf Eralps Anfrage: »Es gab einen Todesfall. Bis zur abschließenden Klärung der Umstände kann sich der Senat nicht äußern.« Die Kündigungen beziehen sich auf die Unterkünfte in der Bühringstraße (Pankow), Wolfgang-Heinz-Straße (Pankow) sowie in der Bäkestraße (Steglitz-Zehlendorf).

Serco ­betreibt Gefängnisse in verschiedenen Ländern

Die Betreiberfirma ORS gehört zu der weltweit tätigen Serco-Gruppe, eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Großbritannien. »Serco beschäftigt weltweit rund 50.000 Mitarbeiter. Der Konzern ist in vielen Geschäftsfeldern ­aktiv, aus denen sich der Staat zurückgezogen hat«, sagt Werner Nienhüser der Jungle World; der emeritierte Professor für Betriebswirtschaftslehre hat sich lange mit dem Unternehmen beschäftigt. Serco hat unter anderem auch eine Rüstungssparte und war am Management von britischen Einrichtungen für Atomwaffen beteiligt. Für das Jahr 2022 wurde Serco deshalb vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri auf Platz 64 der 100 ­größten Rüstungskonzerne weltweit geführt. Außerdem betreibt Serco ­Gefängnisse in verschiedenen Ländern.

In Australien übertrug die Regierung dem Konzern die Verwaltung und den Betrieb von Einwanderungshaftanstalten. Im Mai musste Serco dort eine Geldstrafe zahlen, weil es den »unangemessenen« Einsatz von Feuerlöschern gegen Personen in einem dieser Anstalten »verborgen« hatte, wie es in einem Bericht des zuständigen Ombudsmanns heißt. Anfang 2022 war es in einem australischen Flüchtlingslager auf der Weihnachtsinsel zu Unruhen ­gekommen. In zwei Fällen seien dabei dem Ombudsmann zufolge »geplant und systematisch« Feuerlöscher gegen Menschen eingesetzt worden.

Im Jahr 2022 übernahm Serco die deutsche Firma ORS und ist seitdem auch in der Flüchtlingsunterbringung in Deutschland involviert. Im März 2024 kaufte Serco zudem für 40 Millionen Euro die European Homecare GmbH (EHC). Nach ihrer Gründung 1989 betrieb diese zunächst vor allem in Ostdeutschland Einrichtungen für Aussiedler aus der Sowjetunion. Später betätigte sich EHC auch in der Unterbringung von Obdachlosen und dann von Geflüchteten. Als Serco das Unternehmen kaufte, war es der größte private Betreiber von Flüchtlingsunterkünften in Deutschland, mit nach eigenen Angaben 120 Einrichtungen.

Bewohner misshandelt

2014 haben Mitarbeiter einer Flüchtlingsunterkunft, die von EHC betrieben wurde, Bewohner misshandelt. Dies war durch Handyfotos und ein Video bekannt geworden. Flüchtlinge wurden unter anderem bei Regelverstößen in ein sogenanntes Problemzimmer eingesperrt. Vier Mitarbeiter wurden wegen Freiheitsberaubung zu Geldstrafen verurteilt.

Werner Nienhüser hat sich die Geschäftsbilanz von European Homecare genauer angeschaut. »In den Jahren 2012 bis 2022 erzielte das Unternehmen einen durchschnittlichen jährlichen Überschuss von rund 9,5 Millionen Euro«, sagt er. Besonders stachen die Jahre um 2015 heraus, als wegen starken Zuzugs viele Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht wurden. »Danach sank der Überschuss deutlich, verblieb aber stets im positiven Bereich«, so Nienhüser. Für ein kleineres Unternehmen wie EHC seien diese Schwankungen nur schwer aufzufangen. Für die größere Firma Serco sei dies hingegen kein Pro­blem und European Homecare durchaus lukrativ.

Der Betriebswirtschaftler schätzt, dass mehr als ein Drittel der Flüchtlingsunterkünfte in Nordrhein-West­falen von den privaten Firmen ORS und EHC – also faktisch von Serco – betrieben werden. Die anderen Unterkünfte befänden sich in den Händen von Wohlfahrtsverbänden und kleineren privaten Firmen.
Als Serco EHC übernahm, schrieb der Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen in einer Pressemitteilung: »Serco steht in der Kritik aufgrund der Bedingungen in von ihnen betriebenen Einwanderungshaftanstalten. Berichte beinhalten überfüllte Unterkünfte, mangelnde medizinische Versorgung und unzureichende Lebensbedingungen.«

Arbeit und Finanzierung müssen transparent sein 

Nienhüser sagt, es spreche prinzipiell nichts gegen kommerzielle Betreiber, solange deren Arbeit und Finanzierung transparent sei und kontrolliert werde. Der Flüchtlingsrat Berlin lehnt es hingegen »kategorisch ab, dass profitorientierte Unternehmen Gemeinschaftsunterkünfte betreiben«, teilte ein Sprecher der Jungle World mit. »Gemeinschaftsunterkünfte gehören ebenso wie andere gesellschaftlich relevante Bereiche wie die Gesundheitsversorgung, Bildung und die öffentliche Infrastruktur in die gemeinnützige oder öffentliche Hand.«

Freilich werden auch die Zustände in Flüchtlingsunterkünften, die von gemeinnützigen Trägern betrieben werden, immer wieder kritisiert – zum Beispiel im Flüchtlingsheim in Berlin-Tegel, welches das DRK betreibt. Dort wird allerdings unter anderem der Sicherheitsdienst an verschiedene Subunternehmen ausgelagert.

Serco selbst preist sein Angebot in einer Pressemitteilung großspurig an: »Weltweit bestehen komplexe und wachsende Anforderungen an Unterstützungsdienste für Einwanderungs- und Asylbewerber. Und wir können auf eine starke Erfolgsbilanz bei der Bereitstellung hoher Servicestandards zurückblicken.«

Nienhüser geht davon aus, dass Serco seinen Marktanteil in Deutschland weiter ausbauen will. Immer wenn Verträge von Flüchtlingsheimen auslaufen, müssen sie europaweit neu ausgeschrieben werden. Serco habe dabei mit seiner jetzigen dominanten Marktposition gute Voraussetzungen. Seit Anfang 2024 ist der Aktienkurs von Serco um rund 18 Prozent gestiegen, im zurückliegenden Jahr um 41 Prozent. Das Geschäft mit den Flüchtlingsunterkünften ist offenbar lukrativ.