Tocotronics Album »K.O.O.K.« erschien vor 25 Jahren

Wie man das Unglück zurückschlägt

Vor 25 Jahren erschien »K.O.O.K.«, das fünfte Album von Tocotronic. Es besiegelte nicht nur das Ende der Hamburger Schule, sondern brachte den Indie-Rock der USA nach Deutschland – und mit ihm allerlei Posen und Gesten, die von Lässigkeit, Ironie, aber auch Melancholie geprägt waren.

In einer mittelgroßen Stadt irgendwo in Deutschland erzählte man sich zumindest vor einigen Jahren eine urbane Legende, und die geht so: Zwei beste Freunde gingen irgendwann um die Jahrtausendwende auf ein Konzert. Die beiden Jungs, die mehr oder weniger gerade angefangen hatten zu studieren und wohl am ehesten dem Typus intellektueller Rumhänger entsprachen, schauten sich an diesem Abend die Band Tocotronic an. Politisch verstanden sich die beiden, persönlich verstanden sie sich, und was ihren Musikgeschmack anging, passte zwischen die beiden eigentlich auch kein Blatt.

Doch nicht so an diesem Abend: Während der eine die neuen Songs der Hamburger Band extrem gut fand, war der andere gekommen, um sich die missgelaunten, kurzen, schnellen und ruppigen Punk-Songs anzuhören, die Toco­tronic bis dahin auf ihren vier seit 1995 erschienen Alben zumeist gespielt hatten. Aus dem Streit zwischen den beiden entwickelte sich schließlich eine Rauferei im Zuschauerraum: Man prügelte sich,und zwar wegen Musik.

Ob diese Geschichte sich nun wirklich so zugetragen hat, ist gar nicht mal so wichtig, denn sie bringt so oder so sehr exakt auf den Punkt, wie das vor 25 Jahren am 26. Juli 1999 veröffentlichte Tocotronic-Album »K.O.O.K.« aufgenommen wurde. Für die einen war es eine konsequente und interessante Weiterentwicklung ihres Sounds, der andere Teil des Pu­blikums aber hielt »K.O.O.K.« für Verrat am Punk, für zu bemüht, zu kompliziert, für »unsympathisch und überheblich« (Visions), schlicht für zu erwachsen (Laut.de).

Ruhm und Geld waren bestimmt nicht die Motive, weswegen sich Tocotronic dazu entschlossen, keine kurzen, schnellen, mit Hass gesprenkelten Songs mehr zu spielen: Nur Hass sei »langweilig«, man bediene damit nur eine Erwartung, so die Band. 

»Jungen Leuten gefiel es nicht – und den Feuilletonisten«, erzählte Bassist Jan Müller kurz nach der Veröffentlichung Charlotte Roche in ihrem Fernsehmagazin »Fast Forward« auf dem Musiksender Viva Zwei. »Wenn denen die Musik, die wir früher gemacht haben, besser gefällt – ist ja alles gebannt auf Platte und CDs, da kann man das ja hören«, ließ er etwas genervt die Zuschauer des deutschen MTV wissen. 

Was den Hörern wohl auch ein Dorn im Auge (und im Ohr) gewesen ist: dass sich Tocotronic mit »K.O.O.K.« an den US-amerikanischen Indie-Rock annäherten, namentlich an die Band Pavement, die sich seit ihrer Gründung 1989 einen Namen als ostentativ nerdige Rumhänger, weirde Loser und sensible Weicheier gemacht hatten. Schon der Albumtitel geht in die Richtung: K.O. zu sein ist in Ordnung, und kook ist das englische Wort für »Spinner«, der Titeltrack des Albums wurde nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch gesungen. Es entstand sogar eine ganze Version des Albums, für die alle Texte ins Englische übersetzt wurden und in Europa und den USA in den Handel kam.

Annäherung an den US-Indie-Rock

Doch natürlich ging die Annäherung an den US-Indie-Rock noch weiter und drehte sich vor allem auch um das Musikalische: Ruhiger und melodischer waren die Stücke nun, rätselhaft und gar nicht mehr so wütend die Songtexte (statt vom »Ich« war hier jetzt vielmehr vom »Wir« die Rede; die Songs wurden zu kleinen Geschichten, die von fiktiven Figuren vorgetragen wurden, wie Schlagzeuger Arne Zank einmal ausführte), was ­natürlich die unfassbar dämliche Diskussion ­entfachte, ob Tocotronic sich jetzt dem »Kommerz« hingegeben hätten. Tatsächlich ­erschien »K.O.O.K.« auf dem Hamburger Indie-Label L’Age d’Or, war aber doch das bis dato ­zumindest in den deutschen Charts erfolgreichste Album der Band, stand zeitweise sogar auf Platz sieben. 

Doch Ruhm und Geld waren bestimmt nicht die Motive, weswegen sich Tocotronic dazu entschlossen, keine kurzen, schnellen, mit Hass gesprenkelten Songs mehr zu spielen (und selbst wenn, wieso sollte man es ihnen verübeln?): Nur Hass sei »langweilig«, man bediene damit nur eine Erwartung, so die Band, diesmal im Gespräch mit Markus Kavka in der Viva-Zwei-Sendung »2Rock«.

Um den Erwartungen an sich zu trotzen, mussten Tocotronic auch mit ihrer eigenen Szene brechen: Einen bestimmten Soundfundus hatte sich die Hamburger Schule eh nie geteilt, sie war eher ein loser Zusammenhang aus Bands gewesen, die ästhetisch und politisch an ­ähnlichen Strategien interessiert waren.

Sie legten die berühmten Sportjacken ab

Musikalisch war aber doch Ende der Neunziger alles sehr aufgeräumt: Die Sterne machten Funk, Blumfeld wurden schlager­esk, Die Goldenen Zitronen hatten sich einem Techno-Agit-Pop verschrieben – warum sollten Tocotronic darin weiter die Rolle der rüpelhaften, wenn auch netten Punker-Jungs spielen, die ihnen nun blieb? Ihre berühmten Sportjacken legten sie ab (man trug jetzt lieber schwarze Hemden wie Mark E. Smith von The Fall, der Lieblingsband – wohlgemerkt eine Post-Punk-Band – von Sänger und Gitarrist Dirk von Lowtzow) und besiegelten damit das Ende dessen, was man Hamburger Schule nennt. 

Das aber als Resignation oder Kommerzialisierung zu verstehen, ist dumm – tatsächlich war dieser Zug einer, der die Radikalität der Bandmitglieder von Tocotronic erst so richtig hervortreten ließ. Der ganz offensichtliche radikal klingende Punk war von der Musik in die Gesten gerutscht, in die Außendarstellung, in eine groß zur Schau ­gestellten Verneinung und Ironisierung von allem, was einem über den Weg lief.

Wenn Kavka die Band fragt, ob sie mit der hohen Chartplatzierung gerechnet hätten, sagt Jan Müller schelmisch wie aus der Pistole geschossen »Ja!«, wenn Charlotte Roche sie fragt, ob es in ihrer Musik Humor gebe, kontert wieder Müller mit einem »Nein!«, das die ganze Band zum Lachen bringt. Es ist das Prinzip Negation, dem hier gefrönt wird, aber eben auf eine »lässige« Art, eben wie das die Bands aus den USA machten, wie Schlagzeuger Arne Zank damals verriet. 

Rick McPhail erweiterte die musikalischen Möglichkeiten

Bei den Aufnahmen, die zum großen Teil in Frankreich im Studio Black Box gemacht wurden, kann man das genau beobachten. Das Studio war von Iain Burgess gegründet worden, einer wichtigen Figur der Post-Punk-Szene in Chicago, der zum Beispiel Steve Albinis Band Big Black aufgenommen hatte. 

Während der Studiosessions wurde mitgefilmt, die Aufnahmen, aus denen danach ein kleiner Dokumentarfilm entstand, zeigen Lowtzow, bekleidet mit einem Sonic-Youth-T-Shirt, wie er sich Bänder anhört und kundtut: »Das, was ich spiele, ist schon sehr nah dran an so ’ner Pavement-Art.«

Von den Streichern und vor allem den Bläsern (das Flügelhorn, das Waldhorn und die Klarinette sind zu hören) kann man das zwar nicht behaupten, aber so neu war das für Tocotronic wiederum nicht, auf dem Album vor »K.O.O.K.«, nämlich auf dem 1997 erschienenen »Es ist egal, aber«, hatte es bereits Streicher-Arrangements gegeben.

Die vielen neuen In­strumente auf der Platte sollten dabei helfen, die Trio-Formation und deren eingeschränkte musikalische Möglichkeiten etwas auszuweiten, und das geschah dann auch ganz praktisch, denn für die Tournee 2000 heuerte man Rick McPhail als Roadie und Begleitmusiker an, der dann schließlich 2004 zum festen, vierten Mitglied der Band wurde. 

»Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut«

Politisch gab man sich ebenfalls extrem lässig und cool, was ebenso zu so gewitzten wie radikalen Gesten führte: Wenn Charlotte Roche im Interview fragt, was denn die »döfsten« Interpretationen des Videos zur Single »Let There Be Rock« (das berühmte Stück, dass mit der Fanfare aus Europes »The Final Countdown« beginnt) gewesen seien, fallen der Band zwar keine ein, aber Lowtzow erinnert sich, dass über das Lied selbst einmal gesagt wurde, es sei »ein Lied gegen die EU-Politik«, was er mit einem großen Lachen quittiert.

Auch in einem anderen Interview äußerte er sich zu dem Song: »›Let There Be Rock‹, das ist schon ein politisches Stück eigentlich. Na ja, so wie es bei uns halt ist, soweit es das bei uns geben kann.« Diese Ironisierung des Politischen speist sich aus der Tatsache, dass Tocotronic selbstverständlich aus politisch denkenden Menschen bestehen, sie aber eben auf »K.O.O.K.« nicht agitieren, kein Interesse daran haben, irgendwelche Losungen auszugeben, und das immer wieder klar signalisieren.

Albumcover »K.O.O.K.«

Spacig. Das Cover von Tocotronics Album »K.O.O.K.« hat der Künstler Chris Foss mit einem Raumschiff illustriert

Bild:
Archiv 2. Juni

Auf dem Bizarre-Festival 1999 kündigte Lowtzow »Let There Be Rock« mit den Worten an, dieser Song sei »selbstverständlich auch antisexistisch, antikapitalistisch, antifaschistisch und der ganze Pipapo«. Statt mit eindeutigen Slogans zum Mitgrölen sah sich das Publikum nun mit pessimistisch-galligen Zeilen wie »Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut« konfrontiert. 

Das Movens der Band ist hier eines, das man der Künstlerkritik zurechnen kann, einem Begriff, der ebenfalls 1999 von den Sozialwissenschaftlern Luc Boltanski und Ève Chiapello in ihrem Buch »Der neue Geist des Kapitalismus« geprägt wurde. Dieser beschreibt eine ästhetische Kritik am Kapitalismus, der nicht nur Autonomie verhindere, sondern auch Langeweile produziere. Und genau das wird auf »K.O.O.K.« immer wieder und dann auch sehr deutlich besungen: die Spießigkeit, die Begrenzungen, das Immergleiche. »Morgen wird wie heute sein« heißt ein Song, in »Die neue Seltsamkeit« wird unheilvoll ein kommender Aufstand besungen, an dem aber wohl eh niemand teilnehmen wird, denn »man habe ja auch noch den Hund zu versorgen«.

Dass »K.O.O.K.« damals als Doppel-LP veröffentlicht wurde, erhärtet den Verdacht, dass man es hier mit einem Konzeptalbum zu tun hat, doch das Album ordnet sich nicht selbst einem Konzept unter, sondern Tocotronic machen konzeptuelle, vielleicht sogar paradigmatische Musikstücke, die nicht nur das Ende der Hamburger Schule markierten, sondern vielleicht den »Rock als ernst gemeinte Rebellion« verabschiedeten.

Ein Titel wie »Das Unglück muss zurückgeschlagen werden« spricht für sich selbst. Und nicht mal mehr die Musik verspricht noch etwas, denn der Text des Songs »Rock Pop in Concert«, in dem geschildert wird, wie sich Leute »scheinbar unbeschwert« die ZDF-Konzertreihe mit demselben Namen anschauen (bei der neben ziemlich vielen schrottigen Bands eben auch die Talking Heads, Leonard Cohen, Roxy Music und Talk Talk auftraten), wird von Lowtzow mit den Worten »Wir werden immer einsam sein« beschlossen. 

Dass »K.O.O.K.« damals als Doppel-LP veröffentlicht wurde, erhärtet den Verdacht, dass man es hier mit einem Konzeptalbum zu tun hat, doch das Album ordnet sich nicht selbst einem Konzept unter, sondern Tocotronic machen konzeptuelle, vielleicht sogar paradigmatische Musikstücke, die nicht nur das Ende der Hamburger Schule markierten, sondern vielleicht, wie es der Autor Oliver Nickel einmal schrieb, den »Rock als ernst gemeinte Rebellion« verabschiedeten – stattdessen ergab man sich in Posen, die halt übrigbleiben (und denen Die Sterne mit »Posen« 1996 bereits ein ganzes Album gewidmet hatten). Das Lied »Tag ohne Schatten« zum Beispiel war das erste Instrumentalstück der Band, im darauffolgenden Stück »Das Geschenk« dauert es geschlagene drei Minuten und 20 Sekunden, bis Lowtzow überhaupt anfängt zu singen. Wohl ein guter Witz über die Bezeichnung als »Diskursrocker«, einfach gar nicht zu singen. 

Wenn allerdings Rock wirklich tot ist und diese Band eine subversive und durch und durch von Melancholie geprägte Scheibe darüber aufnehmen wollte, sieht man sich dennoch mit einer Art Dialektik konfrontiert, wenn nämlich Dirk von Lowtzow in »Let There Be Rock« am Ende quasi darum bettelt, Rock möge jetzt doch »Nur noch eine Stunde / Nur noch einen Tag« weitergehen. Man will ihm zustimmen – verflixt noch mal.