Der Heist-Film »Verbrannte Erde« von Thomas Arslan

Der Freelance-Räuber

14 Jahre musste man auf die Fortsetzung von »Im Schatten« warten, jetzt hat Regisseur Thomas Arslan den zweiten Film gedreht, der vom Berufskriminellen Trojan handelt. »Verbrannte Erde« ist ein von Jean-Pierre Melville inspirierter Heist-Film – und nur eine der vielen Arbeiten des Regisseurs, die derzeit in einer Werkschau in Berlin gezeigt werden.

Wer die Arbeit des Regisseurs Thomas Arslan in den vergangenen Jahren aufmerksam verfolgt hat, dürfte wissen, dass es sich bei dem Helden beziehungsweise Antihelden seines neuesten Films »Verbrannte Erde« um einen alten Bekannten handelt. Der Schauspieler Mišel Matičević kehrt nämlich nach 14 Jahren in seine Rolle als Gangster Trojan zurück. »Im Schatten« hieß der im Jahr 2010 veröffentlichte Auftaktfilm einer von Thomas Arslan geplanten Trilogie. Er endete mit einem missglückten Coup und damit, dass Trojan Berlin fluchtartig verlassen muss. In Arslans neuem Film »Verbrannte Erde« kehrt der stets methodisch und überlegt vorgehende Kriminelle zurück an die bewährte Wirkungsstätte.

Und zwar eben nach Berlin, in eine Stadt, die ihr Antlitz seit der letzten Begegnung verändert hat – und auch das berufliche Umfeld des auf Unabhängigkeit bedachten Outlaws hat sich gewandelt. Alte Bekannte aus der Halbwelt haben sich aus dem Verbrecher-Business zurückgezogen, Trojans berufliche Kontakte sind überschaubar geworden. Neu hinzugewonnene Kunden erweisen sich als unzuverlässig.

Fährt durchs veränderte Berlin: Der Räuber Trojan (Mišel Matičević) musste die Stadt vorher fluchtartig verlassen

Fährt durchs veränderte Berlin: Der Räuber Trojan (Mišel Matičević) musste die Stadt vorher fluchtartig verlassen 

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Gleich zu Beginn von »Verbrannte Erde« bleibt der Protagonist auf seiner Beute – eine Kiste teurer Uhren, erbeutet bei einem Villeneinbruch – sitzen, nachdem es zuvor den Versuch gegeben hatte, Trojan das Diebesgut ohne Bezahlung rabiat abzuluchsen. Eine ziemlich aussichtslose Lage, die den stets kalkulierenden Trojan zwingt, einen höchst risikoreichen Auftrag anzunehmen: einen Museumsraub.

Aus dem Depot einer Ausstellungsstätte soll er gemeinsam mit drei weiteren Profis, nämlich Diana (Marie Leuenberger), Luca (Tim Seyfi) und Chris (Bilge Bingül), ein berühmtes Gemälde von Caspar David Friedrich entwenden. Als Bezahlung lockt eine Millionengage, in Aussicht gestellt von einem anonymen Sammler. Die Geschichte scheint Trojan von Anfang an suspekt, doch aus der Not heraus nimmt er den Auftrag an.

Wer mit Thomas Arslan über seinen neuen Film spricht, merkt dem Berliner Filmemacher die Zuneigung an, die er für seinen kriminellen Antihelden empfindet.

Wer mit Thomas Arslan über seinen neuen Film spricht, merkt dem Berliner Filmemacher die Zuneigung an, die er für seinen kriminellen Antihelden empfindet. Arslan legt Wert darauf, dass seine Protagonisten nicht als Teil der organisierten Kriminalität wahrgenommen werden, wie er gegenüber der Jungle World ausführt: »Trojan ist einer, der auf eigene Rechnung arbeiten will. Natürlich braucht er dafür auch immer eine Form von Team, das ist jedoch immer nur temporär. Organisiert ist das Verbrechen, in das er verwickelt ist, nicht. Das Interessante an ihm ist, dass er das Arbeiten im Kontext des organisierten Verbrechens ablehnt. Die Mafia zum Beispiel ist ein Sozialverbund, den Trojan ablehnt, weil sie so viele Regeln hat und Vorgaben macht.« Bei Trojan handelt es sich um eine Art Freelancer, bei dem der finanzielle Aspekt seiner Existenz nur insofern im Vordergrund steht, als dass ihm Geld als ein Mittel zum Zweck erscheint, nämlich um seine Autonomie und persönliche Freiheit zu wahren.

Ihm geht es nicht darum, Reichtum anzuhäufen oder in eine Villa am Stadtrand zu ziehen. Trojans Existenz verbleibt stets im Übergang. Er bewohnt Hotelzimmer, die er häufig wechselt, besitzt so gut wie nichts und könnte eigentlich genauso gut ausschließlich in seinem Auto leben, mit dem er von einem Selbstständigen-Gig zum nächsten rast. Thomas Arslan formuliert es so: »Man kann sagen, dass es sich bei ihm – genregerecht – um eine zugespitzte Form der Freelancer-Existenz handelt. Trojan versucht, ein so selbstbestimmtes Leben wie möglich zu führen. Diese Daseinsform steht bei ihm aber kurz davor zu implodieren.«

Diebesbande. Trojans Kompagnons Chris (Bilge Bingül, v.r.), Diana (Marie Leuenberger) und Luca (Tim Seyfi)

Diebesbande. Trojans Kompagnons Chris (Bilge Bingül, v.r.), Diana (Marie Leuenberger) und Luca (Tim Seyfi)

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Für seinen Protagonisten hat Arslan sich an literarischen (Krimi-)Vorbildern wie den Figuren Parker in den Büchern von Richard Stark oder Wyatt in denen Garry Dishers orientiert, Romanreihen, die Arslan, so erzählt er, nicht aufhören kann zu lesen. Als filmische Inspirationsquellen dienten bei »Im Schatten« und »Verbrannte Erde« unter anderem Don Siegels »Charley Varrick« (1973) sowie »Thief« (1981) von Michael Mann. Auch die Heist-Filme von Jean-Pierre Melville haben es dem Berliner-Schule-Filmer angetan: besonders »Le Cercle rouge« (1970), bei dem ebenso ein Einbruchsgeschehen im Mittelpunkt steht, das minutiös geschildert wird.

Von jeher zeichnen sich Arslans Filme durch eine formale Strenge aus, die der Regisseur immer wieder geschickt aufzubrechen versteht. So ist seinen filmischen Arbeiten eine betonte Lässigkeit zu eigen, eine Coolness und Unvorhersehbarkeit, die bei aller Reduktion und Minimalismus nie zur bloßen Formelhaftigkeit verkommt. Gerne betont Arslan, dass seine Filme auch von Momenten leben, die nicht im Drehbuch stehen. Von den Blicken und Gesten seiner Schauspieler, von Bildern, die seine Drehorte dem Regisseur wie zufällig schenken, dem Durchqueren von Räumen, Städten, Landschaften.

Jeder neue Film von Arslan trägt eine ­eigene Handschrift

Dabei zeichnet Arslans Arbeiten eine große Unterschiedlichkeit aus. Angefangen mit seiner »Berliner Trilogie«, nämlich den zwischen 1997 und 2001 entstandenen Filmen »Geschwister«, »Dealer« und »Der schöne Tag«, die sich dem Leben der zweiten türkischen Migrantengeneration in Kreuzberg widmete, über das tschechowartige Beziehungsdrama »Ferien« (2007) bis hin zum Western »Gold« (2013), in dem Arslan sich mit deutschen Auswanderern beschäftigt, und seinem schlaflos durchwachten Vater-Sohn-Drama »Helle Nächte« (2017). Auch wenn bestimmte Themen wiederkehren und sich auch in der Zusammenarbeit mit bestimmten Schauspielern wie Serpil Turhan, Tuncel Kurtiz, Tamer Yiğit, Bilge Bingül oder Uwe Bohm eine gewisse Kontinuität zeigt, trägt jeder neue Film von Arslan auch eine ­eigene Handschrift.

Wer sich einen Gesamteindruck von Arslans Schaffen machen möchte, dem sei die parallel zum Kinostart von »Verbrannte Erde« laufende Werkschau »In Bewegung – Die Filme von Thomas Arslan« im Berliner »Arsenal« empfohlen, bei der neben den oben genannten Kinofilmen auch Lieblingsfilme des Regisseurs sowie dokumentarische Arbeiten wie Arslans Istanbul-Film »Aus der Ferne« aus dem Jahr 2006 zu sehen sein werden. Die »Arsenal«-Reihe wiederum findet parallel zu einer Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein statt, die sich auf den Stellenwert des städtischen Raums in Arslans Filmen konzentriert. Videoprojektionen, Storyboards und Archivmaterialien zeigen mitunter einen Wandel und Umbruch in Berlin, den Thomas Arslan auch in »Verbrannte Erde« thematisiert: »Die Stadt hat sich in den letzten 15 Jahren drastisch verändert. Es ist nicht besonders originell, das festzustellen, aber die Gentrifizierung hat viel mit Berlin gemacht. Im Film ist das alles eher Subtext. Ich wollte es nicht explizit behandeln. Aber all das schafft eine bestimmte Atmosphäre in der Stadt, die wesentlich abweisender und unwirtlicher ist, als es einmal war.«

Regisseur Thomas Arslan (62)

Regisseur Thomas Arslan (62)

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Zwei Drittel des Films spielen in der Nacht, an äußerst unbehaglichen Orten. Bildsprachlich kommt »Verbrannte Erde« dabei im Look eines modernen Film Noir daher. Einige der Dialogsätze könnten direkt aus einem Hardboiled-Roman stammen. »Ich will das Gemälde. Und ich werde diese Scheißer nicht bezahlen«, hört man den ominösen Auftraggeber des Museum-Coups in »Verbrannte Erde« sagen. Für Trojan und seine Kompagnons verheißt das freilich nichts Gutes. Als körperbetonter Gesandter des Auftraggebers rückt den Komplizen Trojan, Diana, Luca und Chris bald schon Victor (Alexander Fehling) zu Leibe. Systematisch und bedrohlich macht er in Trojan seinen Erzfeind aus, um ihn rücksichtslos zu verfolgen. Das vollkommene Schweigen der beiden Männer bei einem Telefonat klärt unmissverständlich die Fronten. Thomas Arslan zeigt sich in diesen Szenen einmal mehr als meisterlicher Könner einer Choreographie der Blicke und fast unscheinbaren Gesten jenseits der großen filmischen Knalleffekte.

Auf das Wesentliche konzentrierter Genre-Film

Den Showdown zwischen beiden Männern, auf den »Verbrannte Erde« mit Spannung zusteuert, fasst Thomas Arslan in einfache Bilder, die im Einklang mit den präzisen Schauspielleistungen stehen. Dem Regisseur gelingt ein auf das Wesentliche konzentrierter Genre-Film, fast schon ein reduziertes Genre-Skelett, das seinen erzählerischen Sog aus etwas Unausgesprochenem zwischen seinen Figuren bezieht. Ein unheimlicher drive, der vor allem den Protagonisten Trojan antreibt und ihn bis zum Äußersten gehen lässt. Untermalt wird das Ganze kongenial von den atmosphärischen Synthie-Klängen des Komponisten Ola Fløttum, die bis zum Höhepunkt des Films auf beklemmende Weise anschwellen.

Mit »Verbrannte Erde« gelingt Regisseur Thomas Arslan ein Film, dessen unheilvolle Atomosphäre sich im Bewusstsein seiner Zuschauer lang anhaltend festsetzt. Abermals 14 Jahre wird das Publikum auf die Fortsetzung und den Abschluss der Trojan-Trilogie nicht warten müssen. Arslan arbeitet nach eigener Aussage bereits am Folgefilm von »Verbrannte Erde«.

Verbrannte Erde (D 2024). Buch und Regie: Thomas Arslan. Darsteller: Mišel Matičević, Marie Leuenberger, Alexander Fehling, Tim Seyfi, Bilge Bingül, Marie-Lou Sellem

Die Werkschau »In Bewegung – Die Filme von Thomas Arslan« läuft noch bis zum 4 August im Kino Arsenal in Berlin.

Die Ausstellung »Thomas Arslan« im Neuen Berliner Kunstverein läuft ebenfalls noch bis zum 4. August.