Katharina Weiß, Reporter ohne Grenzen, im Gespräch über Journalistenmorde in Griechenland

»Seine Recherchen kosteten ihn das Leben«

Vor zwei Wochen endete das Gerichtsverfahren zum Mord am Investigativjournalisten Giorgos Karaivaz. Er war am 9. April 2021 tagsüber vor seinem Haus erschossen worden. Zwei Brüdern wurde der Mord zur Last gelegt, sie wurden nun aber von allen Vorwürfen freigesprochen. Einen Tag zuvor hatte ein Staatsanwalt am Obersten Gerichtshof entschieden, den griechischen Geheimdienst von der Verantwortung für den Abhörskandal in Griechenland freizusprechen. Der Mord hatte Besorgnis über die Pressefreiheit und die Sicherheit von Journalisten in Griechenland ausgelöst. Ein Gespräch mit der Pressereferentin Katharina Weiß von Reporter ohne Grenzen.

Griechenland steht auf der »Rangliste der Pressefreiheit« von Reporter ohne Grenzen (ROG) auf einem unrühmlichen Platz 88. War der ungeklärte Mord am Journalisten ­Giorgos Karaivaz ein wichtiger Faktor für das schlechte Ranking des Landes?
Medienschaffende zu ermorden, ist eine der härtesten Methoden, um kritische Berichterstattung zum Schweigen zu bringen. Wichtige Geschichten über Machtmissbrauch, Korruption oder das Schicksal von Minderheiten werden nicht mehr erzählt. Eine solche Gewalttat gegen einen Reporter wirken als Abschreckung für seine Kollegen. Die Einschüchterung kann zu Selbstzensur führen und dazu, dass auch andere Medienschaffende ihre Recherchen einschränken.

»Medienschaffende zu ermorden, ist eine der härtesten Methoden, um kritische Berichterstattung zum Schweigen zu bringen.«

Wenn es zudem keine umfassende und ambitionierte Strafverfolgung gibt, kann ein Journalistenmord als Symbol für den Zerfall der Rechtsstaatlichkeit interpretiert werden: Wenn die Täter ungestraft bleiben, wird das Vertrauen in die Justiz und in den Staat untergraben.

Am 31. Juli wurden zwei mutmaßliche Auftragskiller aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf des Mordes an Giorgos Karaivaz freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft gab zu, versehentlich Beweismittel zerstört zu haben. Fließen solche Details in die Wertung bei der Rangliste der Pressefreiheit ein?
Es gibt verschiedene Fragestellungen bei der Erhebung der Rangliste der Pressefreiheit, in denen diese Punkte gewertet werden können. So werten wir zum Beispiel auch pressefeindliche Äußerungen von Politikern, die das Arbeitsumfeld negativ beeinflussen. Auch Straflosigkeit ist ein gewichtiger Faktor sowie mangelnder Zugang zu Behördeninformationen.

Welche Recherchen könnten Karaivaz möglicherweise zum Verhängnis geworden sein?
Vor allem für unsere griechischen Korrespondenten und Kontakte ist der Fall sehr bedeutend. ROG wurde bereits kurz nach Karaivaz’ Ermordung mit Informationen darüber gefüttert, in welche Recherche der Kriminalreporter seit Jahren verstrickt war. Er war über viele Jahre hinweg für eine Vielzahl von Medien tätig und kuratierte auch ein eigenes Blog namens Bloko, auf dem er seine Rechercheergebnisse zur Mafia veröffentlichte. Er wurde über die Grenzen Griechenlands hinaus für seinen Mut bewundert und für seinen Ehrgeiz, vor allem die Verstrickung von Staatsbeamten in kriminelle Machenschaften aufzudecken. Reporter ohne Grenzen betrauert, dass ihn vermutlich seine Recherchen zum organisierten Verbrechen das Leben kosteten.

»Wir fordern auch über Griechenland hinaus ein Moratorium für den Verkauf, Einsatz und Export von Überwachungssoftware wie Predator und Pegasus.«

Der Freispruch kommt nur einen Tag, nachdem ein Staatsanwalt des Obersten Gerichtshofs den griechischen Geheimdienst von der Verantwortung für das skandalöse Abhören von Politikern, Militärs, ­Industriellen und Journalisten freigesprochen hatte. Regierungsmitglieder ver­langen nun, dass Journalisten, die von einem »Abhörskandal« sprachen oder schrieben, sich öffentlich entschuldigen müssen. Was sagen Sie dazu?
Die beiden Fälle wollen wir nicht vermischen. Aber was wir davon halten, dass sich schon Journalisten für ihre Berichterstattung über den Abhörskandal entschuldigen müssen? Wir sehen weiterhin großen Wert in den journalistischen Recherchen, welche die Beteiligung des Geheimdiensts an der illegalen Überwachung von Reportern und Politikern aufdeckten. Für uns war es skandalös, dass der Oberste Gerichtshof Griechenlands am 30. Juli entschieden hat, den Geheimdienst EYP nicht strafrechtlich zu verfolgen. Die Untersuchung war mit Unregelmäßigkeiten behaftet und wurde politisch sabotiert.

Gleichzeitig mit den Abhöraktionen des Geheimdiensts wurde auf den Mobiltelefonen der Abhöropfer die Software Predator installiert, illegale Malware, die das Mobiltelefon in eine Wanze umfunktioniert und alle Mails und Textnachrichten abgreift. Die Verantwortlichen fürs Platzieren von Predator müssen sich nur wegen einer Ordnungswidrigkeit vor Gericht verantworten. Wie müssen wir so etwas einordnen?
Da appellieren wir an Griechenland, eine unabhängige Aufklärung der Überwachungsfälle zu gewährleisten, Klagen gegen Journalisten und Me­dien zu verhindern, die kritisch über die Regierung, Behörden und diese konkreten Fälle berichten, sogenannte Slapp-Klagen. Wir fordern auch über Griechenland hinaus ein Moratorium für den Verkauf, Einsatz und Export von Überwachungssoftware wie Predator und Pegasus.

Katharina Weiß, Reporter ohne Grenzen

Katharina Weiß absolvierte eine Ausbildung an der Axel-Springer-Akademie und studierte an der Berliner Humboldt-Universität Europäische Ethnologie und Amerikanistik. Sie schreibt unter anderem für den »Tagesspiegel« und das »Redaktionsnetzwerk Deutschland«. Seit 2023 ist sie für die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen als Pressesprecherin tätig.

Bild:
Frederike van der Straeten

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Sorge um die Pressefreiheit

In der letzten Juliwoche feierte Griechenland 50 Jahre Demokratie; 1974 war die Militärdiktatur gestürzt worden. Zwei Justizentscheidungen werfen jedoch einen tiefen Schatten auf das Jubiläum. Es geht um den Freispruch im Prozess über den Mord am investigativen Journalisten Giorgos Karaivaz und um das unrühmliche Ende der Aufarbeitung einer staatlichen Abhöraffäre. Karaivaz wurde am helllichten Tag am 9. April 2021 vor seinem Haus in Athen erschossen. Seit Jahren hatte er über die griechische Mafia recherchiert. Karaivaz hatte Kontakte in die griechische Unterwelt und zu korrupten Polizisten, die mit ihr in Verbindung standen. Er war ein wichtiger Zeuge in einer Untersuchung des Geheimdiensts über die Beteiligung von Polizeibeamten an Mafiabanden, die von illegalen Bordellen und Casinos profitieren. Der Prozess gegen die zwei mutmaßlichen Mörder Karaivaz’ endete am 31. Juli mit ­einem Freispruch »aus Mangel an Beweisen«.

Karaivaz soll zudem Textnachrichten mit zwei Schlüsselfiguren ausgetauscht haben, die aufgrund des griechischen Abhörskandals zurückgetreten sind. An einem der letzten Prozesstage erfuhr die Öffentlichkeit, dass ein Beweisstück, eine CD mit Kontakten, Gesprächsprotokollen und Whatsapp-Nachrichten, »versehentlich von einem Tacker durchstochen worden« war. Es gab keinerlei Sicherungskopie und auch keinen Ausdruck von Gesprächsprotokollen. Auf der CD standen die Namen »Dimitriadis« und »Kontoleon«. Grigoris Dimitriadis, ehemaliger Generalsekretär im Büro des Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis und obendrein dessen Neffe, sowie der ehemalige Leiter des Geheimdiensts EYP, Panagiotis Kontoleon, profitierten in derselben Woche von einer weiteren Justizentscheidung. Die oberste Staatsanwaltschaft des Landes legte das Strafverfahren wegen der Verwicklung beider in die Abhöraffäre gegen Politiker, Industrielle und Journalisten zu den Akten. Sie fand keine Beweise und auch keinen Grund, die Verdunklungstaktik der Regierung zu rügen. mh