Die Ökonomie der Megakonzerte von Stars wie Swift, Harry Styles, Adele, Coldplay oder Beyoncé

Taylor Swift und die Bowie-Theorie

Taylor Swifts »Eras«-Tour bricht alle Rekorde. Die Lust des Publikums auf Großkonzerte auch von anderen Musikern ist vor allem auf die Pause während der Covid-19-Pandemie zurückzuführen. Derweil interessieren sich auch Politiker und Investoren für die Megashows – nicht umsonst wird von »Swiftonomics« gesprochen.

Wenn Popstars Ländern Ärger bereiten, dann hat das üblicherweise viel mit dem Land und wenig mit dem Popstar zu tun. Als die Sängerin Lady Gaga im Sommer 2012 in der indonesischen Hauptstadt Jakarta ein Konzert spielen wollte, waren radikale Islamisten erbost. Die »Islamische Verteidigungsfront« warf der Sängerin vor, ihre Auftritte seien »pornographisch« und mit der indonesischen Kultur nicht vereinbar. Knapp 50.000 indonesische Fans, die bereits ein Ticket für die Tour »The Born This Way Ball« gekauft hatten, sahen das offenkundig anders, aber es nützte nichts: Aufgrund von Sicherheitsbedenken wurde das Konzert abgesagt.

Zwölf Jahre später sorgt wieder eine überaus erfolgreiche Sängerin für Verstimmung. Diesmal sollte sie allerdings nicht fernbleiben – im Gegenteil: Von »gewissen Anreizen« war die Rede, als der singapurische Premierminister Lee Hsien Loong im Frühjahr erklärte, wieso Taylor Swift mit ihrer »Eras«-Tour von allen südostasiatischen Staaten nur in seinem Land Halt machen werde. Sechs ausverkaufte Konzerte spielte Swift in dem reichen Stadtstaat Singapur und kein einziges in anderen asiatischen Ländern mit Ausnahme Japans. Nicht nur Fans waren davon enttäuscht, auch Regierungsvertreter und andere Offizielle, zum Beispiel aus Thailand oder den Philippinen, zeigten sich verärgert von dem Deal, der offenbar geschlossen worden war.

Für Swifties ist ein Konzert der Musikerin nicht nur ein Konzert, es ist eine Art ganzheitliches Konsumerlebnis, von dem die fulminante, dreieinhalbstündige revueartige Show nur ein Aspekt ist.

Warum hochrangige Politiker sich überhaupt dafür interessieren, dass eine 34jährige US-Sängerin so oft wie möglich in ihrem und in keinem anderen Land auftritt, erklärt ein Blick auf die Statistik: Die »Eras«-Tour, die im März 2023 begann und noch bis Ende dieses Jahres dauern wird, umfasst 152 Termine auf fünf Kontinenten und findet ausschließlich in Stadien statt. Mit einem Umsatz von schätzungsweise einer Milliarde US-Dollar gilt sie als erfolgreichste Tournee der Musikgeschichte und brach damit einen Rekord Elton Johns. Swifts weitere Rekorde zu zählen, ist müßig: Allein im »Guiness-Buch der Rekorde« handeln über 100 Einträge von ihr. Wäre die Musikerin ein Land, hätte dieses eine größere Nationalökonomie als 50 tatsächliche Länder dieser Erde. Allein in den USA trug die »Eras«-Tour 5,7 Milliarden US-Dollar zur Wirtschaftsleistung bei.

Nicht allein die teuren Tickets – in den USA kostete der Eintritt zu einer Show zwischen 250 und 1 200 US-Dollar – tragen dazu bei. Wo Taylor Swift auftritt, verändern sich ganze Städte: In London, wo Swift diesen Sommer insgesamt acht Konzerte spielt, haben sich große Teile der Gastronomie, des Einzelhandels und des Tourismus auf Hunderttausende »Swifties« eingestellt, die nur für die Konzerte anreisen. Bars locken mit einem »Swift Fizz«, Klamottenläden verkaufen echtes und gefälschtes »Eras«-Merchandise, Hotels sind ausgebucht, Preise für Übernachtungen kräftig gestiegen. Der wirtschaftliche Boom, den solch eine Tournee in einer Stadt auslösen kann, hält problemlos mit dem großer Sportereignisse mit. Finanzmagazine sprechen mittlerweile ganz unironisch von »Swiftonomics«.

Finanzmagazine sprechen von »Swiftonomics«

Auch bei ihren Deutschland-Terminen – Swift spielte diesen Sommer in Gelsenkirchen, Hamburg und München – veränderte die Musikerin das Stadtbild auf eine Art und Weise, wie es sonst nur mehrtägige Festivals vermögen: Die Fans trugen offiziell verkaufte sowie selbstgemachte Kleidung und Accessoires, oft passend zu einer bestimmten »Era«, dem ästhetischen Konzept eines Swift-Albums. Es ist vor allem das extrem hohe Niveau dieses »Fan-Engagements«, wie es in der Unterhaltungsbranche heißt, das die Künstlerin zum Kult und zum Wirtschaftsfaktor macht.

Für Swifties ist ein Konzert der Musikerin nicht nur ein Konzert, es ist eine Art ganzheitliches Konsumerlebnis, von dem die fulminante, dreieinhalbstündige revueartige Show nur ein Aspekt ist. In Gelsenkirchen reagierte das Stadtmarketing auf die Idee einer 16jährigen Swift-Anhängerin und brachte Ortsschilder an, auf denen die Ruhrmetropole kurzerhand in »Swiftkirchen« umbenannt wurde.

Obgleich Fans viele der zumeist sozialen Aspekte des Taylor-Kults – etwa das gemeinsame Basteln und gegenseitige Tauschen von zu einer »Era« passenden Freundschaftsarmbändern – entwickelt haben, ist es durchaus Swift und ihrem PR-Team anzurechnen, dass sie den immensen Wert solcher Rituale begriffen haben. So lobte die Sängerin bei einem ihrer Hamburg-Konzerte ihre Anhängerschaft und betonte ausdrücklich deren Hingabe hinsichtlich der arts and crafts, dem Taylor-Fan-eigenen »Kunsthandwerk«.

»Voller kultureller Moment«

Die Vokabel »Era« selbst ist zu einem geflügelten Wort geworden, die nicht nur in englischsprachigen sozialen Medien mal ironisch, mal ernsthaft zur Beschreibung persönlicher Lebensabschnitte benutzt wird. Insofern muss man dem Text, der auf der Website des Musikpreises Grammy zu lesen ist (Swift hat bereits 14 Grammys gewonnen), vollkommen recht geben, wenn er behauptet: »Diese Tour ist weit mehr als ein durchschnittliches Konzert – es ist ein voller kultureller Moment.«

Dass dem so ist, erklärt den kolossalen Erfolg dieser Musikerin, deren Musik zwar eine, aber nicht die einzige Rolle dabei spielt. Hinzu kommt eine bestimmte Mischung aus Verpassensangst und einem erhöhten Bedürfnis nach Massenevents, das sich im Zuge und nach der Covid-19-Pandemie angestaut hat. Taylor Swifts »Eras«-Tour hätte es ohne das Virus vielleicht nicht gegeben. Sie ist das Ergebnis einer abgesagten Tour und mehrerer Albumveröffentlichungen zwischen den Jahren 2019 und 2022, welche die Nachfrage nach Auftritten von der Musikerin beständig nährten.

Bemerkenswert ist dieser Erfolg, für den das Wort »viral« fast eine Untertreibung ist, auch aufgrund eines weiteren Aspekts: Taylor Swift ist nicht gerade dafür bekannt, ihre Musik oder ihr Gesicht für Werbung und Sponsoring herzugeben – womit ihre Konkurrenz, abseits von den Erlösen aus Musik und Merchandise, einen beträchtlichen Teil des eigenen Einkommens schafft. Wer also von Swifts Erfolg etwas abhaben möchte, erreicht das nur über Bande – so wie die US-Investmentbank Goldman Sachs, die kürzlich in Swifts Bühnenbauunternehmen Tait investierte.

Einkünfte fast nur noch mit Shows zu erzielen

Auf ähnliche Weise konnten viele Segmente der Live-Industrie in den vergangenen Jahren ihren Umsatz (und oft ihren Aktienkurs) weit über das vorpandemische Niveau steigern, woran Megatourneen beziehungsweise -konzerte wie die von Taylor Swift, Harry Styles, Adele, Coldplay oder Beyoncé nicht unschuldig sein dürften.

Brancheninsider sprechen davon, die sogenannte Bowie-Theorie, die auf ein Zitat des britischen Musikers zurückgeht, habe sich bewahrheitet. Im Jahr 2002, am Höhepunkt der Umsatzkrise der Musikindustrie, die sich verzweifelt an CD-Verkäufe klammerte und sich nicht auf digitale Formate vorbereitete, prognostizierte David Bowie im Gespräch mit der New York Times, dass der Verkauf von Alben und Singles in Zukunft wirtschaftlich kaum noch eine Rolle spielen werde: »Man sollte darauf vorbereitet sein, viel zu touren, denn das ist das Einzige, was noch bleiben wird.«

Damit sollte Bowie recht behalten: Zwar verdienen Musikerinnen und Musiker mittlerweile Geld im Streaming-Sektor und die Vinyl-Verkäufe steigen von Jahr zu Jahr an, nennenswerte Verdienste sind allerdings fast nur noch mit Shows zu erzielen. Davon können insbesondere diejenigen berichten, die noch deutlich unter Starniveau rangieren und für die ständige Auftritte daher zum eigentlichen Broterwerb geworden sind.

Neue Art von Marktdruck

Bombastische Konzerte wie die Swifts oder auch der britischen Sängerin Adele, die im August zehn Shows in einer eigens für sie errichteten Arena in München spielt, erzeugen auch eine neue Art von Marktdruck. Denn alle, die mit solchen Massenveranstaltungen im Wettbewerb stehen, können dabei nur leer ausgehen. Wer zwischen 200 und 1.000 Euro für ein Adele-Konzert ausgibt, der leistet sich im Zweifel weniger kleinere und günstigere Clubkonzerte im Jahr. Und wenn die Sängerin fast einen ganzen Sommermonat in der bayerischen Landeshauptstadt residiert, wird es für alle schwer, deren Shows mit diesen Publikumsmagneten konkurrieren.

Wie einst Lady Gagas Konzert in Jakarta mussten auch drei Konzerte der »Eras«-Tour, die in Wien stattfinden sollten, aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. Zuvor waren zwei Männer festgenommen worden, die verdächtigt werden, islamistisch motivierte Anschläge geplant zu haben.

Das funktioniert freilich nur mit einem Publikum, das sich der magischen Wirkung des vermeintlich »einmaligen Moments« ergeben möchte, das bereit ist, für eine spektakuläre Show so viel Geld auszugeben, wie andernorts dreitägige Festivals kosten. Der Begriff »Swiftonomics« bezeichnet also nicht viel mehr als die Monopolisierung der Live-Industrie, mit allen Begleiterscheinungen, die solche Monopolisierungen auch in anderen Wirtschaftsbereichen mit sich bringen. Plötzlich interessieren sich für die großen Stars nicht nur Fans, sondern Investoren, Banken und Politiker – und das ist durchaus eine neue »Era« für die internationale Popmusik.

Aber auch eine andere, gänzlich ungebetene Art von Interesse ziehen die Megashows wieder auf sich: Wie einst Lady Gagas Konzert in Jakarta mussten auch drei Konzerte der »Eras«-Tour, die in Wien stattfinden sollten, aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. Zuvor waren zwei Männer festgenommen worden, die verdächtigt werden, islamistisch motivierte Anschläge geplant zu haben.