Von Südafrika nach Basel: Die sehenswerte Schau »When We See Us«

Titel, Thesen, Figurationen

Die sehenswerte Ausstellung »When We See Us« im Kunstmuseum Basel zeigt Kunst aus Afrika und der afrikanischen Diaspora vom frühen 20. Jahrhundert bis heute.

Ein Highlight dieses Kunstsommers ist die in Basel gezeigte Ausstellung mit dem von einer Netflix-Serie in­spirierten Titel »When We See Us«. Etwas vollmundig verspricht der Unterteil der Kunstschau »100 Jahre panafrikanische figurative Malerei«. Aber natürlich können 150 Werke den riesigen geographischen und zeitlichen Rahmen gar nicht repräsentieren. Zudem bleibt der Bezug auf den historischen Begriff »Pan­afrikanismus« widersprüchlich. Trotzdem ist die Schau sehenswert.

Die international renommierte Kuratorin Koyo Kouoh, Direktorin des Zeitz Museum of Contemporary Art Africa im südafrikanischen Kapstadt, und ihre Kuratorenkollegin Tandazani Dhlakama haben diese einzigartige Ausstellung in Südafrika konzipiert. Die Kuratorinnen haben auf dem gesamten Globus Werke von 120 Künstlern und Künstlerinnen aus Afrika oder afrikanischer Herkunft ausgesucht und nach thematischen Gruppen geordnet: »Alltag«, »Freude und Ausgelassenheit«, »Ruhe«, »Sinnlichkeit«, »Spiritualität« sowie »Triumph und Emanzipation«.

Der deutsche Untertitel der Ausstellung »100 Jahre panafrikanische figurative Malerei« ist irreführend, da sich die Kuratorinnen deutlich vom ­Panafrikanismus abgrenzen.

Nachdem die Schau bereits in Kapstadt gezeigt wurde, ist sie nun bis Ende Oktober in Basel zu sehen, der ein­zigen Station in Europa. Im Mittelpunkt steht dabei laut Kouoh das Anliegen, »den zahllosen Verbindungen zwischen den geographischen Räumen Schwarzer Kultur nachzuspüren, um die Praktiken der Gegenwartskunst in ihrer ganzen Breite zu erfassen und andere für das Problem einer rassifizierenden Essentialisierung zu sensibilisieren, das sich ergibt, wenn man Blackness vornehmlich auf Afrika beschränkt«.

Der deutsche Untertitel der Ausstellung ist also irreführend, da sich die Kuratorinnen deutlich vom ­Panafrikanismus abgrenzen. Zwar beginnt der Einführungstext von Kouoh mit einem Zitat aus Kwame Nkrumahs Abhandlung »The Class Struggle in Africa« aus dem Jahr 1970, in dem der wohl einflussreichste Panafrikanist und ehemalige ­Präsident Ghanas (1960–1966) das Konzept der Nationalstaaten für Afrika für irrelevant erklärt.

»A Century of Black Figuration in Painting«

Doch einige Seiten weiter wendet sich Kouohs Kollegin Dhlakama strikt gegen den Panafrikanismus, da dieser Gefahr laufe, »die Frage von race ungebührlich zu vereinfachen, wenn er die historischen Bindungen zum geopolitischen Raum Afrika einseitig herausstellt«. Stattdessen wolle man mit einem »möglichst breiten Verständnis von Blackness und Afrikanität operieren.« Der ursprüngliche englische Untertitel der Schau, »A Century of Black Figuration in Painting«, scheint die These der Kuratorinnen, es gebe so etwas wie eine »Black ­Figuration« in der Kunst, besser wiederzugeben.

Um diese These anschaulich zu machen, sind die Gemälde nicht nach den Kriterien von Nationalität, Epochen und künstlerischen Schulen geordnet. Einen Hinweis auf das Anliegen der Kuratorinnen gibt der Bezug auf die Netflix-Serie »When They See Us« (2019) der afroamerikanischen Regisseurin Ava DuVernay, die davon handelt, wie schwarze Teenager als bedrohlich und kriminell angesehen werden. Die Änderung im Ausstellungstitel – von »They« zu »We« – steht für einen selbstbewussten Perspektivwechsel.

Die Rolle von Frauen in der Ausstellung

Interessant ist die Rolle, die Frauen in der Ausstellung einnehmen, nicht nur als federführende und beteiligte Kuratorinnen in Kapstadt und Basel, sondern auch als Modelle und Kunstschaffende. Über weite Strecken ­dominieren weibliche Figuren das Erscheinungsbild der Ausstellung. Es gibt Gruppendarstellungen von Frauen, Porträts und Akte.

Auch der Anteil der Künstlerinnen ist mit einem Drittel respektabel. Dies könnte ­bedeuten, dass sich die Entwicklungsmöglichkeiten von Künstlerinnen im heutigen Afrika verbessert haben. Allerdings zeigt der genaue Blick auf die Lebensläufe, dass es sich bei gut der Hälfte der Beteiligten um US-amerikanische und britische Künstlerinnen handelt.

Letztlich handelt es sich nicht um eine repräsentative Überblicksausstellung zur Geschichte und Gegenwart afrikanischer Kunst, sondern um eine klassische Thesenausstellung, die die Kunst benutzt, um eine akademische Idee zu belegen. 

Viele jüngere Künstlerinnen, die in Afrika geboren wurden, leben in westlichen Metropolen und arbeiten dort an ihrer Karriere. Ein afrikanischer Kunstmarkt beziehungsweise akademischer Kunstbetrieb scheint immer noch in den Anfängen zu stecken, und für Frauen scheint der Weg zur Künstlerinnenkarriere weiterhin steinig zu sein. Noch fehlen in Afrika breite Mittel- und Oberschichten, die afrikanische Kunst sammeln oder die Kunstakademien frequentieren.

Letztlich handelt es sich nicht um eine repräsentative Überblicksausstellung zur Geschichte und Gegenwart afrikanischer Kunst, sondern um eine klassische Thesenausstellung, die die Kunst benutzt, um eine akademische Idee zu belegen. Aber auch nach dem Besuch der Ausstellung bleibt nebulös, was eine »Black Figuration« sein könnte. Die Kunstwerke spiegeln die Vielfalt afrikanischer, nordamerikanischer, karibischer, lateinamerikanischer und letztlich auch europäischer Lebenswelten und Traditionen. Es entsteht ein Mosaik mit Elementen aus drei Kontinenten.

Aber wo sind die Gemeinsamkeiten und Verbindungen? Sie sind für die Ausstellungsbesucher kaum nachzuvollziehen, zumal die einzelnen Bildmotive und künstlerischen Biographien nicht erläutert und kontextualisiert werden. Es fällt also schwer, der These der Kuratorinnen zu folgen. Gibt es überhaupt eine spezifische »Schwarze« Methode, Menschen, Tiere und Landschaften darzustellen? Und wäre die Vorstellung, beziehungsweise der Wunsch, es gäbe eine spezifische »Schwarze Art« zu malen, nicht auch essentialistisch und damit politisch problematisch?

Im Gegensatz zur vielen anderen mit »Blackness« befassten Ausstellungen, die das Leid am Rassismus oder die historische Unterdrückung thematisieren, soll hier die Opferrolle überwunden und kulturelles Selbstbewusstsein manifestiert werden. Der wohlwollende Blick in den Spiegel, die Ode an »Black Joy«, sei an sich schon politisch, schreiben die Kuratorinnen.

Im Gegensatz zur vielen anderen mit »Blackness« befassten Ausstellungen, die das Leid am Rassismus oder die historische Unterdrückung thematisieren, soll hier die Opferrolle überwunden und kulturelles Selbstbewusstsein manifestiert werden. Der wohlwollende Blick in den Spiegel, die Ode an »Black Joy«, sei an sich schon politisch, schreiben die Kuratorinnen. Dies leuchtet durchaus ein.

Die Ausstellung ist laut, bunt, selbstbewusst, lückenhaft, klischeebehaftet und hochgradig »instagrammable« – etwa durch die Präsenz der afroamerikanischen Trendkünstler Kehinde Wiley, Devan Shimoyama und Barkley L. Hendricks. Qualitativ ist die unter anderem von Gucci gesponserte Schau äußerst heterogen. Eine Unterscheidung von Hochkunst und Alltagskultur, eine Definition von Kunst beziehungsweise Kunsthandwerk bleibt sie schuldig. 

unstwerke aus drei Kontinenten hängen nebeneinander, Arbeiten von akademisch ausgebildeten Künstlerinnen neben Artefakten von Autodidakten und kommerziellen Schildermalern. Manche Objekte sind eher der Laienkunst zuzuordnen, es mangelt den Figuren an Proportionalität, den Bildern fehlen die Zentralperspektive und Dreidimensionalität. Doch gerade wegen ihrer Überschreitungen und ihrer Heterogenität ist diese Ausstellung sehenswert. Sie ist weniger ein fertiges Hochglanzendprodukt als eine Art Kaleidoskop, das den langen Prozess von Selbstreflexion und kultureller Selbstermächtigung in allen Facetten zeigt. Vor allem macht die Ausstellung mit den oftmals großen Formaten und knalligen urbanen Wimmelbildern ganz einfach Spaß.

When We See Us. 100 Jahre panafrikanische figurative Malerei. Kunstmuseum ­Basel – Gegenwart. Bis 27. Oktober