Leichenblasse Metaphern
Sie spukten durch die Schauerromane und Operetten des 19. Jahrhunderts, vor 100 Jahren kamen sie auf die große Leinwand des Kinos: Vampire. Max Schreck streckt in Friedrich Wilhelm Murnaus »Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens« (1922) seine langgliedrigen Finger mit den spitzen Nägeln nach zarten Hälsen aus, in die er seine grässlichen Zähne versenken kann, um schließlich seine Opfer auszusaugen. Es ist der Auftakt zur Geschichte des modernen Horror- und Vampirfilms inmitten der von Wirtschaftskrise und gescheiterter Revolution geprägten deutschen Zwischenkriegszeit und markiert den Beginn der Karriere einer politischen und libidinösen Metapher in der Kulturindustrie.
Siegfried Kracauer sah in »Nosferatu« den Nazifaschismus filmisch vorweggenommen. Vom Blutsauger, der sich parasitisch vom Volkskörper nährt, braucht es nicht viel bis zu Filmen wie »Der ewige Jude« (1940). Der irische Schriftsteller Bram Stoker, der 1897 den bekanntesten und unzählige Male verfilmten Vampirroman »Dracula« veröffentlichte, soll die vor Pogromen nicht zuletzt nach England flüchtenden osteuropäischen Juden vor Augen gehabt haben, als er sein Buch verfasste. »Nosferatu« war eine von den Erben Stokers nicht autorisierte Verfilmung, die Kopien mussten vernichtet werden, doch in verschiedenen Schnittfassungen überdauerte der Film. Er ist, wie sein Held, unsterblich geworden.
Vampire sind düstere Ausgeburten der Phantasie, Wunsch- und Angstgestalten, die den Horror des Realen verkörpern, aber auch die Romantik der Nacht zitieren.
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