Die slowakische Regierung hat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch einen staatlichen ersetzt

Weg frei für die Staatspropaganda

In der Slowakei ist die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt per Gesetz aufgelöst und faktisch durch einen Regierungssender ersetzt worden.

Das Ende der slowakischen öffentlich-rechtlichen Hörfunk- und Fernsehanstalt RTVS wurde am Sonntag besiegelt. Präsident Peter Pellegrini, der vor seinem Amtsantritt am 15. Juni Parteivorsitzender der Partei Hlas – sociálna demokracia (Stimme – Sozialdemokratie) gewesen war, unter­zeich­nete ein Gesetz, das die Auflösung von RTVS und die Transformation in eine Art Regierungsrundfunk vorsieht. Der Name dieser neuen Sendeanstalt lautet Slowakisches Fernsehen und Radio (STVR). Am Montag trat das Gesetz in Kraft. Dem waren monatelange Proteste der Mitarbeiter:innen von RTVS und der Zivilgesellschaft vorausgegangen.

Am 20. Juni hatten alle Abgeordneten der Regierungskoalition für das Gesetz gestimmt. Sie besteht aus den beiden nationalpopulistischen Parteien Smer-SSD (Richtung – Slowakische Sozialdemokratie) von Ministerpräsident Robert Fico und Hlas sowie der ultranationalistischen Slowakischen Nationalpartei (SNS). Die Opposition hingegen boykottierte die Sitzung und kündigten eine Beschwerde beim Verfassungsgericht an.

Der RTVS-Generaldirektor Ľuboš Machaj, dessen Amtszeit bis 2027 gedauert hätte, musste am Montag seinen Posten räumen. Der Generaldirektor des zukünftigen STVR wird von einem neuen neunköpfigen Rat bestimmt. Die Kulturministerin Martina Šim­ko­vi­čová (parteilos, aber von der SNS nominiert) ernennt vier Ratsmitglieder und das Parlament die fünf restlichen – damit ist eine Einschränkung freier Berichterstattung programmiert.

Auch die Strafrechtsreform Anfang des Jahres hatte Kritik aus dem Ausland und Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der politischen Vorgänge in der Slo­­wakei hervorgerufen.

Bei Hlas handelt es sich um eine etwas gemäßigtere Abspaltung von Smer. Pellegrini hat sie 2020 gegründet, nachdem er Smer verlassen hatte. Beide Parteien bezeichnen sich selbst als sozialdemokratisch, verfolgen aber eine nationalkonservative Politik. Nachdem sie nach der Parlamentswahl im vergangenen September angekündigt hatten, mit der rechtsextremen SNS zu koalieren, wurde ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Sozialdemokratischen Partei (SPE) suspendiert.

Die Positionen beider Parteiführer zum russischen Krieg gegen die Ukraine, zu Migration, Rechtsstaatlichkeit und zu nichtheterosexuellen Lebensformen hätten »keinen Raum in der progressiven Familie«, hieß es damals in einer SPE-Pressemitteilung. Fico hatte aber schon lange mit kremlnahen, demokratiefeindlichen und homophoben Äußerungen für Aufsehen gesorgt.

Auch die Strafrechtsreform Anfang des Jahres hatte Kritik aus dem Ausland und Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der politischen Vorgänge in der Slo­­wakei hervorgerufen. Die Strafen und Verjährungsfristen für schwere Verbrechen sollten verkürzt und die unabhängige Sonderstaatsanwaltschaft zur Ermittlung von Korruption abgeschafft werden – was die Opposition für einen Versuch hielt, politische und wirtschaftliche Verbündete Ficos vor Strafverfolgung zu schützen. Große Teile der Reform hat das Verfassungsgericht nach starkem Protest zur Überprüfung ausgesetzt, doch die Auflösung der Sonderstaatsanwaltschaft nicht gestoppt.

Fico war bereits von 2006 bis 2010 und von 2012 bis 2018 Ministerpräsident. Seinen Posten musste er nach Massenprotesten infolge des Auftragsmords am Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová räumen. Kuciak hatte über Verbindungen von Ficos Regierung zur italienischen Mafia recherchiert. Fico wurde zudem beschuldigt, mutmaßlich eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben, wurde aber wegen seiner Immunität als Parlamentsabgeordneter nie belangt.

Fico war am 15. Mai von einem 71jährigen Attentäter niedergeschossen und schwer verletzt worden. Am 5. Juni kündigte er bei Face­book in einer Videobotschaft an, die Regierungsgeschäfte bald wieder zu übernehmen. Zu Beginn des Videos bezeichnet er, entgegen den bekannten Fakten, den Attentäter als »Agenten der Opposition« und hetzt mehrmals gegen Medien und NGOs. Er spricht sich in dem Video auch gegen den »gewalttätigen Export der Demokratie« in Länder, die beschlossen hätten, »ihren ­eigenen Weg zu gehen«. Er behauptet darüber hinaus, die westlichen Demokratien wollten den Krieg in der Ukraine verlängern, um Russland zu schwächen. Er selbst sei gegen den Krieg und deswegen gegen Waffenlieferungen an die Ukraine.

Der Gesetzentwurf zur Auflösung von RTVS stammte ursprünglich von Kulturministerin Šimkovičová. Auch Fico sprach sich wiederholt für diese Maßnahme aus; er und Šimkovičová meinten, die Berichterstattung von RTVS sei gegen sie »voreingenommen« und »ideologisch«. Šimkovičová ist eine populäre Verschwörungstheoretikerin und betreibt den Online-Desinformationskanal TV Slovan, den sie teilweise auch für Ankündigungen des Kulturministeriums nutzt. Seit ihrem Amtsantritt baut sie den Kulturbereich nach ihren Vorstellungen radikal um. Sie hob das Kooperationsverbot mit belarussischen und russischen Institutionen im Kulturbereich auf, schloss mit der Kunsthalle Bratislava die einzige staat­liche Institution für zeitgenössische Kunst des Landes und übernahm die Kontrolle über den aus öffentlichen Geldern finanzierten Fonds zur Förderung der Künste (Fond na podporu umenia, FPU).

»Homophober des Jahres«

Sowohl Fico als auch Šimkovičová sind von der slowakischen NGO Inštitút ľudských práv (Institut für Menschenrechte, ILP) für den Negativpreis »Homophober des Jahres« nominiert worden. Der ILP-Direktor Peter Weisenbacher, der auch der Mitgründer der slowakischen Gay Pride ist, sagte der Jungle World: »Die Auflösung des RTVS ist nicht mit den Werten der Freiheit und der Menschenrechte vereinbar ist, wie sie in den Gründungsdokumenten der EU verankert sind.« Daher fordert er ein Eingreifen der Europäischen Kommission, »bevor wir in der Slowakei eine ähnliche Situation wie in Ungarn erleben«.

Die Gesellschaft sei tief gespalten, so Weisenbacher weiter. Die Fähigkeit der Opposition, öffentliche Proteste zu organisieren und die Unterstützung der Gesellschaft zu gewinnen, sei nach dem Attentat auf Fico stark zurückgegangen. »Da die Medien von der Regierung kontrolliert werden, wird es für die­ ­Opposition viel schwieriger sein, große Menschenmengen anzuziehen«, befürchtet Weisenbacher. Er äußerte auch die Befürchtung, dass Fico und seine Regierung nach dem öffentlichen Rundfunk, der Kultur und der Justiz auch NGOs unter Kontrolle bekommen wollen.