Die US-Republikaner und Evangelikale weiten ihren Einfluss auf Schulen und Gesetzgebung aus

Kulturkampf mit der Bibel

Republikaner und konservative Christen versuchen verstärkt, Einfluss auf staatliche Schulen zu nehmen und Frauenrechte einzuschränken.

In den Vereinigten Staaten hat die christliche Rechte große Pläne: Das von dem konservativen Think Tank The ­Heritage Foundation vorgelegte »Project 2025« ist ein detaillierter Entwurf zur Neugestaltung der US-amerikanischen Exekutive, sollte Donald Trump die Präsidentschaftswahl im November gewinnen.

In dem fast 900seitigen Dokument, an dem verschiedene konservative Gruppen wie der neoliberale Think Tank The Heartland Institute beteiligt waren, geht es vorwiegend um die üblichen Anliegen: weniger Staat, niedrigere Steuern, interessanterweise aber auch sehr viel mehr Macht für die Exekutive.

Besonders bedenklich wird es bei den Themen Bildung und Erziehung, denn hier offenbart sich die eigent­liche Absicht. So wird unter anderem auf eine »Stärkung des Schutzes für glaubensbasierte Bildungseinrichtungen« gepocht, ebenso wie auf eine Abkehr vom Schutz queerer Schülerinnen und Schüler unter Title IX des »Education Amendment« von 1972, das Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bildungseinrichtungen verbot, die Bundesbeihilfen erhalten. Subtil ist »Project 2025« in dieser Hinsicht nicht gerade: »Kinder leiden unter einer toxischen Normalisierung der Transgender-Ideologie mit Drag Queens und Pornographie in ihren Schulbibliotheken«, so steht es im Vorwort zu lesen.

Seit der Oberste Gerichtshof der USA im Jahre 1963 eine strikte Trennung von staatlicher Bildung und privater Religionsausübung vorschrieb, sieht sich die christliche Rechte bedroht und unterjocht.

Schon seit Jahren versuchen Repub­li­kaner und konservative Christen, mehr Einfluss auf staatliche Schulen zu nehmen, da sie ihre Werte im Bildungswesen nicht zur Genüge reflektiert sehen. »Die Linke hat unsere Institutionen übernommen«, sagte Kevin D. ­Roberts, der Vorsitzende der Heritage Foundation, in einem Podcast-Interview am 7. Juli. Immer wieder wird auf einen vermeintlichen Konflikt zwischen der »radikalen Linken« und dem Rest des Landes verwiesen: »Wir befinden uns mitten in der zweiten Amerika­nischen Revolution«, so Roberts. Nachdem der Oberste Gerichtshof der USA im Jahre 1963 eine strikte Trennung von staatlicher Bildung und privater Reli­gionsausübung vorschrieb, sieht sich die christliche Rechte bedroht und ­unterjocht. Das soll sich ändern.

Der republikanische Bildungsminister von Oklahoma, Ryan Walters, lotet bereits juristische Grenzen aus. Am 28. Juni erließ er eine neue Regelung, der zufolge in jedes Klassenzimmer in Oklahoma eine Bibel gehört. Auch Bibelunterricht soll von nun an verbindlich sein: »Die Linken können beleidigt sein, sie können wütend sein, sie können sich aufregen«, so Walters bei seiner Bekanntmachung. »Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir vor dem Obersten Gerichtshof der USA gewinnen werden, wenn wir verklagt werden.« Mit dieser Aussage lässt Walters die Katze aus dem Sack – es geht ihm augenscheinlich vor allem um die culture wars, die hitzigen kulturellen ­Debatten in den USA über Reizthemen wie Abtreibung oder die Rechte queerer Menschen. Anscheinend legt es Walter darauf an, »die Linke« zu ärgern und einen Rechtsstreit zu provozieren.

Belastbare Mehrheit am Obersten Gerichtshof für christliche Rechte 

All das ist Teil einer neuen Strategie der christlichen Rechten. Als vor fast genau zwei Jahren, im Juni 2022, der Oberste Gerichtshof mit seinem Urteil im Fall »Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization« das bisherige bundesweite Recht auf Abtreibung kippte, wurde damit auch eine Botschaft an die amerikanischen Konservativen gesendet: Alles ist möglich. Denn mit Trumps Ernennung von drei stramm konservativen Bundesrichterinnen und -richtern war eine neue Ära angebrochen – die christ­liche Rechte hat nun eine belastbare Mehrheit am Obersten Gerichtshof – und wohl nicht nur dort: Trump hat insgesamt deutlich mehr Richter ernannt als jeder seiner Vorgänger in der jüngeren Vergangenheit.

Eine Reihe neuer Gesetze in konservativ geprägten Bundesstaaten reflektieren ein erstarktes Selbstbewusstsein: In Louisiana sollen beispielsweise von nun an die zehn Gebote in jedem Klassenzimmer ausgehängt werden, in »großer, leicht lesbarer Schrift«. Mit solchen Vorhaben signalisieren Politiker in erster Linie ihre kulturelle Zu­gehörigkeit. »Schulen sind zum Schauplatz zahlreicher moralischer und kul­tureller Konflikte geworden, und konservative Christen behaupten ihre politische Macht, auch wenn ihr Anteil an der amerikanischen ­Bevölkerung abnimmt«, schrieb die New York Times am 28. Juni.

Am schwersten wiegen die Restriktionen bei der Abtreibung, die das Dobbs-­Urteil möglich gemacht hat: »Derzeit sind in 14 der 50 US-Bundesstaaten fast alle Abtreibungen kriminalisiert, was 18 Millionen Frauen und Mädchen im reproduktiven Alter den Zugang verwehrt«, so die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Verschärfung des Scheidungsrechts

Selbst Scheidung ist nicht sicher: Die Nachrichten-Website Vox berichtete, dass immer mehr konservative Kommentatoren und Gesetzgeber für eine Verschärfung des Scheidungsrechts eintreten. So brachte in Oklahoma ein Staatssenator, Dusty Deevers, im Januar einen Gesetzentwurf ein, der Scheidungen nur noch in Ausnahmefällen erlauben würde. Die Republikanische Partei von Texas hat das Verbot von Scheidungen 2022 und 2024 in ihr Wahlprogramm aufgenommen.

Ebenso ist den Konservativen die gleichgeschlechtliche Ehe ein Dorn im Auge. Mit der Entscheidung des Obersten Bundesgerichts im Fall »Obergefell v. Hodges« im Jahre 2015 wurde die gleichgeschlechtliche Ehe in allen US-Bundesstaaten faktisch legalisiert. Allerdings beruht dies – wie zuvor »Roe v. Wade«, das seit 1973 das Recht auf Schwangerschaftsabbruch garantierte –, lediglich auf diesem Gerichtsurteil und ist von keinem vom Kongress verabschiedeten Gesetz abgesichert, weshalb die konservative Mehrheit am Gerichtshof das Urteil schnell wieder aufheben könnte.

Clarence Thomas, Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, hat in seiner Schrift zum Dobbs-Urteil vor zwei Jahren bereits angekündigt, man müsse sich auch »Obergefell v. Hodges« noch einmal ansehen: »Bei zukünftigen Entscheidungen sollten wir alle Präzedenzfälle dieses Gerichts zum materiellen Rechtsschutz (substantive due process), einschließlich Griswold, Lawrence und Obergefell, nochmals erwägen. Da jedes Urteil zum materiellen Rechtsschutz ›nachweislich fehlerhaft‹ ist, haben wir die Pflicht, ›den Fehler zu korrigieren‹, den diese Präzedenzfälle geschaffen haben«, so Thomas in seinem Kommentar zum Urteil vom 24. Juni 2022.

Für die Demokraten sieht es nicht gut aus

Im Fall »Griswold v. Connecticut« erkannte das Oberste Bundesgericht 1965 ein landesweites Recht auf Schwangerschaftsverhütung an, und in der Causa »Lawrence v. Texas« wurden 2003 alle homophoben »Anti-Sodomie-­Gesetze« diverser Bundesstaaten außer Kraft gesetzt. All das könnte also theoretisch in den kommenden Jahren »nochmals erwogen« werden. Sollten die ­Demokraten die Präsidentschafts- und Kongresswahlen im Herbst verlieren, könnte aus der Theorie schnell Praxis werden und zu weiteren rückschrittlichen Gesetzen führen.

Und für die Demokraten sieht es nicht gut aus. Nach Joe Bidens katastrophaler Fernsehdebatte Ende Juni mit seinem Konkurrenten Trump hat dieser bei den meisten Umfragen merklich Vorsprung. Vieles deutet derzeit auf ein Wahldebakel der Demokraten hin, sowohl ihres Präsidentschaftskandidaten als dadurch auch im Kongress, weil die Wähler immer weniger zum Splitten ihrer verschiedenen Stimmen neigen, sondern quasi die Kandidaten der Partei des von ihnen präferierten Präsidentschaftskandidaten wählen. In den Medien wird offen über einen anderen Spitzenkandidaten – oder eine Spitzenkandidatin – nachgedacht. Noch dürfte Biden die Mehrheit der Delegiertenstimmen auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten im August so gut wie sicher sein, falls er sich nicht selbst zu einem Rückzug entscheidet.

Und der ist felsenfest von sich überzeugt. Nur der »allmächtige Gott« könne ihn von seiner Kandidatur abbringen, so Biden in einem Interview mit dem Sender ABC News. Ein Wahlsieg Trumps ist zwar nicht unausweichlich, aber gut möglich. Ob in diesem Falle Trump tatsächlich das »Project 2025« verwirklichen würde, ist allerdings fraglich, bislang hat er sich dazu nur ausweichend geäußert. Auszuschließen ist es nicht. Trump, ein Hedonist und Lebemann, erfährt unter evangelikalen Christen enormen Zuspruch, obwohl er alles andere als ein bibeltreuer Christ ist. Er war in seiner ersten Amtszeit durchaus willens, die Anliegen konservativer Christen politisch durchzusetzen, und das weiß man zu würdigen – mit bedingungsloser Treue.