Die russische Kriegswirtschaft bekommt neue Probleme

Milliardenschwere Aufrüstung

Die russische Wirtschaft wächst trotz internationaler Sanktionen. Da der Anteil der Kriegsausgaben am Haushalt beständig wächst, sucht der Staat nach neuen Möglichkeiten, Einnahmen zu generieren.

Kaum ein anderes Land auf der Welt ist so vielen Sanktionen durch westliche Staaten unterworfen wie Russland. Dennoch scheint es der russischen Führung möglich, den Angriffskrieg gegen die Ukraine bis auf Weiteres im gegenwärtigen Umfang fortzusetzen. Der 2023 eigenen Angaben zufolge erreichte Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 3,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr mag auf den ersten Blick erstaunen. Für das laufende Jahr prognostiziert die russische Zentralbank ein etwas geringeres Wachstum, doch kann es wirken, als könne sich Russland ohne größere Probleme von den westlichen Wirtschaften abkoppeln.

Mit rund einem Drittel des Staatshaushalts übertreffen die Ausgaben fürs Militär aber inzwischen diejenigen für soziale Zwecke, wozu auch Kompensationszahlungen für die Angehörigen Gefallener gerechnet werden. Was genau unter dem Haushaltstitel »Militärische Zwecke« gefasst wird, unterliegt allerdings der Geheimhaltung. Einzelne Wirtschaftsbereiche verzeichnen ein reales Wachstum, allen voran die Rüstungsindustrie, die sich vor Aufträgen kaum retten kann, aber auch der Bausektor, die Landwirtschaft und selbst die Hotel- und Gastronomiebranche. In Russlands Kriegsökonomie fließen staatliche Gelder direkt als Staatsauftrag oder indirekt aus den Taschen der unmittelbaren Kriegsprofiteure – mittlere und höhere Angestellte der Rüstungsindustrie, höherrangige Armeeangehörige und deren Familien – in Immobilien und Konsum.

Um die staatlichen Haushaltskassen zu füllen, braucht es vor allem stabile Einnahmen, die in Russland vorwiegend aus dem Export fossiler Energieträger stammen. Im vergangenen Dezember hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg gemeldet, dass Russlands Einnahmen aus dem Ölexport im Oktober über elf Milliarden US-Dollar, 31 Prozent der Einnahmen, ausmachten – ein Rekord. So viel floss selbst vor Beginn der Ukraine-Invasion nicht in die Kassen. Dementsprechend positiv fallen die Voraussagen des russischen Finanzministeriums aus.

Für die Gegenfinanzierung des russischen Haushalts könnte es eng werden, zumal die hohen Zinsausgaben den Staat teuer zu stehen kommen.

Diese beruhen allerdings auf einer zentralen Annahme: hohe Ölpreise. Gestiegen waren sie nicht zuletzt wegen der Sanktionen, also als indirekte Konsequenz aus dem Krieg gegen die Ukraine. Von den Marktpreisen hängt ab, wie viel Geld aus dem Rohstoffgeschäft tatsächlich abfällt. Neuere Zahlen von Bloomberg zeigen allerdings, dass die Ölfördermenge leicht rückläufig ist – was kein großes Problem für den Kreml ist, solange genug Öl über die sogenannte Schattenflotte nach Westeuropa gelangt und Indien und China weiterhin so viel abnehmen wie bisher.

Auch wenn Russlands Großabnehmer Preise aushandeln, die unter dem marktüblichen Niveau liegen, bleiben die russischen Gewinnmargen hoch. China erhielt im vergangenen Jahr einen Preisnachlass von fünf Dollar pro Barrel, kaufte dafür jedoch auch besonders viel ein. Russlands Ölexporte stiegen damit im Vergleich zu den Jahren vor 2022 um fast ein Viertel. China handelte aber auch bei Flüssiggasimporten selbst dann den Preis herunter, wenn die russischen Lieferanten auf keiner Sanktionsliste auftauchen. Für Importe über die seit 2019 funktionierende Gaspipeline »Kraft Sibiriens« zahlt China bereits nach alten Verträgen um ein Drittel weniger als westliche Abnehmer und verlangt sogar, statt bislang 260 Dollar nur den russischen Inlandspreis von rund 60 Dollar für 1.000 Kubikmeter zu bezahlen. Da Russland vor allem technologisch von Importen aus China abhängig ist, kann sich dessen Führung solche Forderungen erlauben.

Kapitalabfluss aus Russland rückläufig

Sowohl westliche Sanktionen als auch die rigiden Maßnahmen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen Kapitalflucht haben dafür gesorgt, dass 2023 der Kapitalabfluss aus Russland deutlich rückläufig war. Für das erste Quartal rechnete die Wirtschaftshochschule Moskau diesbezüglich allerdings mit wachsenden Problemen, was vorrangig daran liege, dass es schwieriger werde, Rechnungen im Ausland für den russischen Export zu begleichen – russische Gelder stecken auf auslän­dischen Konten fest.

Für die Gegenfinanzierung des russischen Haushalts könnte es eng werden, zumal die hohen Zinsausgaben den Staat teuer zu stehen kommen. Der hohe Leitzinssatz von 16 Prozent wird gebraucht, um die hohe Inflation einzudämmen. Da also irgendwoher Mittel akquiriert werden müssen, erhob der Staat – zunächst als einmalige Maßnahme – eine Übergewinnsteuer, die über dreieinhalb Milliarden Dollar einbrachte, jedoch die Ausgabenplanungen der Unternehmen unwägbar machte und deshalb einer permanenten Lösung weichen sollte. Ab 2025 gilt für Unternehmensgewinne ein regulärer Steuersatz von 25 Prozent anstelle von bisherig 20. Für den Abbau einzelner Rohstoffe stehen erhebliche Steuererhöhungen an, genauso wie für Arbeitseinkommen.

Durch eine neu gestaffelte Einkommensteuer werden insbesondere Besserverdienende in den Großstädten stärker zur Kasse gebeten. Alles zusammengenommen findet kriegsbedingt eine Umverteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten statt, die eine neue Form der »sozialen Gerechtigkeit« auf russische Art formt: Wer über relevante Einkünfte verfügt, soll dem Staat davon mehr überlassen als früher, auch um den Ukraine-Krieg zu finanzieren.

Anhebung von Strafzahlungen

Wer, wie der überwiegende Teil der Bevölkerung in den Regionen, dazu nicht in der Lage ist, hat seinen Beitrag sozusagen in Form von persönlichen Abgaben zu leisten, also dadurch, Männer in den Krieg zu schicken. Als Anreiz erhalten diese hohe Geldsummen, die je nach Region variieren. Tatarstan beispielsweise lockt Freiwillige für einen Fronteinsatz mit einer Einmalzahlung von über 15.000 Euro zuzüglich zum monatlichen Sold.

Weil die Ausgaben dafür immer weiter steigen, werden finanzielle Ressourcen nicht nur im großen Maßstab an­gezapft, sondern auch im Kleinen, beispielsweise durch die Anhebung von Strafzahlungen. Wer die Exkremente seines Hunds auf der Straße nicht aufsammelt, dem drohen schnell umgerechnet 100 Euro Geldbuße. Als Grundlage dafür soll eine Beschwerde aus der Nachbarschaft ausreichen.

Duma-Abgeordnete der Partei »Gerechtes Russland – Für die Wahrheit« haben zudem vorgeschlagen, russische Staatsangehörige mit einem Zweitpass aus einem »nicht freundschaftlich gesinnten Land« mit einem höheren Steuersatz zu belegen. Das brächte dem Fiskus vielleicht nicht allzu viel ein, der Vorschlag demonstriert aber zumindest die patriotische Gesinnung seiner Ur­heber.