Bin ausgeflogen

Die Ermittlungen zum 11. September von jörn schulz

Zwei alternde Herren wandern durch eine malerische Bergwelt. Das wäre keine sehr aufregende Filmszene, wenn es sich nicht um Ussama bin Laden und Zayman al-Zawahiri handeln würde. Das am Mittwoch der vergangenen Woche vom katarischen Fernsehsender al-Jazeera ausgestrahlte Video sollte vor allem eines beweisen: Die beiden Führer der al-Qaida leben noch, und sie haben es nicht nötig, sich zu verstecken.

Professionelle Verschwörungstheretiker mögen auch dieses Video und die beigefügten Tonbandaufzeichnungen, die von islamistischen Sympathisanten und der CIA gleichermaßen als authentisch eingestuft werden, für den Teil eines Komplotts halten. Bin Laden selbst lässt keine Zweifel an der Rolle der al-Qaida. Er rühmt sich der »Ehre«, fünf namentlich genannte Attentäter des 11. September gekannt zu haben und lobt ihre »fromme Tat«.

Dass er weiter auf Erden wandeln muss, statt sich im Himmel mit 72 Jungfrauen zu vergnügen, verdankt er allerdings wohl gleich mehreren Verschwörungen: Den geheimdienstlichen Operationen zur Unterstützung der afghanischen Mujahedin und der Taliban sowie dem Willen der US-Regierung, den Verdacht, dass höchste saudische und pakistanische Kreise an den Anschlägen vom 11. September beteiligt waren, zu ignorieren.

Bereits im vergangenen Jahr hatte die konservative US-Zeitschrift National Review darauf verwiesen, dass unmittelbar nach den Anschlägen, als kein Zivilflugzeug starten durfte, die saudische Regierung bei einem diskreten Rundflug Verwandte bin Ladens einsammeln und außer Landes bringen durfte. Zum diesjährigen 11. September berichtete das Magazin Vanity Fair, dass etwa 140 Angehörige der saudischen Oligarchie eilig ausgeflogen wurden. Das FBI begnügte sich mit einem kurzen Gespräch am Flughafen, obwohl mehrere Mitglieder des Laden-Milliardärsclans verdächtigt werden, militante Islamisten zu finanzieren.

Die Oligarchien der USA und Saudi-Arabiens sind nicht nur durch wirtschaftliche Beziehungen miteinander verbunden. In den siebziger Jahren begab man sich auf einen gemeinsamen Kreuz- und Halbmondzug gegen den Kommunismus. Die saudische Monarchie unterstützte unter anderem gemeinsam mit den USA und der islamistischen Militärdiktatur in Pakistan die afghanischen Mujahedin. Das gleiche Bündnis förderte Mitte der neunziger Jahre den Aufstieg der Taliban.

Damals hat man al-Qaida nicht nur Geld und Waffen für den globalen Jihad überlassen, sondern auch in Saudi-Arabien und Pakistan die Unterwanderung des Staatsapparats durch militante Islamisten gefördert. Die Beteiligung solcher Kreise an den Anschlägen vom 11. September wird in jenen 28 Seiten des Untersuchungsberichts beschrieben, die die US-Regierung der Öffentlichkeit vorenthält (Jungle World, 33/03). Aus Sorge vor einer Destabilisierung Saudi-Arabiens und Pakistans verzichtet die US-Regierung auf eine konsequente Strafverfolgung saudischer Terrorfinanziers und eine ernsthafte Suchaktion in den islamistisch regierten Grenzregionen Pakistans, in denen die al-Qaida-Führung vermutet wird.

Das saudische Öl und die pakistanischen Atombomben zu besitzen, ist der Traum der militanten Islamisten. Die US-Regierung verlässt sich darauf, dass die »Gemäßigten« sich schon behaupten werden, weil sie die Kosten und Risiken einer Politik scheut, die säkular-demokratische Kräfte als Alternative zu Islamismus und autoritärer Herrschaft stärkt. Sollte sie sich verkalkulieren, könnte aus der großmäuligen Drohung Zawahiris, die bisherigen Anschläge seien nur »erste Scharmützel« gewesen, blutige Realität werden.