Die rassistischen Riots im Vereinigten Königreich finden kein Ende

Rechtsextreme Schwärme

Seit zwei Wochen erschüttern immer neue Gewalttaten von Rechts­extremen das Vereinigte Königreich. An Anfang standen Falsch­nach­richten, die rasend schnell in den sozialen Medien verbreitetet wurden.

Die Angriffe hören nicht auf. Am Samstag wurde eine Moschee im nordirischen Newtownards mit einem Brandsatz beworfen, der sich jedoch nicht entzündete. Die Moschee war vorher mit mehreren Keltenkreuzen besprüht worden – ein bekanntes Symbol von Rechtsextremen.

Seit dem 30. Juli werden zahlreiche Städte im Vereinigten Königreich durch Gewalttaten Rechtsextremer erschüttert. In vielen Kommunen im verarmten Norden Englands, darunter Liverpool, Manchester, Leeds und Sunderland, wurden Heime von Asylsuchenden, Moscheen und islamische Gemeindeeinrichtungen angegriffen und teils in Brand gesetzt. Aber auch in Bristol im Süden und in Belfast in Nordirland gab es Ausschreitungen. Die Gewalttäter lieferten sich heftige Kämpfe mit der Polizei, es gab Hunderte Verhaftungen und Dutzende Verletzte.

Zwar sind einschlägige rechtsextreme Gruppen an diesen Angriffen und Ausschreitungen beteiligt, sie scheinen nach ersten Erkenntnissen aber nicht ihre Urheber zu sein. Vielmehr handelt es sich um eine über die sozialen Medien angestachelte Massenbewegung, bei der nicht nur bekannte rechtsextreme Organisationen, sondern auch oft bislang Unbekannte zu Protesten aufrufen.

Nach Angaben der antifaschistischen Organisation Hope not Hate ist es meist unklar, wer die Demonstra­tio­nen organisiert. Ständig gebe es neue anonyme Aufrufe, sich zu versammeln.

Los ging es mit einer gezielten Desinformationskampagne. Sie nutzte das Entsetzen über Morde bei einem Kindertanzkurs in Southport nahe Liverpool am 29. Juli aus. Der mutmaßliche Täter erstach drei kleine Mädchen, weitere wurden verletzt. Es handelte sich um einen 17jährigen aus dem wa­lisischen Cardiff – der Täter ist in Großbritannien geboren, seine Eltern stammen aus dem überwiegend christlich geprägten Ruanda.

Doch in den sozialen Medien verbreitete sich das Gerücht, er sei ein illegal eingereister Muslim. Zuerst behauptete das offenbar ein Beitrag von Channel 3 Now auf X. Der Täter sei auf einem Boot über den englischen Kanal gekommen, hieß es dort. Sein Angriff habe sich gegen Weiße gerichtet, Behörden und Medien würden die Wahrheit über den Angriff gezielt verschleiern.

Channel 3 Now versucht, den Eindruck zu erwecken, ein US-amerikanischer Fernsehsender zu sein, und postet Videos und kurze Artikel in den sozialen Medien und auf Youtube. Meistens haben sie keinen politischen Inhalt, sondern sind einfach clickbait genannte Kurznachrichten über Verbrechen oder spektakuläre Unfälle. Der BBC zufolge »scheint es sich um ein Geschäftsmodell zu handeln, bei dem Nachrichten über Verbrechen gesammelt werden, um in den sozialen ­Medien damit Geld zu verdienen«.

Bedeutung des Instant-Messaging-Diensts Telegram

Die Ereignisse in Southport am 30. Juli zeigen außerdem die Bedeutung des Instant-Messaging-Diensts Telegram. Die ersten Ausschreitungen in der Stadt am Folgetag der Morde ereigneten sich nach einer friedlichen Gedenkveranstaltung für die Todesopfer. Am Tag zuvor war in einer neu gegründeten Telegram-Gruppe namens »Southport Wake Up« zu einer Demonstration am Abend des 30. Juli aufgerufen worden. Im Chat wurden rassistische und muslimfeindliche Inhalte geteilt – und die Adresse der Moschee in Southport genannt.

Den Demonstrationsaufruf verbreiteten daraufhin bekannte rechtsextreme Persönlichkeiten in den sozialen Medien weiter, darunter Stephen Yaxley-Lennon alias Tommy Robinson, der Anführer der English Defence League, Andrew Tate, ein frauenfeindlicher, rechtsextremer Influencer, und Nigel Farage, der Anführer der rechts­populistischen Partei Reform UK. Am 30. Juli erschienen dann Angehörige der rechtsextremen Gruppierung Patriotic Alternative, die die Times 2023 als »größte weiße rechtsextrem-suprematistische Bewegung« Großbritanniens beschrieb, sowie Fußball-Hooligans aus Liverpool in Southport. Sie attackierten die Moschee mit Steinen und zündeten Autos und Polizeiwagen an.

Ähnliche Szenen spielten sich seitdem in zahlreichen englischen Städten ab. Oft folgten die Ausschreitungen ­einem ähnlichen Muster, das man als Schwarmaktivität bezeichnen könnte. Nach Angaben der antirassistischen Organisation Hope not Hate ist es meist unklar, wer die Demonstrationen organisiert. Ständig gebe es neue anonyme Aufrufe, sich zu versammeln und sich als »Engländer« gegen die »antiweißen« Angriffe der Migranten zu wehren.

Auf Telegram kursierte eine Liste mit Zielen

Solche Aufrufe finden sich in den etablierten rechtsextremen Telegram-Kanälen des Unity News Network oder der Gruppierung Patriotic Alternative. Außerdem teilen Influencer wie Robinson, Daniel Thomas alias Danny Tommo und Amanda Smith alias Yorkshire Rose die Demonstrationsaufrufe.
Auf Telegram kursierte eine Liste mit Zielen, sie enthält die Adressen verschiedener muslimischer Einrichtungen sowie von Anwälten, die sich mit Migrationsrecht befassen. Muslime – und Menschen, die dafür gehalten werden – sind von diesem Ausbruch rechtsextremer Gewalt besonders bedroht. Die Organisation Tell Mama, der Angriffe auf und Drohungen gegen Muslime gemeldet werden können, meldet, die Zahl der Letzteren habe sich nach Beginn der Ausschreitungen verfünffacht.

Eine Rolle spielt dabei die aufgeheizte Stimmung gegen Migranten, zu der die Agitation von nationalistischen Politikern wie Nigel Farage seit Jahren wesentlich beiträgt. Auch die einwanderungsfeindliche Politik der im Juli abgewählten konservativen Regierung hat das Ihre getan. Die Lösung des »Mi­grationsproblems« war seit langem ein zentraler Programmpunkt der Tories. Die ehemalige Innenministerin Suella Braverman sprach von einer »Invasion« der Migranten, die auf Booten ankommen. Mit Slogans und Transparenten wie »Stoppt die Boote« fordern die Menschen nun auf der Straße, was ­ihnen die konservative Regierung seit Jahren versprochen hat.

Tommy Robinson gibt sich gerne als Unterstützer Israels und nutzte in den vergangenen Monaten den Hamas-Terror, um gegen muslimische Einwanderer zu hetzen. In den einschlägigen Telegram-Kanälen kursiert allerdings offener Antisemitismus. Es wird behauptet, dass die Juden hinter dem »antiweißen Establishment« aus Regierung, Polizei und Medien steckten, welches den Briten keine Möglichkeit lasse, außer Gewalt anzuwenden.

Der Plan der »zionistischen Hintermänner« 

Andere vermuten die Macht der ­Juden hinter den rechtsextremen Ausschreitungen. In einem Video, das auf X bislang 6,6 Millionen Mal angesehen wurde, ruft ein Mann die britischen Muslime dazu auf, jetzt bloß nicht aus Rache christliche Kirchen anzugreifen, denn das sei ja genau der Plan der »zionistischen Hintermänner« der Riots. Die »britische Bevölkerung« müsse »aufwachen« und verstehen, dass »das Establishment« jemanden wie Tommy Robinson lediglich benutze. Bei dem Mann im Video handelt es sich offenbar um Luqman Muqeem, der in Medienberichten als Anführer der islamis­tischen Partei Hizb ut-Tahrir in Großbritannien bezeichnet wurde.

Dass Robinson ein »bezahlter Agent Israels ist«, behauptete kürzlich in seiner Youtube-Sendung auch der Politiker George Galloway, der 2004 aus der ­Labour-Partei ausgeschlossen worden war und bekannt dafür ist, antisemi­tische Ressentiments zu bedienen. Die NGO Islamic Human Rights Commission aus London, die dem iranischen Regime ebenso wie Galloway nahesteht, sprach in einem offenen Brief an die britische Innenministerin Yvette Cooper ebenfalls von den »ausländischen zionistischen Finanziers« hinter den rechts­extremen Ausschreitungen.