Jospins Europa-Rede

Europäische Patrioten

Nichts verbindet mehr als ein gemeinsamer Gegner. Den hat der französische Premierminister Lionel Jospin vergangene Woche in seiner lang erwarteten Europa-Rede beim Namen genannt: Der Feind heißt USA.

Zunächst sprach sich Jospin deutlich gegen Gerhard Schröders Vorschläge für die Zukunft Europas aus. Statt nach deutschem Vorbild eine Föderation zu schaffen, setzt er weiterhin auf eine Union von Nationalstaaten. »Ich wünsche Europa«, sagte er, »aber ich bin meiner Nation verbunden.«

Mit dem patriotischen Festhalten an der Nation möchte Jospin die französischen Interessen garantieren und gleichzeitig den deutschen Einfluss in Grenzen halten. Schließlich stehen - unter anderem wegen der Erweiterung der EU - in den nächsten Jahren heftige Verteilungskämpfe bevor. In einer Föderation mit einer europäischen Regierung, wie sie der Bundesregierung vorschwebt, würde Deutschland wegen seines demographischen Gewichts wesentlich mehr Einfluss besitzen als bisher. Kein Wunder also, dass sich der französische Premier dafür nicht begeistern kann.

Nachdem Jospin sich zunächst deutlich gegen Schröder gewandt hatte, formulierte er seine eigenen Ziele, die weniger zur Kenntnis genommen wurden. Seiner Meinung nach vertritt die EU bislang vor allem wirtschaftliche Interessen. Mit dem Euro verfüge sie zwar über ein gemeinsames »Schutzschild gegen internationale Finanzkrisen und wettbewerbsorientierte Abwertungen«. Doch das reiche nicht aus.

»Unsere Zivilisation basiert auf einer Wertegemeinschaft«, erklärte Jospin; sie sei von einer gemeinsamen Kultur und von sozialer Gerechtigkeit geprägt. Wohlstand und sozialer Fortschritt seien in Europa nicht voneinander zu trennen. Diese Werte gelte es seiner Meinung nach vor den Gesetzen des Marktes zu verteidigen. »Gemeinsam müssen wir uns aber gegen die drohende Uniformierung und die Überflutung durch Kulturprodukte aus ein und derselben Quelle wehren. Das ist eine grundlegende Frage der Zivilisation«, betonte er in seiner Rede. »Eine weiter reichende Perspektive« sei daher notwendig, andernfalls werde der alte Kontinent »in der Globalisierung aufgelöst«. Europa dürfe nicht zu einer »bloßen Freihandelszone« verkommen.

Die Richtung, aus der diese Gefahren kommen, hat Jospin ebenfalls klar bezeichnet. Urheber allen Übels sind die USA, deren radikaler Neoliberalismus die Welt zu unterwerfen sucht. Europa müsse nicht nur ökonomisch mit den Vereinigten Staaten konkurrieren, sondern sich auch als kulturelles und soziales Gegenmodell präsentieren. Am französischen Rotwein soll die Union genesen.

Jospin formuliert einen neuen europäischen Patriotismus und verbindet eine liberale Wirtschaftspolitik mit den klassischen Aufgaben des Nationalstaates, der weiterhin für den Ausgleich der sozialen Interessen sorgen soll. Eine solche Politik praktiziert Jospin in Frankreich bereits seit Jahren.

Die Idee, den Geltungsbereich des Euro auch als Sozial- und Kulturgemeinschaft zu definieren, könnte sich als erfolgreiches Projekt erweisen. Denn damit wäre nicht nur ein übergreifendes Programm für die gegensätzlichen nationalstaatlichen Interessen gefunden. Mit seiner Kritik an der weltweiten Dominanz der USA könnte Jospin linke wie rechte Globalisierungsgegner für seine Vision von Europa begeistern. Nichts verbindet mehr als ein gemeinsamer Feind.