Philipp Oswalt, Architekt und Theoretiker, im Gespräch über Architektur als nationale Identitätspolitik

»Im Namen von Geschichte wird Geschichte verdrängt«

Ob Garnisonkirche in Potsdam, Berliner Stadtschloss oder Neue Altstadt Frankfurt: An zentralen Orten zeitgenössischer Stadtplanung zeige sich eine gefährlich rückwärtsgewandte Ideologie, kritisiert der Architekt und Theoretiker Philipp Oswalt. Ein Gespräch über Preußen-Fimmel, Geschichtsrevisionismus und die Notwendigkeit einer Erneuerung in der Architektur.

In einem Streitgespräch über das Berliner Stadtschloss hat der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) Ihnen sozusagen Querulantentum vorgeworfen, weil Sie die Diskussion einfach nicht ruhen lassen. Was stört Sie an der Schlossattrappe?
Es ist ein preußisches Herrschaftsschloss, das über Jahrhunderte gewachsen ist. Der Bundestag hatte die Rekonstruktion der Barockfassaden beschlossen. Das ist aber irreführend, weil auch Dinge des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nachgebildet wurden. Das ist symbolisch von Belang, weil sich die Aussage des Gebäudes im Lauf der Zeit radikalisiert hat. Problematisch ist der imperiale Anspruch, der an der Westfassade des Gebäudes mit dem Eosanderportal zum Ausdruck kommt. Das wird noch überhöht von der Kuppel, die ein Zeichen für den sogenannten Nationalprotestantismus ist. Das ist der Zusammenhang von Monarchie und evangelischem Glauben, der sich ­unter Kaiser Wilhelm II. zur toxischen Ideologie entwickelt hat. Das ist nicht weit weg von dem, was wir von den Gotteskriegern des »Islamischen Staats« kennen. Der Kuppelspruch bringt es zum Ausdruck: Die Welt soll sich dem Christentum unterwerfen. Zugleich gilt der preußische Herrscher als göttlich legitimierte weltliche Macht, der sich die Untertanen fügen sollen.

Der Spruch lautet: »Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.« Dieser Text prangt an einem Gebäude, das trotzdem als weltoffener Ort dargestellt wird?
Ja. Das muss man vor allem im Rahmen der Kolonialkriege sehen, die von einem völkischen und rassistischen Denken getrieben waren. Die Welt sollte am überlegenen Deutschtum »genesen«, wie es hieß. Mit diesen Parolen wurden Menschen auch in den Ersten Weltkrieg geführt. Daher ist das fatal, dass das Humboldt-Forum diese Kuppel hat. Sie kam erst im Zuge des Architekturwettbewerbs in das Projekt – und war noch nicht Teil der Bundestagsbeschlüsse von 2002/2003.

Philipp Oswalt

Philipp Oswalt, geboren 1964, lebt als Architekt und Publizist in Berlin. Er war u. a. Leiter des Projektes »Schrumpfende Städte« der Kulturstiftung des Bundes (2002–2008) und Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau (2009–2014). Seit 2006 lehrt er als Professor für Architekturtheorie und Entwurf an der Uni Kassel. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen zur zeitgenössischen Architektur und Stadtentwicklung.

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© Can Wagner

Ein zweiter Punkt Ihrer Kritik gilt einem Großspender für die Kuppel. Worum geht es?
Die Abwehrstrategie, meine Kritik als unsinnig und substanzlos abzubügeln, ist wie ein Rückzugsgefecht. Erst hieß es, das Bauwerk habe gar keinen Symbolwert, die Steine bedeuteten nichts und die Spender hätten keinen Einfluss. Später hieß es, nur wenige der Spender seien problematisch. Immer neue Argumente werden angeführt, um Offenkundiges zu leugnen. Der Spender Ehrhardt Bödecker hat sich antisemitisch und antidemokratisch geäußert und das wilhelminische Kaiserreich verherrlicht. Das habe ich thematisiert, was auch zur Entfernung der Ehrentafel am Forum führte. Ein Gutachten hat dann noch weitere Äußerungen von Bödecker nachgewiesen. Die Stiftung hat sich immerhin von ihm und anderen distanziert. Der Förderverein Berliner Schloss hat im Gegenteil ­offensiv gesagt, man stehe zu allen Spendern, und mir vorgeworfen, ich hätte die Diskussion erst mit einem gefälschten Zitat in die Welt gesetzt (Jungle World 29/2022; Anm. d. Red.). Wofür er viel Beifall in rechtsradikalen Kreisen bekam.

Dagegen haben Sie erfolgreich ­geklagt?
Ja. Aber der Förderverein ist in die nächste Instanz gegangen, das läuft also weiter. Es ist ein Versuch, mich mundtot zu machen. Dabei ist das Problem noch gravierender: Der Förderverein hat auch gezielt in rechtsradikalen Kreisen um Spender ­geworben, ein Mitglied seines Gründungsvorstands war ein rechtsradikaler Politiker.

Wie liegt der Fall bei der Garnisonkirche in Potsdam?
Der Bau ist noch problematischer. In seiner Urfunktion war er das preußische Militärmonument und die Ikone des Nationalprotestantismus. Da ist es nicht überraschend, dass ein rechtsextremer Bundeswehroffizier die Idee 1984 auf den Weg brachte. 2001 wurde sein Konzept übernommen und der Wiederaufbau des Kirchturms realisiert. Auch hier wurde behauptet, das sei alles unpolitisch und werde erst durch linke Kritik ideologisiert.

Dabei ist das Vokabular von der »Heilung« von »Wunden im Stadtbild« selbst ideologisch. Sie stellen eine Hinwendung zur problematischen Rekonstruktion seit den Achtzigern fest. Inwiefern hängt das mit der sogenannten geistig-moralischen Wende zusammen, die Helmut Kohl ausrief, als er Bundeskanzler wurde?
Das hängt ganz klar mit Kohl zusammen. Es ist auch der Zeitpunkt, an dem die Täter- und Mitläufergeneration des NS-Regimes abtritt in ihren gesellschaftlichen Funktionen. Hier beginnt eine Preußen-Renaissance, die durch die Wiedervereinigung noch neuen Schub erhält.

Warum Preußen?
Es ist bemerkenswerterweise gerade die Ost-SPD, die diese Preußen-Symbolik vorantreibt. Das liegt daran, dass man sich nach der Wiedervereinigung im Osten fragte, was ein Identitätsanker für eine gemeinsame Geschichte sein könnte. Die Zeit nach 1949 konnte das ja nicht sein. Auf den NS wollte sich niemand beziehen und auch nicht auf die konfliktreiche Zeit der Weimarer Republik. Dann ist man bei der Zeit vor 1914, wo es etwas Gemeinsames gibt zwischen Ost und West. Zumal mit dem Beitritt der DDR zur BRD das preußische Kernland wieder gesamtdeutsch wurde. Den Wilhelminismus wollte man nicht zu offensiv nach vorne rücken und spricht lieber von Barockfassaden. Und bezieht sich auf Friedrich den Großen als Flöte spielenden Monarchen und Aufklärer. Dabei ist er selbst problematisch, weil er mit den Eroberungskriegen und den Teilungen Polens für Imperialismus steht.

»Es gibt eine Reihe gelungener Rekonstruktionen. Bei der Frankfurter Paulskirche oder der Münchner Pinakothek haben die Architekten bewusst nicht den Weg einer originalgetreuen Rekonstruktion gewählt.«

Der DDR-Mehrteiler »Sachsens Glanz und Preußens Gloria« (1985) hat Millionen Zuschauer vor die Bildschirme gebannt und war auch im Westen, wohin die Serie später verkauft wurde, ein Publikumserfolg. Was kann die Architektur solcher Geschichtsschwelgerei entgegensetzen?
Jede Art der Idealisierung, ob es um Preußentum oder um das Bauhaus geht, ist problematisch, weil Geschichte immer konfliktreich ist. Darum darf eine Rekonstruktion nicht aus solch einer Idealisierung heraus angegangen werden, die dann auch noch als identitätsstiftend ausgegeben wird. Hier kommt eine essentialistische Idee von Herkunft und Wesen unserer Gesellschaft zum Ausdruck. Dies exkludiert andere Sichtweisen. Das Berliner Schloss zeigt eine ungebrochene Barockfassade, diese ist ästhetisch idealisiert und fiktionalisiert. Im Namen von Geschichte wird Geschichte verdrängt, weil man andere Sachverhalte unsichtbar macht. Zum Beispiel ist vom Palast der Republik nichts mehr zu sehen. Das Stadtschloss hatte vor seinem Abriss auch Spuren von der deutschen Revolution von 1918 und vom Zweiten Weltkrieg. Das erzählt der Nachbau nicht. Da ist die Geschichte für die Zeit nach dem Kaiserreich ausradiert.

Das Argument, dass große Teile der Bevölkerung damit kein Pro­blem haben, lassen Sie nicht gelten?
Es wird immer gesagt, es sei Volkes Stimme, die das will. Das ist eine Behauptung, für die es gar keine Empirie gibt. Die Umfragen zum Berliner Schloss zeigen eine geteilte öffentliche Meinung und oft Mehrheiten für den Erhalt des Palasts der Republik.

Sie lehnen Rekonstruktionen nicht grundsätzlich ab. Kennen Sie ein gelungenes Beispiel?
Es gibt eine Reihe gelungener Rekonstruktionen. Bei der Frankfurter Paulskirche oder der Münchner Pinakothek haben die Architekten bewusst nicht den Weg einer originalgetreuen Rekonstruktion gewählt. Bei der Paulskirche war es ein Anliegen, den Ruinencharakter des ausgebrannten Gebäudes fortzuschreiben. In München ist die Geometrie des Gebäudes wiederhergestellt worden, aber es ist immer noch erkennbar, wo sich die Schäden befanden. Und das verweist auf den Zivilisationsbruch in Deutschland.


Buchcover

Philipp Oswalt: Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik. ­Berenberg-Verlag, Berlin 2023, 240 Seiten, 22 Euro