Trumps Faustkampf auf dem Schlachtfeld der Semantik

Die Faust im Himmel über Amerika

Herzhände in der Politik, Wolfszeichen im Fußball, Hitlergrüße aus Sylt und ein Präsidentschaftskandidat, der bei jeder Gelegenheit die Faust reckt. Dabei war sie doch mal ein linkes Symbol des Widerstands. Eine Untersuchung auf dem Schlachtfeld der Semantik.

Der semantische Bürgerkrieg ist in vollem Gange: Die Rechten im Westen sind berüchtigt dafür, verbale Grenzverschiebungen vorzunehmen. Doch gibt es ein weiteres »Schlachtfeld«: das nonverbale Zeichen. Solch ein »Zeichen-Setzen« beinhaltet immer zwei Vorgänge zugleich, nämlich die Bezeichnung der eigenen »Identität« – das Zeichen sagt (mir), wer ich bin – und die Provokation des anderen – das Zeichen sagt: Du musst kämpfen oder weichen! Identifikation und Kampfansage verstärken einander naturgemäß. Ich bin noch mehr ich, wenn ich anderen mit einem Zeichen Angst mache (oder sie immerhin in Verwirrung stürze).

Der Akt des Zeichensetzens, gegen einen realen oder imaginären Widerstand, ist immer mit dem Empfin­den des Triumphs verbunden, das beginnt schon mit dem Stinkefinger gegen einen idiotischen Verkehrsteilnehmer oder der »Pommesgabel« hinter dem Rücken des Security-Typen. Eine solche Zeichensprache ist gebräuchlich und sowohl im Kommunikationsgeschehen wie für den eigenen Seelenhaushalt durchaus nützlich.

Der Akt des Zeichensetzens, gegen einen realen oder imaginären Widerstand, ist immer mit dem Empfinden des Triumphs verbunden, das beginnt schon mit dem Stinkefinger gegen einen idiotischen Verkehrsteilnehmer oder der »Pommesgabel« hinter dem Rücken des Security-Typen.

An bestimmten Punkten und unter bestimmten Umständen werden die Zeichen indes politisch. Schon dann, wenn sie mit einer Aufforderung, sich zu verbinden, einhergehen; ab drei, vier Doppelhand-Herzchen geht es nicht mehr um eine persönliche Botschaft, sondern um ein kollektives Statement. Das politische Zeichen wird gesetzt, um sich zu vermehren.

Anders als das private Zeichen bleibt es nicht an einen Adressaten und an eine Situation gebunden, sondern will den Raum besetzen. Anders als das private Zeichen ist es stets in einem Machtkampf begriffen. Im Prinzip ist es immer auch die ­semantische Verdichtung einer Gewaltandrohung. Inmitten eines Heers von Doppelhand-Herzchen eine satanische Pommesgabel zu ­formen, wäre eine so lohnende wie tapfere Geste.

Satirisch verfremdet. Der Hynkel-Gruß in Charlie Chaplins »Der große Diktator«, 1940

Satirisch verfremdet. Der Hynkel-Gruß in Charlie Chaplins »Der große Diktator«, 1940

Bild:
mauritius images / World Book Inc.

Letztlich ist das Zeichen auch ein Verständigungsmittel. Das Zeichen vermittelt den eigenen Leuten Zusammengehörigkeit, entweder den anderen zum Trotz oder ohne dass sie es bemerken (das »Geheimzeichen«, das in Kindheit und Phantasie hineinreicht). Noch listiger lässt sich also mit dem nonverbalen Zeichen ein Spiel mit der »Lesbarkeit« treiben, und noch schwieriger als in der gewöhn­lichen Sprache scheint es, den Gebrauch von Zeichen unter das Gesetz zu stellen, sehen wir einmal von so offenkundigen Gesten wie dem »Hitlergruß« ab, der sich vom »Römischen Gruß« der italienischen Faschisten ableitet, der gerade wieder sehr gebräuchlich wird. Obwohl »offiziell« penalisiert, wird er von den Agenten der postfaschistischen Regierung geflissentlich übersehen. Eine zweite Form von Komplizenschaft: den Zeichen Raum geben.

Hitlergruß mit der linken Hand

Wenn ein deutsches Gericht indes umgekehrt urteilt, dass ein Hitlergruß auch dann strafbar sei, wenn er mit der linken Hand ausgeführt wurde, unternimmt es den Versuch, den Gebrauch des Zeichens an die Intention statt an die Bedeutung zu binden. Das ist so verständlich wie semiotisch problematisch: Das verbotene Zeichen wird endlos abgewandelt, so wie eine Schwarze Sonne das Hakenkreuz ersetzt oder eine Zahlenkombination das verbotene Wort.

Die Subversion des Zeichens ist keineswegs eine rechte Erfindung. Immer haben sich Minderheiten durch Zeichen verständigt, ihre »Identität« behauptet, die Geste des Widerstands gezeigt. Was wären die Erzählungen von verfolgten Urchristen ohne die Zeichen in ihren Katakomben, was wäre die Black-Power-Bewegung ohne die gereckte Faust im Olympiastadion von Mexiko-Stadt, was wären Freimaurerlegenden ohne die verborgenen Zeichen?

Larrie James, Lee Evans, Ron Freeman

Faust hoch, schwarze Barretts: Larrie James, Lee Evans, Ron Freeman

Bild:
dpa/ Pedersen

Der Subversion der Zeichen steht eine Besessenheit gegenüber, die, von Verschwörungsphantasien getrieben, in allem, was zu sehen ist, ein Zeichen wittert. Während das politische Zeichen zum Bild werden will, nämlich zum Bild der eigenen Macht, will der Verschwörungsblick aus jedem Bild das Zeichen herauslesen, als Spur zum Schatz, als Hinterlassenschaft von Aliens und vor allem als Untergrundsprache der Infiltra­tion und Unterwanderung.

Hammer und Sichel nach der Revolution

Alle drei Geschichten der Dissidenz sind um Zeichen gruppiert: die Subversion, der Widerstand und die Verschwörung. Auf der anderen Seite stehen die Zeichen der Macht, der Ordnung und der Hierarchien, Zeichen der Rangordnung, der Führerschaft, der Zugehörigkeit. In diesem Zeichen begegnen sich nach wie vor weltliche und religiöse Semantiken und »Lektüren«. Die Fahne, nur zum Beispiel, muss für den heroisch-kriegerischen Menschen »heilig« sein, so wie einst Hammer und Sichel nach der Revolution zugleich aktuelle Ordnung und Transzendenz bedeutete. Im politischen Zeichen soll sich also der »Umsturz« dialektisch ­aufheben.

Niemand hat das so sehr perfektioniert wie die Nazis: Ihre Zeichen spielten eine Schlüsselrolle in der Verwandlung einer faschistischen Bewegung in einen terroristischen Staat. Die faschistischen Zeichen, die heutzutage in Gebrauch sind, dienen nicht nur als nostalgische Reminiszenz und identitäre Kampfansage, sie tragen diese Funktion bereits in sich: Der Wolfsgruß des türkischen Fußballspielers Merih Demiral im EM-Viertelfinale, der kurz Skandal machte und dann begeistert von »Fans« aufgenommen wurde, ist anders als die gereckte Faust des Black-Power-Athleten keine Geste des persönlichen Widerstands, sondern soll, so die heimtückische Erklärung, die »türkische Identität« ausdrücken.

Mit freundlichen Wolfsgrüßen. Türkische Fans beim Public Viewing, 2024

Mit freundlichen Wolfsgrüßen. Türkische Fans beim Public Viewing, 2024

Bild:
picture alliance / dpa / Fabian Sommer

Die faschistische Organisation, mit der man sich mittels des Zeichens »identisch« erklärt, verlangt nicht Recht, sondern Gewalt. Wie die Sprache der Worte und »Erzählungen«, so haben auch solche Zeichen mehrere Bedeutungsebenen, sie sollen den einen dies, den anderen das bedeuten, manchen gar nichts, und wieder anderen soll das Zeichen und seine Benutzung einen »bleibenden Eindruck« vermitteln.

Eingeritztes ­Hakenkreuz auf der Stirn

Die Politisierung eines emotionalen Moments wird in dem Zeichen bewahrt und weitergegeben. Wie die gereckten Fäuste der Black-Power-Aktivisten ist das Wolfszeichen zu einem historischen Augenblick geworden. Es ist der Augenblick eines semantischen Bruchs. Das Zuvor und das Danach unterscheiden sich drastisch. Es ist die weltliche Form einer Offenbarung. Und es gehört zu dieser »Geburt des Zeichens«, das seine Setzung mindestens mit einer symbolischen Strafe belegt wird. Das große Zeichen wird aus einer Opferhaltung heraus erzeugt, weshalb es auch kein Widerspruch ist, dass in unserem Metazeichen, dem Kreuz, auch Kriege geführt und Menschen vergewaltigt werden.

Zu alledem gibt es das Zeichen, das die Macht den Unterworfenen und Entwerteten aufzwingt, das Kainsmal für den Mörder (das die »Inglourious Basterds« von Quentin Tarantino mit dem eingeritzten ­Hakenkreuz auf der Stirn des SS-Manns wiederholen), aber auch die Sklavenzeichen, die Zahlen statt ­Namen bei den Häftlingen und das grauenvolle Markieren von Menschen durch den Judenstern im nationalsozialistischen Regime.

Die Faust, die insbesondere in der US-amerikanischen Arbeiter- und Gewerkschafts­bewegung gebräuchlich war, steht im völligen Widerspruch zur faschistischen Gestik der vertikalen Armbewegung und der flachen Hand.

Es ist ein Wesenszug des Faschismus, das Zeichen über den Körper zu setzen, so wie der Begriff über das Sprechen gesetzt wird. Wenn der besagte Fußballspieler das Erkennungszeichen der Grauen Wölfe ins Publikum und in die Kameras sendet, okkupiert er damit das Spiel, politisiert den persönlichen Triumph und sagt etwas Unsagbares: Die faschistische Bewegung soll mit der »türkischen Iden­tität« verschmelzen.

Bei den nonverbalen politischen Zeichen lassen sich drei Kategorien unterscheiden: Da wäre erstens das materielle Zeichen, also die Fahne, der Aufnäher, die Anstecknadel, das ­Abzeichen und so weiter. Nach der Verhaftung der Reichsbürger-Gruppe um den Prinzen Reuß wurden auf rechten Demonstrationen die Fahnen des »Fürstentums Reuß« geschwenkt. Das ist zwar schon historisch gesehen bescheuert, zeigt aber, wie man durch den indirekten Gebrauch von Zeichen eine politische Sprache ­generiert, die dem Zugriff von Polizei und Justiz entzogen ist.

Polizist und AfD-Kandidat im Thor-Steinar-Shirt

Zweitens zu nennen ist der Gebrauch von notierten und codierten Gegenständen wie Springerstiefeln, schwarze Hemden, Haarschnitten oder Tätowierungen. Der Polizist und AfD-Kandidat Torsten Czuppon soll 2017 an einem Seminar der KZ-Gedenkstätte Buchenwald zum Thema »Geschichtsrevisionismus und Holocaustleugnung« im Thor-Steinar-Shirt teilgenommen haben, wie in der Taz zu lesen war. Ein Musterbeispiel für provokative Codierungen (von der menschlichen Abscheulichkeit wollen wir gar nicht reden).

Geht gerade noDoppelherzchen von der Grünen-Politikerin Katharina Schulze, 2023

Geht gerade noch so als privat durch. Doppelherzchen von der Grünen-Politikerin Katharina Schulze, 2023

Bild:
picture alliance / SZ Photo / Catherina Hess

In die dritte Kategorie fällt das Handzeichen, das sich aus archaischer Vor- und Nebensprache (Handschlag als Friedensgeste) und aus »stiller« Kommunikation (die Jäger, die sich so verständigen, um das Wild nicht aufzuschrecken) zur ex­tremen Verdichtung kognitiver und emotionaler Aussage entwickelt hat (der gereckte Daumen als »Okay«-Zeichen, das derzeit inflationäre »Herz«-Zeichen und so weiter).

So wie sich das »textile« Zeichen auf den Körper übertragen lässt, kann auch der ganze Körper als »Haltung« zum Zeichen werden, wie es die AfD demonstriert: Die Verbeugung oder die Verweigerung derselben, Aufstehen oder Hinsetzen zu ­bestimmten Anlässen – die Rechten verstehen es perfekt, mit dem Einsatz solcher nonverbaler Aussagen die Würde und die Produktivität von parlamentarischen Institutionen zu stören.

Am Ende ist sogar Ge­genwart oder Abwesenheit (im politischen Raum) als Zeichen zu lesen. Zudem lässt sich hieran die Schnittmenge von Zeichen und Symptom erkennen: Ist etwa die Abwesenheit von Abgeordneten im Plenarsaal bei bestimmten Anlässen ein bewusst gesetztes Zeichen der Abwertung oder doch ein Symptom dafür, dass die wirkliche politische Arbeit woanders stattfindet oder auch gar nicht?

Kontroll- und Zensur­instanzen umgehen

Die Beliebtheit des nonverbalen Zeichens in der Medienmultiplikation ist technisch leicht zu erklären: Es ist die schnellste, direkteste und intensivste Art, eine Botschaft zu übermitteln. Sie kann eingesetzt werden, um Kontroll- und Zensur­instanzen zu umgehen. Und man kann einen hohen Grad an Lesbar­keit voraussetzen, auch wenn dieser durch den Gebrauch erst erzeugt wird.

Das Wolfszeichen, das der türkische Fußballspieler vor der Ka­mera geformt hat, musste einem Großteil der Zuschauerinnen und Zuschauern hierzulande als Erkennungszeichen der »Grauen Wölfe«, der faschistischen Organisation, die nicht überall in Europa auf der Verbotsliste steht, erst erklärt werden. Eine Sperre von zwei Spiele ist kein allzu hoher Preis dafür, ein ­politisches Zeichen im internationalen Mediengebrauch etabliert zu haben. Prompt geht dieses Zeichen nicht nur im Netz viral, sondern ­begegnet einem gehäuft auf der Straße. Und zwischen »türkischer Iden­tität« und »faschistischer Provokation« wird so ein Zeichen zum Gebrauch frei gesetzt, bis es sich in ein Zeichen faschistischer Identität ­verwandelt hat.

Trumps Faust stets in Schulterhöhe

Die Anverwandlung eines solchen Zeichens hat beispielhaft Donald Trump vorgeführt. Zu seinem gestischen Repertoire gehört seit längerem neben dem mussolinihaft vorgereckten Kinn die geballte Faust, ursprünglich schlichtes Droh- und Kraftzeichen. Wohl um die Kontrolle über dieses Zeichens zu signalisieren, erhob er die Faust stets in Schulterhöhe, so dass die Aspekte Gruß, Drohung und Identität in etwa ausgeglichen und »verhalten« erscheinen.

Dabei handelt es sich um ein ursprünglich linkes Zeichen, das den unbewaffneten Arm der Arbeit, der sich zum Kampf erhebt, symbolisiert. Die Faust, die insbesondere in der US-amerikanischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung gebräuchlich war, steht im völligen Widerspruch zur faschistischen Gestik der verti­kalen Armbewegung und der flachen Hand. Die geballte Faust war ein vom Feminismus bis zur Black-Power-Bewegung verwendetes Widerstandssymbol, bis sich die White-Power- und andere rechtsextreme Bewegung seiner zu bemächtigen begannen.

stilisierte Faust

War mal links: Hoch die Faust; später stand sie für Black Power 

Bild:
gemeinfrei

Heute kann jeder Depp seinen Hass-Post mit einem Faust-Emoji beenden. Trumps erhobene Faust ist also zunächst mehrdeutig, und in seiner »Verhaltenheit« sozusagen in einer semantisch-politischen Latenz, in der Entstehungsphase. Es ist, als warte diese Faust auf die »Explosion«, Kampf und Sieg, um sich vollends gen Himmel zu strecken. Dieser Augenblick kam überraschend infolge des versuchten Attentats auf Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung im US-Bundesstaat Pennsylvania am 13. Juli: Der durch einen Streifschuss am Ohr verwundete Trump kam wie einst Davy Crockett in Alamo mit Blut im Gesicht, aber, anders als jener, unversehrt aus der Deckung. Trump hatte überlebt, war unbesiegbar, triumphierte und reckte nun endlich die Faust in den Himmel über den USA.

Immer also gibt es zugleich einen Krieg der Körper (die Androhung und Ausführung von Gewalt), einen Krieg der Worte (die Besetzung, das Verbot, die Umdeutung und die Codierung von Begriffen und Sprachbildern) und einen Krieg der Zeichen, die nach Hegemonie (Quantität) und nach Verbindlichkeit (Qualität) streben. Und so wenig eine liberale, aufgeklärte Sprache gegen die basic speech der Rechtspopulisten ausrichten kann, so schwer tut sich eine von Zeichen besessene Gesellschaft, sich im Krieg der Zeichen gegen den Kulturkampf von rechts zu wehren. Es wäre wohl an der Zeit, etwas gegen unseren semantischen Analphabetismus zu tun.