Die Uni für den Standort

In Europa ändert sich die Bildungspolitik rapide. Wichtig wird vor allem eine Orientierung an ökonomischen Erfordernissen. von rené schuijlenburg

Wenn in Europa von Bildung die Rede ist, heißen die neuen Zauberwörter Wettbewerb, Autonomie und Studiengebühren. Das ist kein Zufall. In einem Papier der Europäischen Kommission, das im Februar veröffentlicht wurde, wird noch einmal betont, dass während des EU-Gipfels von Lissabon vor drei Jahren als strategisches Ziel festgelegt wurde, »die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum für Wissen weltweit zu machen«. Weiter heißt es, dass die Einnahmequellen von Universitäten u.a. durch Einkünfte aus dem Verkauf von Leistungen und der Nutzung von Forschungsergebnissen erweitert und Studiengebühren erhoben werden sollen.

Der Dachverband der Arbeitgeberverbände in den Mitgliedstaaten der EU (Unice) hatte noch kurz vor dem Gipfel von Lissabon ein Positionspapier mit dem Titel »Für eine Bildungs- und Ausbildungspolitik im Dienste des Wettbewerbs und der Beschäftigung. Die sieben Prioritäten der Unice« publiziert. Daraus geht hervor, dass der Dachverband gezielt auf ein Bildungsverständnis hinarbeiten will, das sich ausschließlich an Konzerninteressen und Arbeitsmarkterfordernissen orientiert. Andere so genannte pressure groups mit ähnlichen Zielen sind die European Round Table of Industrialists (ERT), die Global Alliance for Transnational Education (Gate) und die universitas 21. Speziell für die Beeinflussung der Europäischen Kommission während der laufenden Verhandlungen zum Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Gats) der Welthandelsorganisation WTO wurde das European Services Forum gegründet. Dieses Forum wird von Firmen wie Siemens, Commerzbank und Bertelsmann unterstützt.

In Deutschland kommt dem Mitte der neunziger Jahre von der Hochschulrektorenkonferenz und der Bertelsmannstiftung gegründeten Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) eine Schlüsselrolle bei der neoliberalen Umstrukturierung der Bildungsbereiche zu. Das CHE tritt dafür ein, dass die Hochschulen untereinander um die finanziellen Mittel konkurrieren. Sie sollen sich sowohl über public private partnerships, »Partnerschaften« zwischen einem Wirtschaftsunternehmen und einer öffentlichen Einrichtung, als auch über Studiengebühren finanzieren. Jede Hochschule ist dann berechtigt, sich ihre Studierenden selbst auszusuchen. Nach Auffassung des CHE soll nicht länger staatlich festgelegt sein, wer eine Hochschulzugangsberechtigung hat. Die Entscheidung darüber soll die »autonome«, von Sponsorengeldern der Privatwirtschaft abhängige Hochschule selbst treffen. Auf der Ebene der Schulbildung ist vor allem der CHE-Mitbegründer, die Bertelsmannstiftung, aktiv. Diese Stiftung hat beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem nordrhein-westfälischen Bildungsministerium das Projekt »Selbstständige Schule NRW« entwickelt.

Im Jahr 2000 wurden nach Berichten der Unesco weltweit zwei Billionen Dollar für Bildung ausgegeben. Ungefähr 20 Prozent davon sind in Richtung der Privatunternehmen geflossen, die Tendenz ist steigend. Die Unternehmen haben natürlich ein Interesse daran, einen möglichst großen Teil vom Kuchen abzubekommen. Und ihr Engagement lohnt sich. So war beispielsweise die deutsche Bundesregierung so freundlich, private Schulen und Hochschulen wie die International University of Bremen, einen Ableger der Rice University aus den USA, großzügig zu subventionieren. Auch deutsche Hochschulen, die im Ausland Privatinstitute eröffnen, erhalten Geld. Das Bundesbildungsministerium finanziert etwa das Förderprogramm »Export deutscher Studienangebote« mit zehn Millionen Euro. Natürlich mischen auch hier Konzerne im Hintergrund kräftig mit.

Die Interessenvertretung der europäischen Hochschulrektoren gegenüber den EU-Institutionen, EUA, betont in ihrem Bericht über ihre Tagung in Graz im Mai, dass die europäischen BildungsministerInnen in ihrem Abschlussdokument der Bologna-Nachfolge-Konferenz in Prag vor zwei Jahren festhielten, Bildung sei ein öffentliches Gut und werde unter der Verantwortung der öffentlichen Hand bleiben. Gleichzeitig werden die während der laufenden Gats-Verhandlungen an die USA gestellten Forderungen kritisiert. Die EU verlangt, dass die USA ihren Bildungsbereich für alle Hochschulen und Studierenden der Welt öffnen. Für die EU wurde das bereits 1994 während der so genannten Uruguay-Runde vereinbart. Die EUA befürchtet nun, dass, wenn die USA ihren Bildungsbereich öffnen, auch weitere Zugeständnisse der EU nicht nur bezüglich der Liberalisierung des Bildungssektors gemacht werden müssen. Es ist absehbar, dass die Gats-Verhandlungen, die von den verschiedenen Wirtschaftsministerien geführt werden, die Bildungspolitik grundsätzlich beeinflussen werden.

Durch das Gats werden öffentliche Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsfürsorge zu handelbaren Waren erklärt. Dieser Vertrag verfestigt die neoliberale Umstrukturierung der öffentlichen Dienste, die später parlamentarisch kaum noch rückgängig gemacht werden kann. Momentan wird im Zusammenhang mit Gats über die Liberalisierung des Bildungs- und des Gesundheitssektors verhandelt. Die Europäische Kommission hat ihre Zustimmung zur Liberalisierung der öffentlichen Dienstleistungen bereits demonstriert. Die EU akzeptierte schon 1994, ihre Märkte für public private partnerships in den Bereichen Schul-, Hochschul- und Erwachsenenbildung zu öffnen.

Obwohl die Europäische Kommission im Februar erklärte, dass sie bei den laufenden Gats-Verhandlungen keine Verpflichtungen in den Bereichen Gesundheit, audiovisuelle Medien und Bildung vorschlägt, wird über den EU-Konvent schon ein neuer Angriff auf den Bildungssektor vorbereitet. Nach Artikel 133 Absatz 6 des Nizza-Vertrages der EU hat jeder Mitgliedstaat ein Vetorecht bei der Abstimmung über die Bereiche Bildung, Gesundheit und Soziales. Einige Staaten haben von diesem Recht während der jetzigen Gats-Verhandlungen auch Gebrauch gemacht, aber genau dies soll in der EU-Verfassung geändert werden. Nur im Bereich der audiovisuellen Medien und der Kultur soll eine Ausnahme gemacht werden, dort soll auch weiterhin das Vetorecht bei den Abstimmungen gelten. In den anderen Bereichen entscheidet die Mehrheit der Mitgliedstaaten, wenn die EU-Verfassung in ihrer jetzigen Form angenommen wird.

Eine der treibenden Kräfte für das Streichen der Schutzklausel für die öffentliche Bildung war der CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok. Aus der Erklärung über finanzielle Interessen, die jedes Mitglied des Europaparlaments abgeben muss, geht hervor, dass Elmar Brok Vizepräsident von Media Development der Bertelsmann AG ist.