Her mit dem schönen Leben!
Banküberfälle sind in Griechenland keine Seltenheit. Trotz der immer weiter verschärften Sicherheitsmaßnahmen vergeht selten eine Woche, in der nicht ein paar Geldinstitute ausgeraubt werden. Nicht wenige Menschen scheinen dies für den schnellsten und effektivsten Weg zu halten, um sich entweder Schulden vom Hals zu schaffen oder sich eine kürzere oder längere arbeitsfreie Zeit zu ermöglichen.
In der Geschichte der griechischen Stadtguerilla waren Banküberfälle ein Mittel zur Geldbeschaffung für den bewaffneten Kampf. Obwohl sich die Stadtguerillagruppe 17. November zu keinem solchen Überfall schriftlich bekannt hat, ist es kein Geheimnis, dass dies die einzige Art und Weise war, um das Leben einiger ihrer Mitglieder zu finanzieren.
Seit zwei Jahren bekennen sich nun immer wieder Anarchisten zu Banküberfällen, offensiv und öffentlichkeitswirksam. In den vergangenen Monaten wurde in der anarchistischen Szene nun eine erregte Diskussion darüber ausgelöst.
Seinen Anfang nahm das anarchistische Bekennertum mit einem Überfall auf die Athener Nationalbank in der Solonosstraße. Die Bank wurde im Januar 2006 von fünf schwarz gekleideten Räubern ausgeräumt. Die große Zahl und die schwere Bewaffnung der Banditen – Maschinenpistolen und Handgranaten – garantierten, dass der Raub zunächst problemlos verlief.
Während des Rückzugs der Räuber alarmierte allerdings ein Wächter die Polizei und nahm zudem selbst die Verfolgung auf. Das Ergebnis war fatal: Mitten im Athener Stadtzentrum kam es zu einem Feuergefecht, bei dem ein Lotto-Verkäufer und einer der Räuber, Giannis Dimitrakis, durch Polizeikugeln schwer verletzt wurden. Dimitrakis wurde, blutend am Boden liegend, von Polizisten verprügelt, seine vier Begleiter konnten fliehen. Die Schießerei wurde zu einem großartigen Spektakel für die Massenmedien, zumal die Polizei sehr schnell verkündete, es handle sich bei dem verletzten Bankräuber um einen bekannten Anarchisten. Seine politische Identitätsbestimmung gab den Verfolgungsbehörden die rechtliche Handhabe, ihn noch am Krankenhausbett zu verhören – genauso war man mit dem im Juni 2002 infolge einer Bombenexplosion erblindeten Savas Xeros, einem Mitglied der Gruppe 17. November, verfahren. Auf die entwischten »Banditen in Schwarz« wurde in den Medien eine regelrechte Hexenjagd veranstaltet.
Dimitrakis gab zwar öffentlich bekannt, den Bankraub ausschließlich zum eigenen Nutzen begangen zu haben: »Um ehrlich zu sein, muss ich zugeben, dass ich der einzige Empfänger des geraubten Geldes gewesen wäre.« Gleichzeitig rechtfertigte er diese Entscheidung jedoch politisch: »Ich wollte meine Lebensumstände und ‑qualität alleine bestimmen, die Verweigerung der Arbeit praktizieren, kein Rad am Wagen der Produktion sein und das Monster namens Bank angreifen, um mich würdig durchs Leben zu schlagen.«
Es ist in Griechenland das erste Mal, dass jemand einen Bankraub als politischen Akt verstanden wissen möchte, ohne dass das erbeutete Geld sozialen oder politischen Zwecken dienen soll. »Der Kapitalismus lässt einem folgende Wahl: Lohnsklaverei, Betteln oder Bankraub. Ich habe mich für letzteres entschieden«, schrieb Dimitrakis aus dem Gefängnis. Er rief damit zahlreiche Solidaritätsbekundungen der anarchistischen Szene hervor.
Der Staat behandelt Dimitrakis weiterhin wie einen erklärten Feind. Als der Bankräuber im April 2006 in das Hochsicherheitsgefängnis Malandrino gesperrt wurde, ernannten ihn seine Mitgefangenen zu ihrem Sprecher, der der Gefängnisleitung eine Erklärung mit Forderungen nach einer Verbesserung der Zustände im Gefängnis übergab. Statt einer Antwort erhielt er Ohrfeigen von den Wärtern.
Seine Mitgefangenen ließen diese Behandlung nicht auf sich beruhen. Ein Aufstand brach aus, das Gefängnis wurde angezündet und brannte zum großen Teil ab. Der Protest weitete sich auf alle Gefängnisse Griechenlands aus. Wie zur Strafe wird Dimitrakis seitdem ständig verlegt, die so genannte »Tour«, wie es im Gefängnisjargon heißt.
Ihm und seiner »Bande in Schwarz« werden inzwischen weitere Banküberfälle zur Last gelegt, so kann das Konstrukt der kriminellen Vereinigung aufrechterhalten werden. Seine Genossen sind in den Untergrund gegangen, Dimitrakis ist im Sommer zu 35 Jahren Haft verurteilt worden. Sein Einfluss auf die anarchistische Szene wächst damit immer weiter. Er wird längst als »Sozialräuber«, wie er sich auch selbst nennt, bejubelt und verehrt. Häuserwände werden mit seinem Namen und der Preisung von Banküberfällen versehen. Innerhalb der Szene ist man sich nahezu einhellig einig darüber, dass seine Vorgehensweise als probates Mittel der Politik betrachtet werden kann.
Seine Tat hat auch Nachahmer gefunden. Im September vergangenen Jahres wurde der 23jährige Anarchist Giorgos Boutsis-Bogiatzis nach einem Überfall auf eine andere Athener Nationalbank im Stadtteil Gizi von einem umtriebigen LKW-Fahrer festgenommen und der Polizei übergeben. Er befand sich mit seinem Fahrrad auf der Flucht, bei sich trug er zwei Pistolen und eine Handgranate. Er gestand seine Tat und stilisierte sich sofort zum »Arbeitsverweigerer«.
Der Athener Szene-Kiez ist nun voll mit Plakaten, die Banküberfälle propagieren und Arbeit verdammen. »Kleinbürgerliche Träume einer geknechteten Gesellschaft«, wie Rente, Weihnachts- und Urlaubsgeld, werden dagegen verhöhnt. Damit verbaut sich die anarchistische Szene wohl jeden Kontakt zum Rest der Gesellschaft. Anarchistisch begründete Kritik an Kreditinstituten ist zwar allgemein bekannt, aber herablassender Spott gegenüber allen Lohnabhängigen ruft bei diesen freilich eher feindliche Gefühle hervor.
Die Orientierung vieler griechischer Anarchisten an den Banküberfällen ist auch aus anderen Gründen problematisch. Die Aneignung von Begriffen wie »Arbeitsverweigerung« – während man selbst außerhalb des Arbeitssektors steht – und »Sozialraub« – ohne sozialen Nutzen – erscheint willkürlich. Individualistische Tendenzen sind wohl eher deutliche Zeichen einer Bewegungsrezession und kollektiver Enttäuschung.
Sicher ist, dass der Staat die Überfälle auf die Banken, Angriffe auf das Kapital, nicht ungestraft lassen wird. Bankraub ist schon deshalb keine profitable Mode, die unter Jugendlichen Schule machen sollte.