Alle heißt alle
Die Machtdemonstration deuten viele als Zeichen der Schwäche: »Die Regierung hat Angst vor uns«, sagt Mariam. Tatsächlich sind auch viele Schiiten zu Abtrünnigen geworden. Die Proteste haben die Hochburgen von Amal und Hizbollah in Tyre, Baalbek und Nabatieh erfasst. Nasrallah versuchte indessen zu beschwichtigen und verwies darauf, dass die Hizbollah erstmalig 2018 ein wichtiges Ressort – das Gesundheitsministerium – erhalten und zuvor lediglich unbedeutende Ämter bekleidet habe.
Dass Hizbollah-Rackets trotz anderslautender Bekundungen am Platz der Märtyrer auf friedliche Demonstrierende eindroschen, verstärkte den Unmut. Nasrallah prahlte in seiner jüngsten Rede mit der Macht der Hizbollah und sagte, dass die »Partei Gottes«, selbst wenn der Libanon im Chaos versinke und der Staat keine Gehälter mehr zahlen könne, weiter zahlungsfähig sei. Diese Aussage nahmen die Protestierenden mit großem Argwohn auf.
Wie die schiitischen Parteien und Aouns »Bewegung« auf den Fortgang der Proteste, die sich immer mehr gegen sie richten, reagieren werden, weiß niemand genau. Viele Demonstrierende rechnen jedoch mit mehr Gewalt: »Es ist wie mit einer Katze, die man in die Ecke drängt«, sagt der Demonstrant Mazen, »irgendwann wird sie dich angreifen.« Auch Khaled erwartet eine Zuspitzung: »Sie sind Kriegsverbrecher! Sie werden alles tun, um an der Macht zu bleiben.« Doch ans Aufgeben denke niemand: »Wir haben keine Angst.« Auch wenn das Faustrecht in Waffengewalt umschlagen sollte, so Shamas, werde die Revolte weitergehen: »Die Hizbollah ist stark. Niemand im Libanon kann militärisch gegen sie gewinnen. Doch wenn wir als Libanesen zusammenstehen, werden ihre Kugeln zu Platzpatronen.«