»Konstrukt/Destrukt«

Sprüh den Schlumpf!

Die Ausstellung »Konstrukt/Destrukt« macht sich für illegale Sprayer stark.

Ey, komma klar, komma klar!« Der Vermummte dreht sich aus dem grün-krisseligen Nightshot-Bild, ein paar Meter weiter unten sieht man jetzt einen U-Bahn-Zug der Berliner Verkehrsgesellschaft auf einem Abstellgleis stehen. Eine Anderer kommt ins Bild, murmelt etwas hinter der schwarzen Gesichtsmaske, hebt die Hand, in der er eine Sprühdose hält, und schüttelt sie. Die Zuschauer grölen, der Typ mit der Dose hört es über den Funkkopfhörer, und sagt ein paar Sätze zum Publikum, bevor er eine Tüte packt und mit seinem Kumpel die paar Leitersprossen zum orangefarbenen Zug heruntersteigt.

Das Publikum schaut gebannt auf den Bildschirm, der in der Galerie im Pferdestall der Kulturbrauerei aufgebaut ist. Dort zeigt und dokumentiert der Verein Pseudonyme Gesellschaft noch bis zum 15. Februar eine Ausstellung, die sich der »Förderung freier künstlerischer Entfaltung im urbanen Raum« widmet. Die Pseudonyme Gesellschaft wurde von drei »alten Hasen« der Berliner Sprüherszene, Esher, Skywise und Mixrasta, gegründet. Mit der Ausstellung »Konstrukt/ Destrukt« wollen sie den Sprüher als das »wilde Tier in freier Wildbahn« zeigen.

Draußen, im Freien, rumpelt es plötzlich sehr laut, der Kameramann schwenkt nach links. Eine U-Bahn fährt donnernd vorbei, wieder klatschen die Zuschauer, denn jetzt haben die Jungs zur ersten Outline angesetzt. Sie sprühen einen Schlumpf. Daneben kommt eine Bombe. Wieder Applaus. Schnell noch ein Erinnerungsfoto, dann rennen die drei entlang der Bahnstrecke in Richtung Ausgang. Eine Stahltreppe hoch, die Kamera wackelt, der Moderator fragt besorgt, ob alles okay ist. Keine Antwort. Die Tür klemmt, alle zittern mit, sie springt auf, und man sieht nichts mehr, hört nur noch einen Knall und Stimmengewirr. Plötzlich bricht die Übertragung ganz ab. Der Moderator sagt: »Ich weiß nicht, was passiert ist, aber sie haben gewusst, worauf sie sich einlassen.«

Jener Teil des Publikums, der noch nie illegal und des Nachts einen U-Bahn-Zug besprüht hat, wusste nicht, worauf man sich dabei einlässt. Nach der Live-Übertragung aus dem Berliner Untergrund konnte keiner mehr sagen, er oder sie verstünde nicht, was den Reiz einer solchen Aktion ausmacht. Und genau darum geht es den Initiatoren. Sie wehren sich gegen den »scheiß Irrweg«, der in den letzten Jahren von einigen Galeristen beschritten wurde, die »Graffiti im Quadrat« auf Leinwänden ausstellten, und dadurch ihrer ursprünglichen Kraft und Spontaneität beraubten. Tags zum Beispiel, jene meist in großer Eile hingekritzelten Signaturen des Sprühernamens, wurden schnell zu Stiefkindern erklärt, weil manche plötzlich bestimmten, welche Graffiti künstlerischen Wert haben und welche nicht.

Eine Entwicklung, die die Pseudonyme Gesellschaft, die sich als »Sprachrohr und Fenster zur Welt« der illegalen Sprayer versteht, für einen unzulässigen Eingriff in deren künstlerische Freiheit hält. Die New Yorker Sprüherlegende Futura 2000 meint: »Eine Identität zu kreieren und ein tag zu entwickeln, ist die Grundlage, von der aus sich jeder Graffiti-Writer entwickelt.« Darin drücke sich auch der Wille aus, das dem tag immanente Statement »Ich«, »Ich bin« - oder wie Skywise es ausdrückt »Ich bin der Größte« - in den ansonsten unpersönlichen öffentlichen Raum einzubringen.

Doch die vermeintliche Bedrohung der Ordnung durch chaotisches Anbringen von unleserlichen Zeichen im öffentlichen Raum war Teilen der Bevölkerung schon seit den Anfängen der deutschen Graffiti-Szene Grund genug zur Aufregung. Dabei liegt das Ärgernis sehr wohl auf beiden Seiten. Esher sieht das so: »Ich fahre U-Bahn und sehe dieses hässliche scratching in der Scheibe, wo sich alle drüber aufregen, einfach weil sie es nicht wegmachen können. Aber irgend so eine beschissene Werbung von so einem beschissenen Radiosender ist einfach mal doppelt so groß und doppelt so störend wie dieses beschissene scratching. Das eine ist erlaubt, das andere nicht. Das eine ist schlimm, das andere ist gut und ich denke: warum?«

Das dachten sich wohl auch die Sprüher, die in New York Ende der sechziger Jahre die ersten tags in der Subway anbrachten. In Europa kam diese Jugendkultur erst sehr viel später an, und gerade in Berlin entwickelte sie sich zunächst ziemlich langsam. Bis zur Maueröffnung galt die Berliner Szene im Vergleich zu anderen westeuropäischen Städten als etwas verschlafen, obwohl ihr die schier unendliche Fläche der Mauer zur Verfügung stand. In Ostberlin entstand zwar die erste Graffiti- und HipHop-Szene Osteuropas, aber ihre Möglichkeiten waren schlicht dadurch beschränkt, dass es keine Sprühdosen oder wasserfesten Filzstifte gab. Man behalf sich mit Pinseln, tschechischen Autolackdosen und Rauhlederspray, hinkte aber der Westszene deutlich hinterher, die zudem alles andere als freundlich gesinnt war.

Die wiederum freute sich nach dem Mauerfall über die hinzugewonnenen freien Flächen. Endlich konnte die Mauer auch von der anderen Seite besprüht werden. Und der völlig unvorbereitete Ostberliner S-Bahnbetrieb bot Sprühern zunächst ungeahnte Möglichkeiten. Doch der größeren Freiheit folgten schnell auch größere Repressalien. Eine erste Sonderkommission des BGS wurde 1991 in Berlin gegründet, bildete 1995 gemeinsam mit die Kripo die Soko »Graffiti in Berlin« und war mit 30 Beamten die größte in ganz Deutschland. Die S- und U-Bahn-Betriebe leisteten sich einen Wachschutz, und Mitte der neunziger Jahre verpflichtete sich die Stadt Berlin, besprühte Züge mit Hilfe einer ABM-Truppe innerhalb von 24 Stunden zu reinigen. Auch deshalb kam es vermehrt zum tagging und scratching der Scheiben in den Zügen. 1995 wurde die Szene durch die erste Großrazzia, bei der in einer Nacht 90 Wohnungen durchsucht wurden, stark erschüttert. Vielen wurde es zu heiß. Die Übrigen rückten jedoch enger zusammen. Man wurde vorsichtiger.

Doch Graffiti sind kein Schwerverbrechen, sondern höchstens Sachbeschädigung, und die muss erst einmal nachgewiesen werden. Der Tatbestand ist außerdem nur gegeben, wenn eine »Substanzverletzung« vorliegt. Das ärgerte den ehemaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) dermaßen, dass er Mitte des vergangenen Jahres eine Bundesratsinitiative startete, um bereits die Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes unter Strafe stellen zu können.

Da wegen einer solchen Regelung aber schon das Aufkleben einer Briefmarke auf fremdem Eigentum eine Anzeige nach sich zöge, wurde sie als »unzulässige Ausweitung« von Diepgens Nachfolger Wolfgang Wieland (Grüne) zurückgewiesen. Derzeit gibt es zwar in anderen Bundesländern erneut Bemühungen in dieser Richtung, doch Berlins neue Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) hat sich noch nicht dazu geäußert. Fakt ist, dass bislang weder strafverschärfende noch »präventive« Maßnahmen das Sprühen von Graffiti eindämmen konnten.

Schließlich kann selbst die schönste legale Fläche den Impuls zum illegalen Sprühen nicht unterdrücken. Mixrasta von der Pseudonymen Gesellschaft meint: »Es wäre schön, wenn wir erreichen könnten, dass die Leute aus einer Ausstellung rausgehen und mitgekriegt haben, dass es keinen Unterschied gibt zwischen den Schmierereien, den schönen Bildern oder Auftragsarbeiten. Die Leute suchen immer noch das Gute daran, aber es muss ja gar nicht das Gute daran geben. Vielleicht gibt es ja das Gute im Chaos.«

»Konstrukt/Destrukt«. In der Kulturbrauerei, bis zum 15. Februar