Diskrete Dekrete
Stolz wurden die neun mutmaßlichen Piraten präsentiert, die Soldaten der Fregatte »Rheinland Pfalz« am Dienstag der vergangenen Woche gefangennahmen. Als Kriegsgefangene sollen sie nicht gelten, prozessieren möchte man gegen sie aber auch nicht. Es bestehe kein »öffentliches Interesse an der Strafverfolgung«, sagte Wilhelm Möller, Sprecher der zuständigen Hamburger Staatsanwaltschaft. Das »öffentliche Interesse« reicht zwar zur Entsendung einer Kriegsflotte, nicht aber für einen Prozess.
Die Bundesregierung beruft sich auf eine in den Medien meist als »EU-Recht« bezeichnete Regelung, die es gestattet, auf See ergriffene Verdächtige zwölf Tage lang festzuhalten. Offenbar haben die EU-Regierungen ein Internierungsdekret erlassen. Früher wurden Piraten als »feindliche Kombattanten« behandelt, ihr Status im internationalen Recht ist vage definiert. Doch spricht alles dafür, dass gegen die Verdächtigen in Deutschland hätte prozessiert werden müssen.
Im Mai vergangenen Jahres verwies die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage dreier FDP-Abgeordneter noch selbst auf Artikel 105 des Seerechtsübereinkommens: »Die Gerichte des Staates, der das Schiff aufgebracht hat, können über die zu verhängenden Strafen entscheiden.« Eine andere Regelung ist nicht vorgesehen. Überdies untersteht ein Kriegsschiff »der Hoheitsgewalt des Flaggenstaates«. An Bord der »Rheinland-Pfalz« gelten also deutsche Gesetze, die Verdächtigen haben das Recht auf einen Anwalt und können einen Asylantrag stellen. Allerdings haben sie davon wohl nichts erfahren, bevor sie den kenianischen Behörden übergeben wurden.
Gerade rechtzeitig wurde am Freitag der vergangenen Woche in Nairobi ein Abkommen unterzeichnet, das die Übergabe mutmaßlicher Piraten gestattet. Kenia erhält jährlich etwa 100 Millionen Dollar Entwicklungshilfe von der EU. Da kann man etwas Entgegenkommen erwarten, auch wenn nach Angaben der kenianischen Justizministerin Martha Karua bei den Gerichten noch 870 000 unerledigte Fälle anhängig sind.
Doch vielleicht kommt es gar nicht zu einem Prozess, denn den Recherchen kenianischer Menschenrechtler zufolge verschwanden mehrere tausend Menschen im Polizeigewahrsam oder wurden Opfer polizeilicher Todesschwadrone. Oscar Kamau Kingara und John Paul Oulu, die illegale Polizeiaktivitäten untersuchten, wurden am Tag vor der Unterzeichung des Abkommens mit der EU in Nairobi erschossen, gleich neben dem Palast von Präsident Mwai Kibaki.
Die EU-Bürokraten haben die Schüsse offenbar nicht gehört. Doch sie haben etwas aus den Fehlern George W. Bushs gelernt: Schaffe diskret Fakten, statt mit vorlauten Erklärungen lästige Anwälte und Menschenrechtler zu alarmieren.