Deutsch-französischer Gipfel in Strasbourg

Deutschland macht Zoff

Kommt jetzt der ganz große Krach? Bundeskanzler Gerhard Schröder hat am 19. Januar während des Internationalen Bertelsmann-Forums in Berlin einige Dinge über die Zukunft der Europäischen Union gesagt, die in Frankreich nicht gut ankamen. Deshalb stellten verschiedene Kommentatoren für das Mitte dieser Woche in Strasbourg stattfindende deutsch-französische Gipfeltreffen einen ordentlichen Streit in Aussicht. Dazu wird es kaum kommen. Eher ist zu erwarten, dass der übliche konstruktive Dialog unter Freunden auf der Basis einer festen Partnerschaft fortgesetzt wird, wobei kritische Fragen natürlich offen ausgesprochen werden.

Eine der kritischen Fragen wird lauten, was Schröder mit seiner Feststellung meinte, zweifellos sei eine »Neudefinition des deutsch-französischen Verhältnisses« notwendig. Diese Formulierung ist nämlich außerordentlich forsch und undiplomatisch. Und sie macht da weiter, wo der EU-Gipfel von Nizza vor sechs Wochen aufhörte.

Grundlage der (west-)deutsch-französischen Kooperation während der gesamten Nachkriegzeit war die Abmachung, beide Länder seien gleichwertig und gleichberechtigt. Diese Grundlage wurde von der Regierung Kohl auch nach der deutschen Wiedervereinigung nicht in Frage gestellt. Erst auf der Konferenz von Nizza tauchte, nach einer konzertierten publizistischen Vorbereitung, die rotgrüne Delegation mit der offiziellen Forderung auf, das bei weitem bevölkerungsreichste Land der EU müsse in deren Gremien und Prozeduren stärker repräsentiert sein als alle anderen Mitglieder.

Diese Forderung wurde zwar durch andere weit reichende Zugeständnisse an Deutschland wegverhandelt, doch für die Franzosen war ein eindeutiges Signal gesetzt. Ihre Strategie, die traditionelle imperialistische Konkurrenz jenseits des Rheins durch europäische Einbindung im Zaum zu halten, stößt an Grenzen.

In der Tat haben sich die Konstellationen fundamental verändert. War das durch den Eroberungskrieg politisch und moralisch diskreditierte und wirtschaftlich angeschlagene (West-) Deutschland zu Beginn des europäischen Integrationsprozesses auf das Wohlwollen der Siegermacht Frankreich angewiesen, ist es nun eher umgekehrt. Alle strategischen Trümpfe liegen in Berlin. Die potenziellen Beitrittskandidaten sind Nachbarn Deutschlands, nicht Frankreichs, in der Ökonomie und im Finanzwesen dieser Staaten verfügt Deutschland über hegemonialen Einfluss. Zudem hallt die Drohung der CDU-Vordenker Wolfgang Schäuble und Karl Lamers nach, die 1994 vorsorglich anmerkten, eine Blockade der EU-Ost-Erweiterung könne Deutschland dazu animieren, »die Stabilisierung des östlichen Europa alleine und in der traditionellen Weise zu bewerkstelligen«.

Vor diesem Hintergund verlangte Schröder jetzt nachdrücklich, anstelle der von den Franzosen favorisierten Regierungskooperation (»Intergouvernementalismus«) die politische Integration der EU voranzutreiben. Außenminister Joseph Fischer bekräftigte diesen Standpunkt vergangene Woche bei einer Grundsatzrede in London.

Während Rotgrün auf eine erweiterte »Handlungsfähigkeit« der EU setzt, ist diese angesichts der offenen Machtansprüche Berlins ein Horror für die Franzosen. Wegen der Aussicht auf - zumindest informell - deutsch dominierte EU-Institutionen, will Paris möglichst wenig Souveränität an Brüssel delegieren und so seine Degradierung vom gleichberechtigten Teilhaber zum europäischen Juniorpartner verhindern.

Für die hiesige Anhängerschaft des rotgrünen EU-Projektes, und die reicht von links bis rechts, ist das natürlich blanker Nationalismus. Und da der bekanntlich überwunden werden muss, ist Deutschland auch ideologisch weit vorn.