»Nicht zu berichten, könnte oft effektiver sein«
Sie haben kürzlich einen Artikel von Franz L. Neumann aus den fünfziger Jahren wiederveröffentlicht. Was macht diesen Vertreter der Frankfurter Schule für die Analyse heutiger Politik aktuell?
Im Aufsatz »Angst und Politik«, den wir in der Zeitschrift tripleC: Communication, Capitalism & Critique wiederveröffentlicht haben, kombiniert Neumann politische Ökonomie, Ideologiekritik und Aspekte Freud’scher Psychoanalyse. Wir erleben heute das, was Neumann als destruktive kollektive Angst bezeichnet. Diese manifestiert sich Neumann zufolge im Kontext von ökonomischer, politischer, sozialer und psychologischer Entfremdung, destruktivem Wettbewerb, der Institutionalisierung der Angst in der Form rechter und rechtsextremer Bewegungen und hat mit der Furcht vor Statusverlust zu tun, auf den mit Verfolgungsangst, Verschwörungstheorien und der Identifizierung mit einer Führungsfigur geantwortet wird.
Auch auf Neumanns Hauptwerk »Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933–1944« beziehen Sie sich. Ist diese Schrift nicht durch spätere Analysen von Autoritarismus und totaler Herrschaft ersetzt worden?
Franz Neumann ist ein ignorierter Theoretiker der Frankfurter Schule. Horkheimer und Adorno nahmen seine Arbeit nicht ernst, sahen ihn vorwiegend als den Advokaten des Instituts im Exil. Die Stärke von »Behemoth« besteht darin, dass eine politisch-ökonomische Strukturanalyse mit Ideologiekritik kombiniert wird. Auch psychoanalytische Aspekte erachtete Neumann als wichtig. Wir brauchen heute einen derartigen methodischen Ansatz, um den Nationalismus adäquat verstehen zu können.
Neumann betont in »Behemoth« etliche Elemente, die auch heute Erklärungskraft haben: die Verknüpfung von politischer Macht und Kapital, charismatische Herrschaft, das Führerprinzip, völkische Ideologie und Nationalismus zur Legitimierung ungleicher Rechte, rassistischer Kapitalismus, die Verknüpfung von Patriarchat und Militarismus, Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit und so weiter. Neumann betont, dass die Bürokratisierung der Gewerkschaftsbewegung in den zwanziger Jahren den Antifaschismus schwächte. Eine ähnliche Rolle spielt seit mehreren Jahrzehnten die Neoliberalisierung der Sozialdemokratie.
Im deutschsprachigen Raum kann es derzeit niemand mit der Reichweite der Marke Trump aufnehmen. Wie US-spezifisch ist seine Politikstrategie?
Trump ist nur ein Ausdruck dessen, was Ruth Wodak in Österreich angesichts des Aufstiegs Jörg Haiders als die »Haiderisierung der Politik« bezeichnet hat. Treffender ist es heutzutage, von einer umfassenden Haiderisierung des Kapitalismus und der gleichzeitigen Globalisierung des Typs Haider zu sprechen. In Österreich und Deutschland findet doch gerade das Aufleben von ein, zwei, vielen solcher Charaktere statt.
Ihr Buch verspricht nicht weniger, als Möglichkeiten zu nennen, den Kapitalismus zu überwinden und die Linke zu erneuern. Könnten wir einen Vorgeschmack darauf bekommen?
Der autoritäre Kapitalismus bedeutet zunächst auch eine Krise der Linken. Links blinken und dann rechts abbiegen ist der falsche Weg. Sozialistischer Humanismus ist das einzige Mittel gegen die rechte Demagogie.