Studierende in Bangladesh protestieren gegen eine Quotenregelung für die Vergabe staatlicher Arbeitsplätze

Kampf gegen die Quote

Eine studentische Protestbewegung in Bangladesh fordert, bei der Vergabe von staatlichen Arbeitsplätzen Nachkommen von Kämpfern des Unabhängigkeitskriegs nicht länger zu bevorzugen.

Einmal mehr erschüttern Massenproteste Bangladesh. Diesmal, seit Anfang Juli, sind es Studierende aller großen Universitäten in dem immer autoritärer regierten Land, die zu Zehntausenden auf die Straßen gehen, um gegen eine Quotenregelung zu protestieren, die 30 Prozent der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst für Nachkommen von Kämpfern aus dem Unabhängigkeitskrieg 1971 reserviert. 2018 hatte die Regierung diese Regelung nach früheren Studierendenprotesten abgeschafft; eine ähnliche Quotierung hatte es seit der kriegerisch erkämpften Unabhängigkeit des Landes von Pakistan gegeben. 1997 hatte die Regierung auch die Nachkommen von freedom fighters in den Genuss der Arbeitsplatzquotierung gebracht. Ein umstrittenes Gerichtsurteil hat nun ihre Wiedereinführung angeordnet.

Die 2018 per Rundschreiben verfügte Aufhebung aller Quoten (bis dahin insgesamt 56 Prozent unter anderem auch für ethnische Minderheiten und Frauen) sei »verfassungswidrig, illegal und ineffektiv« gewesen, so der Kernsatz in dem inzwischen in voller Länge von 27 Seiten veröffentlichten Urteil des High Court. Mit dieser Entscheidung der aus den Richtern K. M. Kamrul Kader und Khizir Hayat bestehenden Kammer vom 5. Juni will sich die studentische Jugend des südasiatischen Landes aber nicht zufriedengeben.

Der jungen Generation scheinen die Quoten, die den Zugang zum öffentlichen Dienst einschränken, antiquiert. Die Protestierenden fordern, Arbeitsplätze anhand von Leistungskriterien zu vergeben.

Vor allem in Reaktion auf eine öffentliche Erklärung von Premierministerin Sheikh Hasina Wazed, die am Sonntagnachmittag die Wiedereinführung der Quote befürwortet hatte, versammelten sich erneut Studierende unter anderem der University of Dhaka, der größten Hochschule der Hauptstadt, sogar noch zu mitternächtlicher Stunde. Aus verschiedenen Gebäuden hatte es schon seit etwa 22 Uhr abwechselnde Protestchöre von Gruppen gegeben, berichtete die Dhaka Tribune. Gegen 23.30 Uhr seien die Massen schließlich an zentraler Stelle im Hof zusammengeströmt. Auch Aktivist:innen anderer Hochschulen des Landes wie der Comilla University, der Rajshahi University oder der University of Chittagong schlossen sich an.

Nicht zuletzt mit Hilfe des großen Nachbarn Indien hatte Bangladesh (der Name bedeutet »Land der Bengalen«), vormals Ostpakistan, Ende 1971 endlich seine Eigenstaatlichkeit unter diesem Namen erringen können – der Kampf gegen die westpakistanische Armee und einheimische Kollaborateure, die oftmals noch brutaler zu Werke gingen als die regulären Soldaten, forderte einen hohen Blutzoll. Eine Reservierung von 30 Prozent der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst – beispielsweise Polizisten und Verwaltungsbeamte werden vergleichsweise gut entlohnt – für diejenigen, die offiziell als Freiheitskämpfer eingestuft wurden (seit 1997 auch deren Kinder und Enkel), gehörte zum Grundkonsens des neuen Staats.

Sheikh Hasina goss Öl ins Feuer

Die unter Hasina seit 2009 herrschende linksliberale Awami-Liga (AL) sieht sich in besonderer Weise diesem Erbe verpflichtet. Schließlich wird Hasinas Vater, Sheikh Mujibur Rahman, der erste Präsident des unabhängigen Staats, bis heute als »Vater der Nation« verehrt. Der jungen Generation aber scheinen die Quoten, die den Zugang zum öffentlichen Dienst einschränken, antiquiert. Die Protestierenden fordern, Arbeitsplätze anhand von Leistungskriterien zu vergeben.

Sheikh Hasina hatte mit einer Äußerung bei einer Pressekonferenz am Sonntag noch Öl ins Feuer gegossen. »Wenn die Enkel der Freiheitskämpfer nicht von der Quote profitieren, werden diese Stellen dann an die Enkel der Razakars gehen? Das ist meine Frage und die vieler Landsleute.« Mit Razakars (ein ursprünglich aus dem Persischen stammender Begriff, wörtlich Freiwillige) sind die 30.000 bis 40.000 Angehörigen jener paramilitärischen Verbände gemeint, die vor allem ab Mitte 1971 die westpakistanische Armee dabei unterstützten, mutmaßliche bengalische Nationalisten aufzuspüren und festzunehmen, aber auch bei strategischer Gebäudesicherung und anderen Maßnahmen halfen. Sie rekrutierten sich aus propakistanischen Gruppierungen wie der islamistischen Organisation ­Jamaat-e-Islami, die 1941 noch in Britisch-Indien gegründet worden war, aber auch vielen in den Koranschulen indoktrinierten Jugendlichen. Viele der Razakars sollen an schweren Menschenrechtsverletzungen wie Folter von Verhafteten beteiligt gewesen sein – noch heute ist der Begriff im Land ein Synonym für Verräter.

Der Supreme Court des Landes besteht aus zwei Abteilungen: Dem High Court, der Urteile fällt, und dem Berufungsgericht, das sie gegebenenfalls prüft. Das Berufungsgericht hat eine Anhörung für den 7. August anberaumt, danach wird es endgültig über die Sache entscheiden. Bis dahin ist das Urteil des High Court nicht wirksam. Hasina sieht in dieser Angelegenheit keine eigene politische Handhabe – das Ganze sei eine Sache der Gerichte, sagte sie. Die Studierenden, die eine Sondersitzung des Parlaments zur Einleitung einer Reform der Quoten fordern, sehen das allerdings anders.

Mit Schlagstöcken und Gummigeschossen gegen Studierende

Unmut herrscht teilweise sogar unter den Nachwuchskadern der regierenden Partei. Am Sonntag erklärten drei ranghohe Anführer der Bangladesh Chhatra League (BCL), der AL-Studierendenvereinigung, an der University of Dhaka ihren Rücktritt. In Chittagong hingegen hatten BCL-Vertreter Protestierende tätlich attackiert. »Unsere Bewegung ist logisch und demokratisch, aber wir erlebten Polizeigewalt. Wir fordern, dass die Angreifer zügig identifiziert und zur Rechenschaft gezogen werden«, zitierte die Zeitung The Daily Star Abu Sayeed, einen der Anführer der Proteste. Ordnungskräfte waren in den zurückliegenden Tagen teilweise mit Schlagstöcken und Gummigeschossen gegen die Studierenden vorgegangen, vor allem als diese am 11. Juli zentrale Kreuzungen der 15 Millionen Ein­woh­ne­r:in­nen zählenden Metropole Dhaka und die anderer Großstädte blockiert hatten.

Der High Court beruft sich in seiner Entscheidung auf ein früheres Gerichtsurteil von Ende 2012, das die Quoten sozusagen für sakrosankt erklärt hatte. Bis 1976 waren sogar noch 80 Prozent der staatlichen Arbeitsplatzvergaben quotiert. Auch die studentischen Aktivist:innen fordern keine komplette Abschaffung der Quoten, sondern wollen unter anderem beibehalten, dass fünf Prozent der Arbeitsplätze für Angehörige benachteiligter, beispielsweise indigener Bevölkerungsgruppen reserviert sind.