Haager Anklägerin in Belgrad

Ungebetene Gäste

Auch die neue jugoslawische Regierung hält nichts von einer Auslieferung Milosevics.

Carla Del Ponte hatte schon freundlichere Empfänge erlebt. Als die Chef-Anklägerin des Haager Kriegsverbrechertribunals am Mittwoch vergangener Woche vor dem Belgrader Außenministerium vorfuhr, mussten Bodyguards sie vor einem Eier-Bombardement schützen. »Del Ponte go home!« schrieen Hunderte von Demonstranten der Schweizerin entgegen.

Viele der Protestierenden waren Anhänger des im Oktober gestürzten jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Die Kundgebung selbst wurde von einem obskuren »Forum Free Serbia« organisiert, das in engem Kontakt mit dem ehemals mächtigen Politiker steht. Dennoch zeigte die Demonstration die Einstellung vieler Serben. Ein großer Teil der Bevölkerung ist keinesfalls gewillt, Milosevic nach Den Haag zu schicken. Man vermutet zu Recht, dass Jugoslawien derzeit wichtigere Probleme habe.

Dagegen hat die Auslieferung für Carla Del Ponte oberste Priorität - eine Tatsache, über die sich selbst die jugoslawische Seite lustig macht. »Del Ponte ist hier mit der Erwartung angekommen, sie könnte Herrn Milosevic auf ihrem Rückflug gleich mitnehmen. Das passt nicht zu dem Bild, das wir uns von einem internationalen Gericht machen«, meinte der neue serbische Premierminister Zoran Djindjic.

Aber es passt zum Bild, das sich Mitarbeiter des Tribunals von der Chef-Anklägerin machen konnten. Sie wird als Juristin mit missionarischem Eifer beschrieben. So warnten sie einige Mitarbeiter vor der Reise nach Belgrad, es sei zu früh, um sich mit Milosevic zu beschäftigen.

Dass sie ein wenig ungelegen kam, merkte sie im Gespräch mit dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica. Nur auf Druck von Zoran Djindjic fand er überhaupt Zeit für sie. »Ich saß die ganze Zeit da und hörte seinen politischen Ausführungen zu. Es konnte gar kein Dialog entstehen«, beschwerte sich Del Ponte.

Kostunica beschrieb in dem Gespräch ausführlich die Position der Regierung: »Ich möchte ihn vor einem jugoslawischen Gericht sehen. Wir können ihn hier sowohl der Verbrechen anklagen, die er in seinem Amt begangen hat, als auch der Kriegsverbrechen, die das Tribunal verhandelt sehen möchte.« Das gleiche sagte auch der jugoslawische Außenminister Goran Svilanovic: »Ich habe ihr die offizielle Position unserer Regierung mitgeteilt: Milosevic hat sich vor einem Gericht auf unserem Territorium zu verantworten.«

Nach der diplomatischen Pleite gab sich Del Ponte zurückhaltender. Die jugoslawische Regierung solle als »Geste des guten Willens« einen der 15 mutmaßlichen Kriegsverbrecher ausliefern, die sich wahrscheinlich noch in Jugoslawien aufhalten. Aber auch da erhielt sie eine Abfuhr.

Kaum war die unbequeme Anklägerin aus Belgrad abgereist, meldete sich erstmals die neue US-Regierung zu Wort. »Es muss eine internationale Gerichtsbarkeit für internationale Verbrechen geben«, sagte Richard Boucher, Sprecher des Außenministers Colin Powell in Washington. Für Belgrad war das nicht nur eine klare Unterstützung Del Pontes, sondern auch eine Drohung.

Einen Tag vor seinem Ausscheiden aus dem Amt hob der ehemalige Präsident Bill Clinton noch schnell die US-Sanktionen gegen Jugoslawien auf. Nur zwei Wochen zuvor hatte der US-Kongress eine Soforthilfe in Höhe von 100 Millionen US-Dollar genehmigt. Die Hilfe soll jedoch erst am 31. März überwiesen werden. Auch für Carla Del Ponte ist das ein wichtiges Datum: Sie hat der Belgrader Regierung bis zum 1. April Zeit gelassen, um einen Modus der Zusammenarbeit mit Den Haag zu finden und Milosevic auszuliefern.

Der frühe Besuch Del Pontes kommt zumindest der US-Regierung gelegen. Die neue Bush-Administration möchte mittelfristig ihre Soldaten vom Balkan wieder zurückholen und ihr internationales Engagement reduzieren. Das aber funktioniert mit einem politisch aktiven Milosevic kaum. Wenn der ehemalige Präsident in Belgrad nur wegen Korruption und ähnlicher Delikte angeklagt wird, bedeutet das für die USA fast die gleiche politische Pleite wie die ungebrochene Umtriebigkeit Saddam Husseins im Irak.

Zoran Djindjic hat das erkannt und schließt eine Auslieferung von Milosevic zumindest nicht kategorisch aus. Er weiß, dass Jugoslawien schnell wieder in jene Isolation fallen kann, in der es sich seit 1992 befunden hatte. Also wird die Regierung bald eine Formel finden, um innenpolitisch verträglich mit Den Haag zu kooperieren. »In den nächsten zehn bis 15 Tagen werden wir eine endgültige Entscheidung darüber fällen, wie wir mit dem Tribunal kooperieren können«, meint der jugoslawische Innenminister Zoran Zivkovic. Und Justizminister Momcilo Grubac vertritt sogar die Position, dass die Unterzeichnung des Abkommens von Dayton die Anerkennung der Haager Auslieferungsanträge bedeute.

Wie interessiert Del Ponte an der Verfolgung von Milosevic ist, verdeutlicht auch ihr Gespräch mit Angehörigen von 16 Mitarbeitern des serbischen Fernsehens, die bei einem Nato-Angriff ums Leben gekommen sind. Milosevic habe von dem Angriff gewusst und nur deshalb nicht reagiert, um die Bevölkerung gegen die Nato aufzuhetzen, erklärte die Juristin. Vergleichsweise zurückhaltend zeigt sich derzeit die EU. Deren Sonderkoordinator für den Balkan-Stabilitätspakt, Bodo Hombach, machte erst letzte Woche klar, das die Integration Jugoslawiens keinesfalls an der Milosevic-Frage scheitern dürfe.