Eine neue Umfrage zeigt, dass bereits sehr viele zum Teil sehr junge Mädchen in Deutschland Kopftuch tragen

Verhüllte Kinder

Eine aktuelle Umfrage unter Pädagoginnen verdeutlicht, wie häufig zum Teil schon sehr junge Mädchen Kopftuch tragen. Ein Verbot in Schulen für Kinder unter 14 Jahren wäre Gutachten zufolge juristisch machbar.

Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes will ein Kopftuchverbot für Kinder in Bildungseinrichtungen erreichen: Das Kinderkopftuch stehe der Gleichberechtigung der Geschlechter entgegen und trage zur Frühsexualisierung von Mädchen bei.

Für ein solches Verbot braucht es Zahlen und den Beweis, dass es tatsächlich ein Problem gibt. Terre des Femmes hat deshalb nun zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren eine Umfrage durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen: Lehrerinnen und Lehrer sehen ein Problem und wünschen sich Unterstützung beim Umgang damit. 73 Prozent der befragten Pädagoginnen und Pädagogen sind der Meinung, dass die Verschleierung von Mädchen in jungen Jahren ihre Entwicklung beeinträchtige. 62 Prozent sähen eine Regelung als Vorteil für die freie und gleichberechtigte Entwicklung von Mädchen.

Jede Diskussion von Islamverbänden abgelehnt

Die Ergebnisse der Umfrage sind nicht repräsentativ, widerlegen aber dennoch die Behauptung, bei dem Phänomen handele es sich um seltene Ein­zelfälle. Die Islamverbände ­hatten bisher jede Diskussion um eine Regelung des Kopftuchs bei Kindern abgelehnt mit dem Verweis, das Phänomen läge im Promillebereich, da der Islam das Kinderkopftuch nicht gutheiße.

Für die Umfrage beantworteten 784 Pädagoginnen aus ganz Deutschland einen Fragebogen, der an 4.500 Schulen und Kitas in allen Bundesländern versandt wurde. Die Antworten erfolgten anonym. Auf die Frage, wie viele Mädchen unter 14 Jahren an ihrer Schule ein Kopftuch tragen, gaben 64 Prozent an, es seien ein bis drei Mädchen pro Klasse. Bei acht Prozent waren es sogar vier bis fünf Mädchen pro Klasse.

Die Mehrheit der befragten Päda­go­ginnen ist der Auffassung, dass das Kopftuch manchmal unfreiwillig getragen werde. 26 Prozent gaben sogar an, dies sei »häufig« der Fall.

Im Jahr 2018 ging Terre des Femmes zum ersten Mal mit der Forderung nach einem Verbot des Kopftuchs bei Schülerinnen an die Öffentlichkeit. In Frankreich gibt es ein solches Verbot. Doch hierzulande verstieße ein solche Regelung wohl gegen das Grundgesetz. Eine Trennung von Staat und Religion wie in Frankreich gibt es in Deutschland nicht. Religionsausübung ist in der Schule zugelassen und sogar geschützt. Auch Juristen, die der Forderung positiv gegenüberstanden, wiesen Terre des Femmes damals darauf hin.

Möglich wäre indes eine Regelung für Kinder unter 14 Jahren. Mit 14 Jahren ist ein Kind uneingeschränkt religionsmündig. Dann kann es – so die Theorie – selbst entscheiden, ob es ein Kopftuch trägt oder nicht. Die Schule muss das respektieren. Ein Kind unter 14 Jahren unterliegt auch in Fragen der Religion dem Erziehungsrecht der Eltern. Da es sich nicht so einfach da­gegen wehren kann, stellt sich die Frage also anders.

»Grenze im Kindeswohl«

Der Verfassungsrechtler Martin Nettesheim kam 2019 in einem von Terre des Femmes in Auftrag gegebenen Gutachten zu dem Schluss, dass ein Verbot für Mädchen unter 14 Jahren verfassungsrechtlich möglich sei. Die Schule habe den Auftrag, die Kinder im Sinne von Freiheit, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung zu erziehen, schreibt Nettesheim in dem Gutachten: »Erziehung zur Freiheit bedeutet zugleich aber auch, Entwicklungswege offenzuhalten, eine Reflexion über den eigenen Lebensweg zu ermöglichen und deshalb einer vorschnellen Festlegung auf bestimmte Lebensformen und Rollenmodelle entgegenzuwirken.« Die Religionsfreiheit stünde einem Verbot nicht entgegen, da Kinder unter 14 Jahren noch nicht die Reife hätten, hier eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.

Ein Jahr später kam der Staatsrechtler Kyrill-Alexander Schwarz in einem Gutachten im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland zum selben Ergebnis. Zwar hätten Eltern das Recht, »ihre minderjährigen Kinder über einen langen Zeitraum erzieherisch zu formen und zu prägen«, doch finde »dieses Recht gleichwohl eine Grenze im Kindeswohl selbst«, sagte Schwarz damals.

Ein von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebenes Gutachten untersuchte unter anderem, inwieweit ein Verbot die Religionsausübung einschränke. Als geschützte Religionsausübung gilt nur, was hinreichend belegt religiös gefordert ist. Im Gutachten heißt es, dass diejenigen islamischen »Gelehrten, die im Tragen des Kopftuchs ein religiöses Gebot sehen«, dieses erst »ab der Reife« für gültig ­erklären. Die »Reife« werde entweder biologisch mit dem Pubertätsbeginn oder als geistige Reife bestimmt.

Tragen des Kopftuchs geht häufig mit Selbstausgrenzung einher

Einer der Autoren des Gutachtens, der Professor für Islamische Religions­pädagogik Mouhanad Khorchide, sagte 2020 in einem Interview mit der ­Online-Zeitung Das Biber, man müsse »Mädchen und deren Eltern dringend darüber aufklären, dass ein Kinderkopftuch im Islam verboten ist«. Er wünsche sich, dass Islamverbände »so ein religiöses Verbot klar und unmissverständlich« aussprechen, das »wäre ein starkes Si­gnal, das die betroffenen Mädchen vom Zwang befreien könnte«.

Viele religiöse Muslime sehen es wie die Islamverbände in Deutschland: Ein Kopftuch sollte erst mit ­Beginn der Menstruation getragen werden. Das wäre allerdings durchschnittlich mit 12,5 Jahren, womit die Religionsmündigkeit deutlich unterschritten würde.

Die Ergebnisse der aktuellen Umfrage deuten auch darauf hin, dass das Tragen des Kopftuchs häufig mit einer Selbstausgrenzung einhergeht und der Bildungsauftrag der Schule nicht mehr voll umgesetzt werden kann. Mehr als die Hälfte der Pädagoginnen gab an, dass Kopftuch tragende Mädchen nicht am Schwimmunterricht, an Klassenfahrten oder Schulausflügen teilnehmen, 35 Prozent beobachteten das für den Sexualkundeunterricht.

Druck auf muslimische Mädchen ausgeübt

Alarmierend ist auch, dass die Mehrheit der Pädagoginnen der Auffassung ist, dass das Kopftuch manchmal unfreiwillig getragen werde. 26 Prozent gaben sogar an, dies sei »häufig« der Fall. Mehrere Befragte beschreiben, dass auf muslimische Mädchen, die kein Kopftuch tragen, Druck ausgeübt wird. Einige der befragten Pädagoginnen haben beschrieben, was sie erleben.

Eine schreibt: »Die Mädchen wurden von den männlichen Familienmitgliedern – Vätern, Onkel, Großvätern – regelrecht geködert mit großzügigen Geschenken, Loben wie zum Beispiel: ›Du bist eine besonders gute Tochter, wenn du ein Kopftuch trägst. Du stärkst unsere Ehre. Wir sind stolz auf dich. Wir lieben dich.‹ Da kann ein kleines Mädchen kaum widerstehen. Außerdem sind der Druck und die Angst vor Ablehnung/Zurückweisung zu groß.«

Eine andere berichtet: »Ich habe aktuell eine Schülerin, die gesagt hat, dass sie das Kopftuch freiwillig gewählt hat. Sie ist fast neun Jahre alt! Ich habe den Eindruck, dass sie es anfangs ›spannend‹ und toll fand, denn es machte sie stolz und es war neu. Aber nun gibt es kein Zurück mehr und sie wirkt viel introvertierter und ›erwachsener‹ als vorher. Ich glaube nicht, dass ihr klar war, wofür sie sich da entschied, und nun scheint der Weg vorgegeben zu sein.«