Dem in Bulgarien inhaftierten saudischen Oppositionellen Abdulrahman al-Khalidi droht die Abschiebung

Hungern gegen Abschiebung

In Bulgarien sitzt der Menschenrechtsaktivist Abdulrahman al-Khalidi aus Saudi-Arabien seit fast drei Jahren in Haft. Weil er befürchtet, abgeschoben zu werden, ist er in den Hungerstreik getreten.

Nur für eine Anhörung vor dem Verwaltungsgericht durfte Abdulrahman ­al-Khalidi am 5. Juli das Abschiebezen­trum Busmantsi in der Nähe des Flug­hafens von Sofia verlassen. Vor dem Gericht hatte sich eine Gruppe von Unterstützer:innen versammelt; die Polizei versuchte, den Kontakt zwischen ihnen und al-Khalidi zu unterbinden. Am selben Tag kündigte er in sozialen Medien an, dass er aus Protest gegen seine drohende Abschiebung und die schlechten Haftbedingungen in den Hungerstreik trete.

Al-Khalidis Asylantrag lehnten die bulgarischen Behörden ab. »Die Flüchtlingsagentur behauptete, die Behörden im Königreich Saudi-Arabien hätten die Gesellschaft ›demokratisiert‹«, so al-Khalidi.

Al-Khalidi ist ein Menschenrechtsaktivist aus Saudi-Arabien, der sich sich dort für die Rechte von Gefangenen einsetzte und die Saudische Vereinigung für bürgerliche und politische Rechte (ACPRA) unterstützte. Er nahm zudem an mehreren Demonstrationen zur Unterstützung saudischer Häftlinge in der Hauptstadt Riad teil. Im März 2013 floh al-Khalidi zunächst nach Ägypten, dann nach Katar und in die Türkei. Im Exil setzte er seine politischen Aktivitäten fort und arbeitete als Journalist. Er war in der Online-Bewegung Geish al-Nahl (Bienenarmee, international bekannt als Bees Army) aktiv, die Propagandakampagnen der saudischen Regierung in sozialen Medien entgegenwirken wollte.

Nach der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul, der wenige Tage zuvor auf Twitter explizit Bezug auf die Bees Army genommen hatte, fürchtete al-Khalidi um seine Sicherheit, weil er seinen Angaben zufolge selbst mit Khashoggi in Kontakt stand. Er erneuerte seine Ausweisdokumente nicht, da er möglicherweise im selben Konsulat hätte erscheinen müssen. Al-Khalidi ließ seine beiden Kinder und seine Frau in der Türkei zurück und floh im Oktober 2021 weiter nach Bulgarien, um dort Asyl zu beantragen. Seitdem wird er in Busmantsi in Abschiebehaft festgehalten. Immer wieder prangern Hilfsorganisationen wie das Bulgarische Helsinki-Komitee (BHK) unter anderem das Fehlen von Übersetzern und juristischem Beistand sowie mangelhafte hygienische Zustände an.

Schwere Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien

»Es gibt schwere Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien, die vertuscht werden. Es gibt Menschen, die in meinem Land unter Folter oder Verletzungen bürgerlicher und politischer Rechte leiden. Wir müssen den Status quo reformieren«, sagt al-Khalidi im Gespräch mit der Jungle World. Der Journalist kann nicht verstehen, warum er seit Oktober 2021 in Busmantsi inhaftiert ist.

2022 hat die staatliche Flüchtlingsagentur (SAF) seinen Asylantrag abgelehnt. Al-Khalidi fasst den Entscheidungsprozess zusammen: »Die Flüchtlingsagentur behauptete, die Behörden im Königreich Saudi-Arabien hätten die Gesellschaft ›demokratisiert‹. Menschenrechtsverletzungen wurden geleugnet. Es hieß in der Entscheidung: Der Asylsuchende könne gefahrlos zurückkehren, da es als sicheres Land gelte. Die Flüchtlingsagentur behauptete außerdem, ich hätte mein Land aus ›wirtschaftlichen Gründen‹ in Richtung Bulgarien verlassen. Das Gericht stellte mir während der Anhörungen keinen Übersetzer zur Verfügung und der Richter bestätigte nur die Entscheidung der Flüchtlingsagentur.«

Am 17. Januar nahm ein Verwaltungsgericht in Sofia den Antrag von al-Khalidi an und ordnete seine Freilassung an. Doch der Inlandsgeheimdienst Staat­liche Agentur für Nationale Sicherheit legte Widerspruch ein, al-Khalidi blieb in Haft; am 7. Februar erhielt er eine Abschiebungsanordnung. Er sieht seinen Hungerstreik als letzten Ausweg, um auf seine Situation aufmerksam zu machen.

2023 in Saudi-Arabien 172 Personen hingerichtet

Während er immer wieder über Vorkommnisse in der Abschiebehaft berichtet, darunter Misshandlungen durch das Personal, kämpft er vor Gericht für seinen Flüchtlingsstatus. Falls er abgeschoben werden würde, fürchtet al-Khalidi um sein Leben. Internationale und nationale Menschenrechtsorganisationen sprachen sich immer wieder gegen seine Abschiebung aus. So schrieb der Vorsitzende des BHK, Krassimir Kanew, einen offenen Brief an das bulgarische Innenministerium. Auch Human Rights Watch und Amnesty International kritisierten die Abschiebebescheid.

Nach Angaben von Amnesty verfolgten die saudi-arabischen Behörden auch im Jahr 2023 Menschen, »die ihre Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit friedlich wahrnahmen«. Davon seien einige zu langen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt worden. So hat ein saudisches Sondergericht für terroristische Straftaten im Juli vorigen Jahres den 54jährigen pensionierten Lehrer Mohammed bin Nasser al-Ghamdi wegen seiner Online-Akti­vitäten auf X (vormals Twitter) und Youtube zum Tode verurteilt. Im Jahr 2023 wurden in Saudi-Arabien laut Statista 172 Personen hingerichtet. Damit lag das Land weltweit an dritter Stelle nach China und dem Iran.

Die Sonderberichterstatterin zur Lage von Menschenrechtsverteidigern beim UN-Menschenrechtsrat, Mary Lawlor, schrieb auf X, dass sie den Fall aufmerksam beobachte. Al-Khalidis Abschiebung würde gegen Bulgariens Verpflichtung auf den Grundsatz der Nichtzurückweisung (non-refoulement) verstoßen. Bulgarien wird immer wieder vorgeworfen, Menschen abzuschieben, die im Herkunftsland politischer Verfolgung ausgesetzt sind. Im Jahr 2021 kritisierte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Abschiebungen von Geflüchteten und Migrant:innen in die Türkei. Diese erfolgten ohne jegliche Überprüfung des individuellen Risikos drohender Menschenrechtsverletzungen und verstoßen damit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Zusammenarbeit mit Behörden der Herkunftsländer

In einem Urteil sprach der EGMR einem abgeschobenen Journalisten 15.000 Euro Schmerzensgeld zu, der für die Tageszeitung Zaman und die Presseagentur Cihan gearbeitet hatte; beide waren nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei durch ein Regierungsdekret vom 27. Juli 2016 geschlossen worden. Er wurde nach der Abschiebung in der Türkei zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt, vornehmlich weil sich die Instant-Messaging-App Bylock auf seinem Smartphone befunden haben soll, die die türkische Regierung mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung bringt. Immer wieder wurden Tür­k:innen in ihr Herkunftsland abgeschoben, obwohl sie dort politische Verfolgung zu befürchten hatten.

Zudem gab es in Bulgarien bei Asylanträgen Fälle der Zusammenarbeit mit Behörden der Herkunftsländer. Al-Khalidi befürchtet, dass auch in seinem Fall die bulgarischen mit den saudischen Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten. »Meine technischen Geräte wurden gehackt und Informationen daraus entnommen, die bulgarischen Sicherheitsdienste kollaborieren mit den Behörden meines Landes gegen mich. Ich wurde von den Behörden erpresst, um Informationen über meine Aktivitäten und die Aktivitäten der Opposition und ihrer Anhänger innerhalb und außerhalb des Königreichs zu erhalten. Ich sollte ihnen jedes Detail, einschließlich der Namen von Lehrern in der Grundschule und alle sehr persönlichen und privaten Details mitteilen, so dass sie mich jederzeit ver­folgen oder mein Leben zerstören können.«

Al-Khalidi führt die Missstände in der bulgarischen Asylpolitik auf politische Instabilität, schwache Wirtschaftsleistung, verbreitete Korruption und schlechte Verwaltung zurück. Indem er öffentliche Aufmerksamkeit erregt, hofft al-Khalidi die nötige Unterstützung gewinnen zu können in einem Land, das immer wieder von politischen Krisen gebeutelt wird. »Es wäre mir geholfen, indem man öffentlich über meinen Fall spricht, die Verfahrensfehler aufdeckt, die die Behörden zu vertuschen versuchen, und Druck auf die europäischen und bulgarischen Behörden ausübt, um Gerechtigkeit und Rechtsschutz zu erreichen.«

Er wartet nun auf die nächsten Gerichtsentscheidungen – über seinen Asylantrag, die in einem Monat erfolgen soll und gegen die Anordnung seiner Ausweisung, was für den 20. September an­gesetzt ist. Al-Khalidi möchte seinen Hungerstreik fortsetzen, bis sein ­Asylantrag angenommen wird und er frei ist.