Seit Monaten sorgen Wetten auf Kakaopreise für eine Rally an der Börse

Das Kakaofieber grassiert

Schokolade wird wohl teurer werden, da der Kakaopreis an der Börse extrem hoch liegt. Kakao ist aufgrund von Produktionsausfällen durch Klimawandel, Schädlinge und überalterte Plantagen knapp.

Für Luis Mendoza gehört der Überfall auf ein Lagerhaus im peruanischen Amazonasgebiet, wo vor wenigen Tagen mit vorgehaltener Schusswaffe eine Ladung Kakao geraubt wurde, zu einer Raubserie. »Die hohen Kakaopreise auf dem Weltmarkt haben dazu geführt, dass es mindestens zwei Attacken auf LKW aus San Martín gab, die dem Weg nach Lima waren«, sagte der 58jährige Präsident der Peruanischen Vereinigung der Kakaoproduzenten, Appcacao.

»Für immer mehr Kriminelle sind Kakaobohnen attraktiv. Daher ernten die Bauern derzeit in kürzeren Abständen, um es Dieben schwerer zu machen, verfrachten die Kakaobohnen, die derzeit mit rund 10.000 US-Dollar pro Tonne gehandelt werden, schnell in bewachte Lagerhäuser«, so Mendoza. Er stammt aus Piura, einer Stadt mit über 500.000 Einwohnern ganz im Norden Perus, hat dort selbst eine kleine Kakaofarm und bereist regelmäßig Perus fünf wichtige Anbauregionen für Kakaoschoten. Dazu gehören tropisch warme Amazonasgebiete, die Region von San Martín, aber auch die flachen Gegenden des Verwaltungsbezirks Cusco. »Rund 150.000 Tonnen Kakao werden wir in diesem Jahr ernten, vielleicht etwas mehr«, so Mendoza.

Wetten auf höhere Kakaopreise sorgen seit Monaten für eine Preis-Rally an der Börse und dafür, dass den Kleinbauern die Kakaobohnen quasi aus den Händen gerissen werden.

Infolge der extrem hohen Nachfrage auf dem Weltmarkt nach Kakaobohnen haben die Kleinbauern in Peru, aber auch im benachbarten Ecuador, in Kolumbien und Mittelamerika viele zuvor brachliegende Anbauflächen reaktiviert. Dieses Phänomen gibt es in mehreren Ländern mit kleineren Anbaugebieten, denn in den beiden wichtigsten Anbauländern, Elfenbeinküste und Ghana, ist die Ernte stark eingebrochen. Um 30 bis 40 Prozent weniger Kakaobohnen kommen aus diesen beiden Ländern, die gemeinsam rund 60 Prozent der Welternte von über 5,8 Millionen Tonnen im Erntejahr 2022 lieferten.

»Die Bauern dort haben es mit black pod zu tun, einem Fruchtpilz, der die Schoten am Baum verrotten lässt, und mit dem cacao swollen shoot virus. Letzteres lässt die Bäume anschwellen, sie quellen auf und sterben dann ab«, erklärt Friedel Hütz-Adams, Kakaospezialist des Bonner Südwind-Instituts für Ökonomie und Ökumene, und fährt fort: »Die Krankheiten sind bereits seit einigen Jahren auf dem Vormarsch, aber die negativen Klimaphänomene haben die Ausbreitung der Seuchen stark begünstigt.«

Da bereits die vergangenen drei Ernten alles andere als gut waren, sind die Lager leer. Das führt zum Weltlauf der großen internationalen Schokoladenkonzerne von Ferrero über Mars bis Mondelez. Die zahlten pro Tonne Kakaobohnen in den vergangenen zehn Jahren im Höchstfall um die 3.000 US-Dollar, der Preis lag meist bei etwa 2.000 US-Dollar. »Das ist eine Ursache der strukturellen Probleme«, so Hütz-Adams. »Angesichts der niedrigen Preise konnten es sich viele Bauern und Bäuerinnen gar nicht leisten, ihre Plantagen zu pflegen, wie es eigentlich notwendig gewesen wäre. Sie haben daher weniger Arbeitskraft, weniger in Dünger und Pestizide investiert und auch nicht alte durch junge ertragreichere Pflanzen ersetzt. All das ist für den markanten Ernterückgang in der Elfenbeinküste und Ghana mitverantwortlich.«

Allerdings lassen sich die Kurssprünge binnen weniger Wochen von 7.000 auf an die 12.000 US-Dollar nicht allein mit der Knappheit der Bohnen auf dem Weltmarkt erklären, es wird auch wild mit den Bohnen spekuliert, die rund um den Globus zu Kakaobutter, Schokopulver und vor allem zu Schokolade in unterschiedlicher Qualität verarbeitet werden. Wetten auf höhere Kakaopreise sorgen seit Monaten für eine Preis-Rally an der Börse und dafür, dass den Kleinbauern die Kakaobohnen quasi aus den Händen gerissen werden.

Das ist positiv für die Bauern, die derzeit all ihre Bohnen, auch die von minderer Qualität, an die Zwischenhändler verkaufen können, die in Peru, aber auch in Ecuador über die Dörfer in den Kakaoregionen fahren.

In beiden Ländern läuft derzeit die Ernte und es werden Zuwächse erwartet. »Doch die werden nicht ­annähernd die Defizite der beiden wichtigsten afrikanischen Produzenten ausgleichen«, so Lucio Mendoza. Er begrüßt, dass die peruanische Regierung seit mehreren Jahren den biologischen Anbau der Kakaobäume fördert, teilweise auch die Zertifizierungskosten trägt und bis 2027 die Erntemenge auf 200.000 Tonnen steigern möchte. Ganz anders als im benachbarten Ecuador, wo konventioneller Anbau vorherrscht. »Hier geht es um die Menge und seltener um die Qualität, wie in Peru«, so Jan Schubert aus dem ecuadorianischen Cuenca, Kakaoeinkäufer des Schokoladenher­stellers Original Beans.

Original Beans gehört zu den kleineren, strikt nachhaltig agierenden und fair zahlenden Unternehmen in der Branche. Die haben in den vergangenen Jahren Erfolge verbucht, längst vergessene Kakaosorten wieder auf den Markt gebracht, mit indigenen Gemeinden kooperiert und ihren Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen geleistet, indem pro Schokoladentafel ein Baum angepflanzt wurde. Derartige Unternehmen sind vorbildlich, stehen wegen der derzeitigen Preise jedoch unter starkem Druck. Zum einen haben die Kleinbauern momentan die Chance, auch minderwertige Ware zu hohen Preisen zu verkaufen, zum anderen haben Firmen wie Original Beans nicht die Ressourcen, auf den Weltmarktpreis noch Zuschläge für Qualität und biologischen Anbau zu zahlen.

Warum sollten die Bauern mehr ­Arbeit in die Bohnen investieren, sie optimal fermentieren und trocknen lassen, wenn es auch mit weniger Einsatz geht? Das sind Befürchtungen, die Schubert derzeit umtreiben, wenn er mit den Genossenschaften verhandelt, mit denen Original Beans kooperiert. Davon gibt es etliche in Peru, einige in Ecuador und Kolumbien, aber auch aus Mexiko, Guatemala, Bolivien, Brasilien sowie Tansania und der Demokratischen Republik Kongo bezieht das in Amsterdam ansässige Unternehmen Kakaobohnen in höchster Qualität. »Der Preisboom hat ein regelrechtes Kakaofieber ausgelöst, er könnte auch zur Ausdehnung der Anbauflächen führen«, warnt Schubert, der gut in der Branche vernetzt ist. Es fehle an Regeln, an Kontrollen, die verhindern, dass gerodet werde, um mehr Kakao anzubauen, meint er.

Eine Einschätzung, die Mendoza nicht teilt: »Ich glaube, die Kleinbauern werden eher andere Produkte in geringerem Maß anbauen, dafür aber mehr Kakao. Zudem dauert es, bis ein Kakaobaum trägt, rund fünf Jahre von der Anpflanzung bis zur Ernte.« Das sei zu lange, um schnell auf den Preisboom reagieren zu können, zudem werde die Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten der EU zum Jahresende in Kraft gesetzt – auch das sei ein Faktor. Die Verordnung verpflichtet Bauern, Genossenschaften und Unternehmen dazu nachzuweisen, dass sie keine Bäume auf ihrem Gelände nach 2020 gefällt haben.

Allerdings sind viele Experten der Meinung, dass faire Mindestpreise für Kakaobauern helfen könnten, Krisen wie die jetzige zu verhindern. »Positiv wäre es, wenn sich die Industrie auf ­einen Mindestpreis verständigt, der dem existenzsichernden Lohn entspricht«, so Hütz-Adams. Der liegt in Afrika bei etwa 3.000 US-Dollar pro Jahr, in Lateinamerika aufgrund der höheren Lebenshaltungskosten bei rund 5.000 US-Dollar. Das wäre bei einem weit niedrigeren Weltmarktpreis als dem derzeitigen von 10.000 US-Dollar pro Tonne zu gewährleisten.

Produzent:innen und Ver­treter:in­nen innovativer und fairer Schokoladen­unternehmen sind sich da weitgehend einig; allerdings ist bisher eine der­artige Initiative der Schokoladenindustrie als ganzer nicht in Sicht. Auch Auswüchse wie der Mord an zwei Bauern im Kongo, die ihre Kakaoernte nach Hause transportierten, könnten so eventuell verhindert werden, mög­licherweise wäre auch die Gewaltwelle in Ecuador einzudämmen, die über die Anbauregionen der Provinz Esmeraldas hinweggeht, wo auch die Drogenmafia präsent ist.

Genau deshalb seien eine verantwortungsvolle Einkaufspolitik der Unternehmen ebenso wie langfristige Verträge mit Kleinbauern und -bäuer:innen und Genossenschaften nötig, so Hütz-Adams. Dazu könne auch der Druck von Seiten der Konsumenten beitragen, indem sie Wert auf die Entstehungs­bedingungen und die Qualität der Produkte legen. Ohnehin stecke in jedem Schokoriegel nur für wenige Cent Kakao, für Werbung werde je nach Unternehmen teilweise mehr Geld ausgegeben als für den Rohkakao, kritisiert er. Das müsse sich endlich ändern.