Der Lübecker Prozeß

Schwarzer Peter mit Flüchtlingen

Bonn will die Überlebenden der Hafenstraße nicht dulden, Kiel will sie nicht abschieben.

Kibolo Katuta ist nervös: "Als ich diesen Monat zum Sozialamt ging, wurde mir nicht einmal mehr die volle Summe für den ganzen Juli ausbezahlt, denn es sei ja nicht sicher, ob ich überhaupt noch bis zum Monatsende in Deutschland sein würde." Während des Lübecker Brandprozesses hatte sich der Flüchtling aus Zaire bei den Behörden unbeliebt gemacht, weil er Safwan Eid vehement gegen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft in Schutz nahm und so deren Konstrukt eines Streits zwischen Libanesen und Afrikanern zerstörte. Doch der Prozeß bedeutete für Katuta, seine Frau und seinen Sohn auch eine gewisse Sicherheit: So lange die Lübecker Staatsanwälte gegen Safwan Eid prozessierten, wurden die früheren Bewohner des Hauses in der Hafenstraße 52 als mögliche Zeugen gebraucht, so lange würden sie nicht in das von Diktatur, Bürgerkrieg und Hunger zerstörte Zaire geschickt werden. Nun, da der Prozeß vorbei ist, droht die bundesdeutsche Abschiebemaschinerie in Gang zu kommen.

Familie Katuta gehört zu jenen 24 Überlebenden des Brandanschlags, denen in Deutschland kein Asyl gewährt wurde. Der Kieler Innenminister Ekkehard Wienholtz (SPD) hat lediglich Duldungen ausgesprochen, befristet auf jeweils sechs Monate. Am 23. Juli endete die bislang letzte solche Duldung. "Ich habe keine Ahnung, was danach kommt", sagt Katuta.

Theoretisch wäre es sogar nach dem rigiden Ausländerrecht der BRD durchaus möglich, allen Überlebenden der Brandkatastrophe ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland auszusprechen. Paragraph 32 des Ausländergesetzes läßt den Bundesländern die Möglichkeit offen, "aus humanitären Gründen bestimmten Ausländergruppen ein Bleiberecht zu erteilen". Doch eine solche Lösung ist bislang am entschiedenen Widerstand aus dem Bonner Innenministerium gescheitert. Denn bedauerlicherweise enthält der Gnadenparagraph einen Halbsatz, der bestimmt, daß das Aufenthaltsrecht nur "im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister" zu gewähren ist. Und Manfred Kanther (CDU) behauptete schon im vergangenen Oktober in einem Brief an Wienholtz, es würde "eine Präzedenzwirkung" haben, wenn man den ehemaligen Bewohnern der Hafenstraße erlaube, in Deutschland zu bleiben.

Kanther erteilte damals Anweisung, daß die Lübecker Ausländerbehörde abermals eine Einzelfallprüfung vornehmen solle. Ende vergangenen Jahres lag das Ergebnis der Prüfung vor: Rund zwei Drittel der Überlebenden sollten abgeschoben werden. Während des Prozesses gingen die Asylverfahren weiter, weitere Anträge wurden abgelehnt. Nur elf der Überlebenden haben derzeit einen gesicherten Aufenthaltsstatus in der BRD.

Nun hat Kanther abermals deutlich gemacht, daß eine Gruppenlösung mit ihm nicht zu haben sein wird. Nach dem Ende der Duldungsfrist stehen neue Einzelfallprüfungen an, die wohl kaum anders ausfallen werden als die bisherigen. Doch auch bei Einzelfallprüfungen könnten humanitäre Aspekte durchaus eine Rolle spielen. So hätte die Lübecker Ausländerbehörde, eine entsprechende Weisung von Wienholtz vorausgesetzt, die Möglichkeit, allen Opfern aus humanitären Gründen das Bleiberecht auszusprechen.

Doch die Kieler Landesregierung setzt weiterhin darauf, den Gnadenparagraphen anzuwenden. Wiederholt sind Wienholtz und Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD) mit der Forderung nach einer Gruppenregelung an Kanther herangetreten. Wienholtz setzte sich Anfang des Jahres im Kieler Landtag gar für eine Resolution ein, die das Bleiberecht für die Flüchtlinge forderte.

Doch an Kanther vorbei Fakten schaffen - das will der SPD-Innenminister denn doch nicht. Als Bouteiller unmittelbar nach dem Brand einigen Überlebenden die Ausreise und eine anschließende Wiedereinreise nach Deutschland gestattete, damit sie an den Beerdigungen der Brandopfer teilnehmen konnten, leitete Wienholtz ein Disziplinarverfahren gegen den Bürgermeister ein. Und als das Lübecker "Bündnis gegen Rassismus" ankündigte, auf mögliche Abschiebungen von Brandopfern mit zivilem Ungehorsam zu reagieren, landete es prompt im Verfassungsschutzbericht aus Wienholtz' Innenministerium: Dieses Ansinnen richte sich "gegen den Staat als solchen", stellte der Bericht fest. Ministerpräsidentin Heide Simonis steht für ein Treffen mit dem Flüchtlingen erst im August zur Verfügung - wenn die Parlamentsferien vorbei sind.

So bleibt es in Kiel bei schönen Verlautbarungen, die das Bleiberecht für die Flüchtlinge fordern, während Kanther in Bonn durch seine Verweigerungshaltung Fakten schafft. Auch den jüngsten Vorstoß von Wienholtz und Bouteiller wird der rechte Flügelmann der CDU, der den Fall als Chefsache behandelt, wieder abblitzen lassen. "Wir sehen keine juristischen Voraussetzungen für eine Gruppenlösung", sagte ein Ministeriumssprecher der Zeitschrift Focus. "Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten" sei es nicht möglich, "aus dem Brand ein Bleiberecht zu konstruieren", wird flugs aus der Kann-Vorschrift des Ausländergesetzes eine Verbotsvorschrift.

Die Flüchtlinge selbst gehen davon aus, daß die Behörden in Schleswig-Holstein ihre Spielräume ausnützen. "Wir wissen nicht, was in einer Woche ist, aber noch sind wir optimistisch", sagt Katuta: "Denn zunächst hatte Wienholtz ja gesagt: Das ist nicht meine Sache, sondern die Sache von Kanther. Nun hat Kanther aber zugesagt, nichts dagegen zu unternehmen, wenn der Innenminister von Schleswig-Holstein das Bleiberecht ausspricht. Kanther wird keine Probleme machen." Es ist an der rot-grünen Regierung in Kiel, das auszuprobieren.