Mut zum Streit

Die Islamisten und der Friedensprozess von jochen müller und götz nordbruch

Hinterher ist man immer schlauer, heißt es oft, wenn man es eigentlich vorher hätte besser wissen können. So auch im Fall der jüngsten Bemühungen um einen Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern. Die Gipfel von Aqaba und Sharm al-Sheikh waren mit großem Aufwand inszeniert worden, nicht zuletzt um der palästinensischen und arabischen Öffentlichkeit eine Art Aufbruchstimmung zu vermitteln. Und das machte auch durchaus Eindruck, wie sich an den lebhaften Diskussionen in den arabischen Medien rund um den Doppelgipfel zeigte.

Die Regierungschefs hatten die Rechnung allerdings wissentlich ohne die Hamas gemacht. Mit dem palästinensischen Regierungschef Mahmud Abbas überließen sie es dem in jeder Beziehung Schwächsten aus ihrem Kreise, den Terrortruppen zumindest ein Stillhalten abzuringen. Das konnte wohl nicht gut gehen. Noch am Tag des gescheiterten Anschlags auf den Hamas-Führer Abd el-Aziz Rantisi hatte der in einem Beitrag für die Zeitung al-Quds al-Arabi seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass Ariel Sharon der erste Nagel im Sarg des »zionistischen Gebildes« sein werde.

Tatsächlich hat das beinahe direkte Ineinanderfallen von hoffnungsfroh verkündetem Road Map-Abkommen und dessen ernüchternder Sabotage durch einen gemeinsamen Anschlag von Al-Aksa-Brigaden, Hamas und Jihad inklusive israelischer Gegenattacke auf Rantisi allen Beteiligten noch einmal nachdrücklich vor Augen geführt, was auf palästinensischer Seite die Krux jeglicher Verhandlung ist. Worauf nämlich sollte sich eigentlich die Hoffnung gründen, dass sich die Gruppierungen, die schon gegen die Osloer Verträge waren, ähnlich wie die Muslimbrüder in Ägypten oder die jordanische Islamic Action Front zu einer parlamentarischen Kraft entwickeln? Was sollte die Hamas dazu bringen, einer dauerhaften Zweistaatenlösung zuzustimmen? Der Kampf gegen Juden und Israel ist schließlich ihre raison d’être.

Leise Hoffnung erwecken kann aber womöglich eine andere Entwicklung: Wenn in diesen Tagen Rantisi immer wieder die nationale Einheit beschwört, dann ist das zwar vor allem eine Drohung an die Kompromissbereiten. »Der Feind im eigenen Land«, so Rantisi, sei »gefährlicher als die Zionisten.« Wenn aber gleichzeitig etwa die einflussreiche Intellektuelle Hanan Ashrawi die Bedeutung des »fragilen internen Dialogs« zwischen den unterschiedlichen palästinensischen Fraktionen hervorhebt, dann könnte beides darauf hinweisen, dass endlich die Zeit einer palästinensischen Auseinandersetzung gekommen ist, die Islamisten wie Nationalisten fürchten müssen wie der Teufel das Weihwasser.

Denn nur wenn endlich offener Streit darüber ausbricht, welche Zugeständnisse die palästinensischen Flüchtlinge machen müssen, denen bisher noch kaum jemand zu sagen gewagt hat, dass ihre Rückkehrhoffnung vergeblich ist, könnte irgendwann einmal der Hamas das Wasser abgegraben werden. Auch in die allgemeine arabische Landschaft würden solche Diskussionen derzeit gut passen, führen die Medien doch seit einigen Wochen heftige Debatten um gesellschaftliche Reformen und die Bedeutung des Palästinakonflikts für die Staaten der Region.

In den palästinensischen Gebieten könnte der Mut zum Dissens dazu beitragen, endlich nach eigenen Widersprüchen und Auswegen zu suchen, statt weiterhin einträchtig mit dem Finger auf Israel zu zeigen. Vielleicht kann dann die Hamas auch in Gaza oder Ramallah als das wahrgenommen werden, was sie vor allem anderen ist: das größte Hindernis auf dem Weg zum Frieden und zu einer Zweistaatenlösung.